Der Testpilot

MOH (89): 11. Oscars 1939 - "Der Testpilot"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 7. Januar 2025

In unserer letzten Folge hatte das Auftauchen mehrere Männer das bis dato entspannte Leben gleich mehrere Frauen auf den Kopf gestellt. Ähnliches Erschütterungspotential hat der Auftritt unseres heutigen Protagonisten, mit dem man sich das Eingehen einer Beziehung besser zweimal überlegen sollte.

Der Testpilot

Originaltitel
Test Pilot
Land
Jahr
1938
Laufzeit
119 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

"More Stars than there are in heaven" – mit diesem ikonischen Slogan avancierte Metro-Goldwyn-Mayer in den 1930er-Jahren zum führenden Studio für starbesetzte Prestigeproduktionen. Genau eine solche haben wir hier nun vor uns: Regisseur Victor Fleming, kurz vor seinen Klassikern "Der Zauberer von Oz" und "Vom Winde verweht" stehend, bekam für "Der Testpilot" mit Clark Gable, Spencer Tracy und Mryna Loy gleich drei der damals beliebtesten Stars zur Verfügung gestellt. Klingt vielversprechend, genauso wie die Geschichte rund um einen wagemutigen Testpiloten, dessen Besessenheit gerade in der zweiten Hälfte alle in den Untergrund zu reißen droht. Doch so richtig gelingt es dem Film nicht die nötige emotionale Tiefe zu schaffen, damit sich dieses Drama am Ende als beeindruckender Höhenflug entpuppt.

Höhenflüge sind auf jeden Fall die Aufgabe des Testpilots Jim Lane (Clark Gable, "San Francisco", "Es geschah in einer Nacht"), der für das amerikanische Militär die modernsten Flugzeuge testet und an ihre Grenzen bringt. Bei einer Notlandung auf einer Farm in Kansas trifft Jim auf Ann (Myrna Loy, "Der große Ziegfeld", "Der dünne Mann"), die sich Hals über Kopf in unseren Bruchpilot verliebt. Schon kurz darauf erklingen für die beiden die Hochzeitsglocken, was Jims Mechaniker und bester Freund Gunner (Spencer Tracy, "Manuel", "Lustige Sünder") mit Unbehagen beobachtet. Er kennt seinen Freund genau und weiß, dass dessen einzig wahre Liebe hoch oben in den Wolken liegt. Und auch Ann beginnt bald zu ahnen, dass Jims Obsession für das Fliegen eher Fluch als Segen ist.
 


Man kann "Der Testpilot“ in zwei Abschnitte unterteilen. In der ersten Hälfte erwartet uns im Wesentlichen eine klassische romantische Komödie, bei der sich unser ungleiches Paar erst einmal beschnuppern darf – die üblichen kleinen Reibereien inklusive. In der zweiten Hälfte driftet der Film dann schnell in Richtung Drama, da sich Jims krankhafte Sehnsucht nach Nervenkitzel als Gift für die Beziehung entpuppt, Ann aber zu fasziniert von diesem Mann ist, um loszulassen. In dieser Hinsicht ist das Casting von Clark Gable schon fast ein No-Brainer. Dessen unglaubliches Charisma haben wir ja schon in „Meuterei auf der Bounty“ ausgiebig gefeiert. So lässt es sich dann auch leicht nachvollziehen, wieso dieser abenteuerlustige Zeitgenosse so attraktiv auf Ann wirkt – die zeitlebens von der großen Liebe abseits des unaufgeregten Farmlebens geträumt hat.

Und doch mag die Figur von Jim in ihrer Gesamtheit nicht so ganz überzeugen. Gable hat nämlich so seine Probleme, die selbstzerstörerischen Seiten dieser Figur authentisch auf die Leinwand zu bringen. Gefühlt steckt in ihm immer noch der leicht schelmisch grinsende Lausbub aus früheren Rollen, was in den dunkleren Momenten irgendwie nicht ganz passen will. Auch wenn Jim besonders tough auftritt, wirkt das manchmal etwas zu aufgesetzt. Eine Teilschuld darf man aber an das Drehbuch weiterreichen, da manche Szenen schon auf dem Papier ihre Probleme haben. Ob Jims direkte Reaktion auf ein dramatisches Ereignis oder auch sein anschließender Besuch bei einer trauernden Witwe – hier und da wirken manche Dialoge zu bemüht herzlos und im Kontext der bisher gezeigten Figur etwas unglaubwürdig.
 


So hatte ich immer das Gefühl, dass sowohl Gable als auch das Drehbuch eher widerwillig und folglich inkonsequent die Figur in Richtung Selbstzerstörung schicken. Dementsprechend knirscht es in der Geschichte hin und wieder etwas. Das lässt sich aber auch für den romantischen ersten Teil des Films sagen, für den man ja eigentlich eine traumhafte Ausgangssituation hatte. Passt doch Gables süffisantes Charisma perfekt zur großen Stärke von Myrna Loy, die sowohl in "Lustige Sünder“ als auch "Der dünne Mann“ einfach ein großartiges Talent für schnippische Wortgefechte und eiskalt servierte Ironie an den Tag gelegt hatte (und so aktuell gerade zu einer meiner Lieblingsschauspielerinnen dieser Zeit avanciert). Da müssten doch jetzt die Funken sprühen. Doch auch wenn das hier und da schon ganz unterhaltsam ist, ganz so luftige Höhen erreichen die Wortscharmützel leider nicht. Das liegt mit daran, dass Jim nie wirklich echtes Interesse an Ann zu haben scheint, sodass manche Neckereien einfach an ihm abprallen, anstatt spielerisch von ihm wieder aufgenommen zu werden.

So ist der Kennenlernprozess der beiden zwar ganz nett anzuschauen, aber er bekommt nicht genug Zeit und Tiefe spendiert, um wirklich emotional mitzureißen. Wenn Jim dann noch vor der Hälfte des Films sein Flugzeug wendet, um mit Ann den nächstgelegenen Traualtar aufzusuchen, kommt diese Entscheidung ziemlich aus dem Nichts. Die Konsequenz ist ein etwas wackeliges emotionales Gerüst, mit dem die Geschichte jetzt Kurs in Richtung Drama nimmt – keine ideale Voraussetzung. Was besonders schade ist, da die in der zweiten Hälfte sich über alles legende Tragik etwas sehr Faszinierendes hat. Bei aller bisheriger Kritik: Wie sich hier langsam ein Schatten über alles legt und Ann selbstreflektierend das Geschehen kommentiert, ist viel zu interessant, um komplett emotionslos an einem vorüberzugehen. Und sowohl Gable als auch Loy sind viel zu gute Schauspieler, als dass sie manche Schwächen ihrer Figuren und des Drehbuchs nicht doch immer wieder elegant überspielen könnten.
 


Das heimliche Herz des Films ist aber der von Spencer Tracy gespielte Gunner, der das Geschehen sozusagen aus „neutraler“ Position beobachtet und so zum emotionalen Anker des Publikums wird. Gefühlt wird Tracy mit jedem weiteren Film, den ich mit ihm in unserer Oscar-Reihe sehe, ein Stückchen besser. Hier reicht es schon, dass er nachdenklich das Treiben im Hintergrund einfach nur beobachtet, damit man mit seiner Figur mitfühlt. Tracy schafft es auf berührende Art, das innere Ringen von Gunner angesichts der eigenen Hilflosigkeit gegenüber der sich entfaltenden Tragödie auf die Leinwand zu bringen – und das oft ganz ohne Worte.

So mag „Der Testpilot“ bei weitem nicht das Potenzial der Geschichte ausschöpfen, interessant anzuschauen ist das Ganze dennoch. Was auch an einigen temporeichen Flugszenen liegt, die dank einer Kooperation mit dem US-Militär nicht gerade klein ausfallen. Wobei man zu Beginn des Films in einer Texttafel natürlich darauf hinweist, dass die Unfallquote im Film nicht die Realität widerspiegelt – das Grundvertrauen in die Kompetenz der eigenen Streitkräfte möchte man hier lieber nicht erschüttern. Bei all dem Aufwand gibt es aber auch ein paar Szenen, in denen schon sehr offensichtlich einfach nur kleine Modelle abgefilmt wurden – was heute schon etwas Niedliches hat. Wobei ich mich hier frage, wie diese Szenen eigentlich im Jahr 1938 im Kino wahrgenommen wurden. Ist der Einsatz dieser einfachen Tricktechnik nur aus heutiger Sicht offensichtlich? Oder hat man damals schon mit einem kleinen Grinsen im Kinosessel gesessen?
 


Die Antwort wird sich wohl leider nicht mehr klären lassen. Ein großer Erfolg beim Publikum war der Film damals trotzdem. Im 21. Jahrhundert bleibt uns, trotz deutlicher Schwächen, auf jeden Fall ein immer noch interessanter Streifen, der den etwas unrunden Mix aus Romanze und Drama durch andere Stärken zumindest halbwegs gut übertünchen kann. Etwas ärgerlich ist aber noch das inkonsequente Ende, bei dem man den Fokus eher auf die „Bedürfnisse“ des Mainstream-Publikums als die Integrität der Figuren legt. Ganz knapp reicht es aber noch für das siebte Auge in unserem Wertungskasten – im Wissen der Tatsache, dass die wirklich großen Klassiker mit Gable und Fleming ja bald folgen werden.

"Der Testpilot" ist aktuell leider nicht als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar. Aber das Internet ist ja groß;-)

 


Trailer des Films
 


Ausschnitt: Jim landet auf der Farm und direkt im Herzen von Ann.


Ausblick
In unserer nächsten Folge erwartet uns wieder eine Mischung aus Drama und Romanze. Mit einem Nobelpreisträger als Drehbuchautor könnte das ja vielleicht eine noch rundere Angelegenheit werden.


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