MOH (100): 12. Oscars 1940 - "Der Zauberer von Oz"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hatte die filmische Umsetzung des Literaturklassikers "Von Mäusen und Menschen" bereits die Höchstwertung ergattert, nun legt der Oscar-Jahrgang von 1939 nach – und präsentiert uns mit "Der Zauberer von Oz" einen echten Klassiker der Filmgeschichte.
Der Zauberer von Oz

Wie produziert man eigentlich einen Filmklassiker? Eine klare Vision und störungsfreie Dreharbeiten sollten da doch sicher hilfreich sein. Müssen sie aber offensichtlich nicht, wie "Der Zauberer von Oz" aus dem Jahre 1939 eindrucksvoll zeigt. Insgesamt über 14 Drehbuchautoren, gleich fünf verschiedene Regisseure und ziemlich unschöne Umstände bei der Produktion können nicht verhindern, dass wir hier nun zum siebten Mal in unserer Oscar-Reihe die Höchstwertung zücken. Und zwar für ein absolut bezauberndes Stück Kinomagie voller visueller Leckereien, charismatischer Helden und einem unglaublich hohen Ohrwurmfaktor. Auf geht unsere Reise zum Zauberer von Oz!
Eine Reise, die ihren Anfang bereits im Jahr 1900 genommen hat. Da erschien nämlich das Kinderbuch "Der Zauberer von Oz" von L. Frank Baum, das vor allem dank seiner farbenprächtigen Illustrationen schnell zu einem großen Erfolg in den USA avancierte. Von genau solch einer Farbenpracht träumt auch die Protagonistin des Werkes, die junge Dorothy (Judy Garland). Diese lebt gemeinsam mit ihrer Tante und ihrem Onkel auf einer kleinen Farm in Kansas und sieht sich dort im grauen Alltag vor allem den Launen einer gehässigen Nachbarin ausgesetzt. Doch als eines Tages ein Wirbelsturm über das Land zieht, wird Dorothy mitsamt ihrem kleinen Hund Toto in die magische Welt von Oz getragen.

Dort trifft Dorothy nicht nur auf eine knallbunte Landschaft, sondern vor allem auch drei außergewöhnliche neue Gefährten: die Vogelscheuche (Ray Bolger), die sich einen eigenen Verstand wünscht, den Blechmann (Jack Haley, "Alexander's Ragtime Band"), der gerne ein echtes Herz hätte, und einen feigen Löwen (Bert Lahr), der sich mehr Mut erhofft. Auf der Suche nach dem Nachhauseweg begibt sich Dorothy mit diesen auf die Reise zur legendären Smaragdstadt, um dort den geheimnisvollen Zauberer von Oz (Frank Morgan, "Tolle Marietta", "Der große Ziegfeld") zu treffen – in der Hoffnung, dass er ihrer aller Wünsche erfüllen kann. Keine ungefährliche Reise, hat die böse Hexe des Westens (Margaret Hamilton) für Dorothy doch so ihre ganz eigenen Pläne.
Der große Erfolg des Buches hatte auch schon Autor L. Frank Baum zu ganz eigenen großen Plänen verleitet. Mehreren Buchfortsetzungen folgten bald eigene Theaterstücke und schließlich zog Baum sogar nach Hollywood, um dort eine eigene Filmproduktionsfirma namens "The Oz Manufacturing Company" zu gründen, um möglichst viele Geschichten aus dem Oz-Universum auf die Leinwand zu bringen (so neu ist die Strategie also nicht, liebes Disney). Allerdings war Baum deutlich weniger Erfolg vergönnt – das Ergebnis waren nur drei nicht gerade beliebte Stummfilme Mitte der 1910er-Jahre. Der Traum vom großen Hollywoodruhm blieb Baum bis zu seinem Tod (1919) also verwehrt und auch ein weiterer Stummfilm aus dem Jahre 1925 (mit Oliver Hardy in der Rolle des Blechmanns) konnte das Publikum nicht für sich gewinnen.
"The Magic Cloak of OZ" (1914) - einer der Stummfilme von L. Frank Baums Produktionsfirma als Remaster
Es brauchte schon einen anderen großen Erzähler von Kindergeschichten, um dies (zumindest indirekt) zu ändern. Womit wir wieder bei Disney wären, denn der große Erfolg von Walt Disneys "Schneewittchen und die sieben Zwerge" an der Kinokasse zeigte 1938, dass sich auch mit der bisher eher vernachlässigten Verfilmung von Kinderbüchern ein breites Publikum begeistern ließ. Das Studio Metro-Goldwyn-Mayer witterte nun seine Chance und sicherte sich die Rechte am Buch, hatte allerdings gerade mit dem überraschenden Tod von Irving Thalberg seinen großen Star-Produzenten verloren. So übergab man die Produktionsverantwortung dem bisher eher als Regisseur in Erscheinung getretenen Mervyn LeRoy ("Ein rastloses Leben", "Jagd auf James A."), verweigerte diesem aber den Wunsch, gleichzeitig auch die Regie zu übernehmen – mit dem freundlichen Hinweis, dass ihn eine Doppelfunktion hier wohl überfordern dürfte. Angesichts der nun folgenden aufwühlenden Produktionsgeschichte des Filmes vermutlich eine ziemlich treffende Feststellung.
Es gibt ja Filme, deren Produktionsgeschichte ist schon fast so aufregend und legendär wie das fertige Werk. "Der Zauberer von Oz" wartet mit gleich 14 am Drehbuch beteiligten Autoren und unzähligen unterschiedlichen Skripten auf, einem mehrfachen Austausch des Regisseurs, geplagten Schauspielerinnen und Schauspielern sowie dem ein oder anderen Unfall bei den Dreharbeiten. Von einer Horde aufgedrehter kleinwüchsiger Darstellerinnen und Darsteller mal ganz abgesehen, die das Studio für einige Tage in ein Tollhaus verwandelten. Beispielhaft für den Irrsinn hinter den Kulissen blicken wir jetzt einfach mal auf das wilde Stühlerücken bei den Regisseuren, bei dem die erste Veränderung schon vor dem Start der eigentlichen Dreharbeiten stattfand.

In der Vorproduktion durfte erstmal Norman Taurog ("Teufelskerle", "Skippy") ran – doch nach ein paar Testaufnahmen wurde dieser direkt für ein anderes Projekt abgezogen. Weiter ging’s mit Richard Thorpe, der offiziell als erster Regisseur in die Dreharbeiten startete – allerdings nur für knapp zwei Wochen. Das Studio war schnell mit dessen Leistung unzufrieden und engagierte kurzfristig George Cukor ("Vier Schwestern", "David Copperfield"), der allerdings nach wenigen Tagen bereits an das Set von "Vom Winde verweht" geordert wurde. Es übernahm Victor Fleming ("Manuel", "Der Testpilot"), der solange wie kein anderer durchhielt und noch heute als einziger im Abspann gelistet wird. Aber auch für ihn war frühzeitig Schluss, da sich inzwischen George Cukor am Set von "Vom Winde verweht" mit Clark Gable in die Haare bekommen hatte und Fleming nun die Großproduktion retten sollte. Was wiederum dafür sorgte, dass Flemings alter Kumpel King Vidor ("Ein Mensch der Masse", "Die Zitadelle") für die letzten zwei Wochen auf dem Regiestuhl einsprang und unter anderem viele der in Kansas spielenden Szenen abdrehte.
Klingt nach einem (zugegeben prominent besetzten) Regie-Flickenteppich – nur ist auf der Leinwand davon erstaunlich wenig zu spüren. Gerade die erste Hälfte von "Der Zauberer von Oz" ist traumwandlerisch perfekt inszeniert und durchdacht. Von der liebevollen Einführung der Figuren über die packende Wirbelsturmsequenz bis hin zum ikonischen visuellen Übergang von einem farblosen Farmhaus zu einer mit Technicolor durchtränkten Fantasy-Welt – noch heute ist das hier ein perfekt temperiertes Fest für die Sinne. Die Tatsache, dass man dabei stets genau sieht, wo die Kulisse aufhört und wo die bemalten Hintergründe anfangen, verstärkt den Charme des Films dabei nur noch. Weil eben gerade in Oz alles auf so wundervolle Art künstlich wirkt und in Kombination mit seiner knallbunten Farbpracht so die Sehnsucht nach einer traumhaften Fantasiewelt großartig eingefangen wird.

Locker und leichtfüßig navigiert dabei das Drehbuch unsere Figuren durch diese bezaubernde Kulissenlandschaft und bringt für seine simple Geschichte genau den richtigen Mix aus ein wenig Ernsthaftigkeit, vielen leicht selbstironischen Dialogen und vor allem unglaublich viel Wärme und Herzblut mit. Dabei setzt man, wie sich zeigt, vollkommen zu Recht, vor allem auf eine funktionierende Chemie innerhalb seines Schauspielensembles. Das Casting für Judy Garland entpuppt sich trotz deren bereits fortgeschrittenen Alters (Garland war zum Drehzeitpunkt bereits 16 Jahre alt) als absoluter Glücksgriff. Wie Garland hier perfekt den Grat zwischen naiver Unschuld vom Lande und entschlossener Abenteuerin mit großem Herz geht, ist schon ein kleines Meisterstück. Und das, obwohl Garland bei den Dreharbeiten ziemlich gelitten haben dürfte, da man unter anderem mit einem Korsett und appetitmindernden Medikamenten deren möglichst "kindgerechten" Körperbau sicherstellen wollte.
Ihren Schauspielkollegen ging es auch nicht viel besser, die unter teils extremen Temperaturen unter ihren Kostümen litten oder nach Unfällen gar erst mal mehrere Monate außer Gefecht waren. Und dann sind da ja noch die vielen Gerüchte rund um das wilde Treiben der kleinwüchsigen Munchkin-Darsteller am Set, die Stoff für einen kompletten weiteren Kinofilm bieten würden – wenn auch eher ungeeignet für ein jüngeres Publikum. Vermutlich kann man dem Ensemble kein größeres Kompliment machen als die Tatsache, dass selbst im Wissen all dieser Geschichten und Torturen man von der guten Laune auf der Bühne derart angesteckt wird, dass all diese Hintergrundgeräusche schnell komplett verblassen. Was natürlich auch an einer weiteren großen Stärke des Films liegt, nämlich vieler geradezu zum Mitsingen verführender Lieder.

Jedes Musical wäre wohl glücklich, wenn es solch einen hohen Ohrwurmfaktor generieren könnte, wie es "Der Zauberer von Oz" alleine in seinen ersten 30 Minuten schafft. „Ding-Dong! The Witch Is Dead“, „We’re Off to See the Wizard“ und natürlich "Over the Rainbow" – was für ein wundervolles Line-up. Für die Definition von guter Laune muss man einfach nur auf diese erste Hälfte des Filmes blicken, deren Leichtigkeit und Fröhlichkeit noch heute unglaublich ansteckend wirkt. Welche Ironie, dass ausgerechnet "Over the Rainbow", das berühmteste Lied des Filmes, zwischenzeitlich eigentlich aus der Schnittfassung geflogen war. Hatte man doch die Befürchtung, dadurch dem Film Tempo zu rauben. Man entschied sich schließlich doch dafür – manchmal braucht Kinomagie eben auch ein bisschen Glück.
Zugegeben, ein klein wenig verliert der Film in der zweiten Hälfte dann doch an Fahrt. Was zum großen Teil daran liegt, dass die Musikstücke hier nicht mehr ganz so markant ausfallen. Was aber bleibt ist ein weiterhin unglaublich charismatisches Ensemble, tolle Sets und eine wundervolle heimelige Grundstimmung. Wenn am Ende, zurück in Kansas, dann mit "There's no place like home" einer von so vielen berühmten Sätzen des Filmes fällt, kann man diesem nur lächelnd zustimmen. Und diese universelle und den kompletten Film durchziehende Botschaft ist vermutlich auch mit ein Grund dafür, warum dieser Film heute Klassikerstatus genießt. Für den es allerdings aber auch ein paar Jahre gebraucht hat, da der Film erst nach einer Wiederveröffentlichung im Jahre 1949 sein Geld wieder einspielte und zahlreiche Aufführungen im Fernsehen benötigte, um sich schließlich ins kollektive Gedächtnis des Publikums einzubrennen. Aber so ist das eben mit der Magie des Kinos, wirklich planen lässt die sich nie.
"Der Zauberer von Oz" ist aktuell als Blu-ray sowie digital auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer zum Film
"Somewhere over the Rainbow" mit Judy Garland
Ausführliches Making-of zum Film
Ausblick
In unserer nächsten Folge erwartet uns eine kleine Dosis Melodrama und ein bisher von mir heiß geliebter Regisseur – ob das gar zur dritten Höchstwertung in Serie führen wird?
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