MOH (74): 9. Oscars 1937 – "Der große Ziegfeld"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
Mit einer spektakulärem Katastrophensequenz hatte in der letzten Folge unserer Oscar-Reihe “San Francisco“ so manche Storyschwäche kaschieren können. Doch selbst eine der wohl aufwendigsten Musical-Nummern der Filmgeschichte kann nicht vergessen machen, wie zäh sich die drei Stunden von “Der große Ziegfeld“, dem Oscar-Gewinner der neunten Academy Awards 1937, anfühlen.
Der große Ziegfeld
Eigentlich wollte ich das Intro zur heutigen Oscar-Kritik mit einer Warnung starten. Es kommt ja eher selten vor, dass man Filme der 1930er Jahre auf einem der großen Streaming-Portale entdeckt. So war ich positiv überrascht, dass “Der große Ziegelfeld“ tatsächlich auf Amazon Prime zu finden war. Doch die Vorfreude währte nicht lange, handelt es sich dabei doch um die deutsche Schnittversion aus dem Jahr 1950. Die wohlgemerkt mit der Feinfühligkeit einer Kettensäge produziert wurde, ist die deutsche Fassung doch eine komplette Stunde (!) kürzer als das knapp dreistündige Original. Was für eine unwürdige Verstümmelung sollte man meinen, doch angesichts der unglaublich zähen Originalversion ist die Idee eines “deutschen Super-Cuts“ tatsächlich irgendwie nachzuvollziehen. Das viel zu aufgeblasene und keinerlei Spannungsbogen aufweisende Drama rund um einen berühmten amerikanischen Broadway-Produzenten entpuppt sich in seiner amerikanischen Langversion nämlich als wirklich harter Geduldsbrocken. Und am Ende als unverdienter Gewinner des besten Films bei den neunten Academy Awards des Jahres 1937.
Immerhin zeigte man schon damals ein wenig Verständnis für sein Publikum und spendierte dem Film nach der Hälfte seiner Laufzeit eine mit Musik unterlegte kleine Intermission (Pause). Die 98 Jahre später mir einen guten Anlass gibt durchzuatmen und bis zum nächsten Abend zu warten, bevor ich mir die zweite Hälfte des Filmes gönne. Ein solch gestückelter Filmgenuss ist ja eigentlich für Cineasten ein Unding, aber “Der große Ziegfeld“ macht es einem wirklich leicht Interesse zu verlieren – obwohl man in den ersten 20 Minuten ein noch halbwegs ordentliches Ausgangsszenario etabliert.
Die Vorlage für den Film bildet das illustre Leben des nur wenige Jahre vor Produktionsbeginn gestorbenen berühmten amerikanischen Showproduzenten Florenz Ziegfeld jr., gespielt von William Powell (“Der dünne Mann“). Der meist knapp an der Pleite vorbeischrammende Ziegfeld liefert sich im Film mit seinem Konkurrenten Jack Billings (Frank Morgan, “Tolle Marietta“) ein Wettrüsten um die besten Attraktionen und spannt diesem hierfür nur zu gerne auch schon mal den ein oder anderen Star aus. So lässt sich Ziegfeld dann auch von Billings erfolgreicher Vorliebe für hübsche Sängerinnen “inspirieren“ und schnappt diesem einfach die attraktive Französin Anna (Luise Rainer) vor der Nase weg. Mit Anna feiert Ziegfeld aber nicht nur große Bühnenerfolge, die gute Dame wird von ihm auch relativ zügig geehelicht. Doch geschäftlicher Erfolg und möglichst extravagante Shows scheinen für Ziegfeld wichtiger als menschliche Beziehungen zu sein und so droht Anna schon bald nur eine von vielen attraktiven Künstlerinnen in Ziegfelds riesigem Ensemble (den sogenannten Ziegfeld Follies) zu werden. Erst recht, als Ziegfeld den aufstrebenden Star Billie Burk (Myrna Loy, "Lustige Sünder") kennenlernt.
Eigentlich wirkt der eher mit etwas Augenzwinkern betriebene Wettstreit zwischen Ziegfeld und Billings zu Beginn des Filmes durchaus vielversprechend. Kombiniert mit einem Blick hinter die Kulissen der glitzernden Showbranche könnte das ja ganz unterhaltsam werden. Doch auch wenn deren kleinen Egospiele in der ersten halben Stunde hier und da für ein Schmunzeln sorgen, so richtig Fahrt nimmt dieses Duell nicht auf. Dazu wirken sowohl die Dialoge als auch die Inszenierung bereits hier schon etwas behäbig und gerade William Powell schafft es nur bedingt seinen ansteckenden Charme aus Filmen wie “Lustige Sünder“ oder “Der dünne Mann“ zu entwickeln.
Mit angezogener Handbremse durch eine Story zu tuckern ist natürlich kein großes Vergnügen. Wenn diese Fahrt aber dann auch noch fast drei Stunden dauert wird es wirklich kritisch. Selbst die ja zumindest halbwegs vergnüglichen Neckereien zwischen Ziegfield und Billings nutzen sich schon bald immer weiter ab, da hier schlichtweg den ganzen Film über nichts Neues passiert und keine der beiden Figuren sich auf interessante Art und Weise weiterentwickelt. Das ist gerade bei Ziegfeld, dem großen Anker des Films, frustrierend. Abgesehen davon, dass er immer größere Shows produzieren möchte bleibt der Mann hier leider ein unbeschriebenes Blatt. Das ändert auch dessen Beziehung zu Anna nicht, deren Figur ebenfalls exemplarisch für das große Problem des Filmes steht.
Zu Beginn wirkt nämlich auch diese Figur mit ihrer emotionalen Fragilität und sprunghaften Laune erst einmal durchaus interessant. Gespielt wird Anna von der heute fast völlig in Vergessenheit geratenen Luise Rainer – der einzigen deutschen Schauspielerin, die je einen Oscar gewinnen konnte. Und das waren sogar gleich zwei Auszeichnungen in der Kategorie “Beste Hauptdarstellerin“, da Rainer sowohl 1937 für “Der große Ziegfeld“ als auch 1938 für “Die gute Erde“ die Trophäe überreicht bekam – danach aber ihre Hollywoodkarriere still und heimlich beerdigte. Nach ordentlichem Beginn stagniert aber auch ihre Figur hier schon bald und die ähnlichen und sich ständig wiederholenden Konflikte mit Ziegfeld wirken dann eher ermüdend als fesselnd. Was schließlich in einer emotionalen Telefonszene mündet, in der Rainers übertriebene Theatralik die Figur sich endgültig mehr vom Publikum entfernen als näherrücken lässt (was bei mir Erinnerungen an ein ähnlich überdramatisiertes Telefongespräch von Greta Garbo in einem anderen Oscar-prämierten Film weckte).
Wo wir gerade bei Enttäuschungen sind, gerade nach ihrem großartigen gemeinsamen Auftritt in “Lustige Sünder“ hatte ich große Hoffnungen auf das Leinwandpaar William Powell und Myrna Loy gesetzt. Doch letztere darf, trotz prominenter Platzierung auf dem Filmplakat, hier erst ganz am Schluss eingreifen. Davor wird sie wahrlich schmerzlich vermisst, denn hier und da blitzt das für William Powell so typische süffisante Spiel zwar immer mal wieder auf, doch ohne Loy fehlt der adäquate Gegenpart um den Ball in diesen Szenen aufzunehmen. Als Loy dann endlich die Bühne betritt ist die Gesamtstimmung hier gefühlt schon derart sediert, dass selbst ihre natürliche Chemie mit Powell nicht mehr für die große Wende sorgen kann. Was auch daran liegt, dass deren Beziehung nicht nur viel zu brav und ohne großen Wortwitz, sondern auch noch völlig überhastet geschildert wird. Angesichts der davor so zäh dahinplätschernden Handlung ist es ein großes Rätsel, warum ausgerechnet bei einem für den Film emotional so wichtigen Grundgerüst wie deren Kennenlernprozess nun so mit der Zeit geknausert und alles in nur wenigen Minuten humorlos abgefrühstückt wird.
Die Wahrheit ist, “Der große Ziegfeld“ ist nicht wirklich an seinen Figuren sondern viel mehr an den Showelementen interessiert. Im Wesentlichen ist der Film eine Nummernrevue, mit relativ unmotivierten und viel zu aufgeblähten Charakterinteraktionen zwischendrin. In die Showauftritte floss neben deutlich mehr Aufmerksamkeit auch offensichtlich jede Menge Geld hinein, was insbesondere bei einer unglaublich aufwendigen Gesangseinlage rund um eine gigantische Hochzeitstorte deutlich wird. Tatsächlich ist das eines der beeindruckendsten Sets, das ich je in einem Film gesehen habe und für eine kurze Zeit schafft es der Film hier tatsächlich, eine wirklich große Show zu bieten. Bezeichnend ist aber auch, dass diese rein von der Bühne abgefilmte Sequenz sich dann doch wieder viel zu lange hinzieht und bis auf einen absolut großartigen Shot am Ende auch nicht wirklich packend inszeniert daherkommt.
Was man übrigens auch über die zahlreichen anderen Showelemente des Filmes sagen kann, die alle zwar irgendwie nett anzuschauen sind, aber eben eher durch Größe als Herz überzeugen. Oft sind diese Auftritte eher schludrig in die Handlung integriert und haben der Story auch nie wirklich etwas hinzuzufügen. Unsere Hauptfiguren sind daran meist ja auch gar nicht beteiligt und da man auch keinerlei interessante Hintergrundinfos zur Entstehung der jeweiligen Shownummern erfährt, bleibt trotz schöner Bilder am Ende eine gewisse Leere beim Betrachter.
Warum “Der große Ziegfeld“ beim damaligen Publikum und der Kritik dann aber doch ein riesiger Erfolg war? Abgesehen von der Tatsache, dass klassische Bühnenshows damals deutlich stärker im Mainstream verwurzelt waren und derart aufwendige Bühnenbilder damals noch für ein deutlich größeres Staunen gesorgt haben dürften, ist vermutlich auch die Frische der Geschichte ein Grund. Der echte Ziegfeld war erst wenige Jahre zuvor gestorben, seine Karriere und Werke allen ein Begriff. Manchen Nebenfiguren dürften wohl damals auch für ein emotionales Raunen beim Publikum gesorgt haben. So spielt die berühmte Fannie Brice, die einst bei den Ziegfeld Follies eine prägende Rolle innehatte, sich im Film selbst. Ein solcher selbstreferenzieller Auftritt war ebenfalls für den damals beliebten Komiker Will Rogers (“Jahrmarktsrummel“) geplant, dem die Ziegfeld Follies einst ebenfalls den großen Durchbruch ermöglicht hatten. Ein tödlicher Flugzeugabsturz im Jahr 1935 warf aber die ganze USA in Trauer und sorgte dafür, dass Rogers im Film durch einen anderen Darsteller ersetzt wurde – was beim Publikum wohl ebenfalls ein emotionales “Wiedersehen“ ausgelöst haben dürfte.
Eine noch wichtigere Antwort liefert aber die Hauptfigur des Filmes selbst. Gegen Ende realisiert Ziegfeld, dass sein Publikum inzwischen anstatt einer reinen Nummernrevue wohl doch lieber eine Show mit einer richtigen Story bevorzugen würde. Tatsächlich war das der Grund, warum die echten Ziegfeld Follies in den 1930ern an Popularität verloren und durch den Tonfilm sowie die sogenannten “Book-Musicals“ am Broadway abgelöst wurden. Schade nur, dass der Film daraus nicht selbst Lehren zieht und gerade angesichts einer so opulenten Laufzeit uns deutlich interessante Handlungsstränge präsentiert. Alleine die teils spektakulären Sets und ein paar harmlose Neckereien
sind bei 176 Minuten Laufzeit schlicht nicht genug, um diesen Film empfehlen zu können. Ganz zu schweigen davon, dass jeder andere Film in diesem Jahr den Gewinn des Oscars mehr verdient hätte.
"Der große Ziegfeld" ist aktuell sowohl als DVD als auch im Streaming (Vorsicht: gekürzte deutsche Version) auf Amazon verfügbar.
Trailer zum Film
Die große Hochzeitstorte
Überblick 9. Academy Awards
Alle nominierten Filme der Kategorie “Outstanding Picture“ der achten Academy Awards 1937 nochmal auf einen Blick:
- "Der große Ziegfeld" (5/10)
- "Ein rastloses Leben" (6/10)
- "Louis Pasteur" (7/10)
- "Flucht aus Paris" (9/10)
- "Drei süße Mädels" (6/10)
- "Romeo und Julia" (6/10)
- "Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds" (8/10)
- "Mr. Deeds geht in die Stadt" (7/10)
- "Lustige Sünder" (8/10)
- "San Francisco" (7/10)
Ausblick
In unserer nächsten Folge klappt das mit der guten Unterhaltung ebenfalls nicht so richtig – dafür schreiben wir aber mit unserem ersten Farbfilm immerhin Oscar-Geschichte.
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