MOH (66): 9. Oscars 1937 – "Louis Pasteur"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
Letzte Woche hatten wir in unserer Oscar-Reihe mit “Ein rastloses Leben“ eine sehr modern wirkende Inszenierung bestaunt, nun drehen wir mit dem sehr klassisch und schon fast behäbig umgesetzten “Louis Pasteur“ die Zeit wieder deutlich zurück. Was aber ja nicht unbedingt eine schlechte Sache sein muss.
Louis Pasteur

Starten wir erst einmal mit einem kleinen Blick hinter die eigenen Kulissen. Bei solch einem zeitintensiven Projekt wie dieser Oscar-Reihe, bei dem jede Woche eine Rezension von insgesamt über 400 “Best Picture“-Kandidaten erscheinen soll, kommt man schon aus privaten Gründen (Urlaub wäre ja auch mal schön) gar nicht umhin Texte vorzuproduzieren. Was wiederum zur Situation führt, dass man an einem ruhigen Sonntagabend auch mal direkt zwei Filme hintereinander anschaut. Im Fall von “Louis Pasteur“ sorgte dieses Szenario für einen kleinen Kulturschock. Hatten davor noch der schnelle Erzählrhythmus und die intensive Dauerbeschallung von “Ein rastloses Leben“ einen an den Rand der Erschöpfung getrieben, zog “Louis Pasteur“ gefühlt direkt danach die Adrenalin-Handbremse.
Beide Filme widmen sich dem aufregenden Leben zweier rastloser Männer, könnten aber in ihrer Umsetzung nicht unterschiedlicher sein. Dauerbeschallung weicht Stille, hektische Action gemächlich geführten Dialogen und aufregende Locations nun meist eher heimelig wirkenden Sets. So statisch und behäbig “Louis Pasteur“ aber auch über weite Strecken daherkommt, am Ende entpuppt er sich als der bessere Film – und das trotz einer deutlich berechenbaren Story. Was vor allem an einem charismatischeren Hauptdarsteller und einer gerade in der heutigen Zeit angenehm klingenden Wohlfühl-Botschaft liegt.

Diesmal befinden wir uns Mitte des 19. Jahrhunderts, als wir auf den in Frankreich umstrittenen Chemiker Louis Pasteur (Paul Muni, “Jagd auf James A.“) treffen. Dessen Aussage, dass Keime Infektionen auslösen und für das so gefährliche Kindbettfieber verantwortlich sind, wird von der Wissenschaftselite des Landes mit Spott überzogen. Vor allem der anerkannte Dr. Charbonnet (Fritz Leiber) kritisiert Pasteur, der unter dem Druck Paris verlässt und in die ländlich geprägte Region Arbois zieht. Einige Jahre später steht die Wissenschaft dann vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe. Ganz Frankreich wird von einer Milzbrand-Epidemie heimgesucht, die den Viehbestand auf dramatische Weise reduziert. Ganz Frankreich? Nein. Eine kleine ländliche Region scheint der Epidemie erfolgreich Widerstand zu leisten. Und so reisen schon bald die beiden Ärzte Radisse (Raymond Brown) und Martel (Donald Woods) nach Arbois, um die Arbeit von Pasteur vor Ort genauer unter die Lupe zu nehmen.
Erzählerisch hat man sich in “Louis Pasteur“ ordentlich was vorgenommen. Man möchte die wichtigsten Lebensstationen und Entdeckungen des berühmten Wissenschaftlers schildern, der vor allem durch seine Arbeiten zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten Geschichte geschrieben hat. Was unter anderem dessen langjährigen Kampf gegen das Kindbettfieber, die Milzbrand-Epidemie und später Tollwut beinhaltet und natürlich eine Menge Inhalt für nicht einmal anderthalb Stunden Film ist. Alles Themen, die auf den ersten Blick jetzt auch nicht wirklich nach einem großen Erfolg an der Kinokasse klingen. Darum darf man ruhig erst einmal den Produzenten auf die Schulter klopfen, denn der Wissenschaft eine große Bühne zu geben erfordert in dem Business sicher auch eine Spur sympathischen Idealismus.

Den Geschäftssinn Hollywoods kann man damit aber natürlich nicht übertünchen und so verfügte der Film über ein (an das zu erwartende niedrige Einspielergebnis angepasste) kleine Budget. Für einen Film, dessen Story-Höhepunkte sich zwangsläufig eher in einem Labor als einem spektakulären Outdoor-Set abspielen ist das aber verkraftbar. Die Inszenierung fällt ebenfalls sehr unspektakulär aus, da man vor allem auf das Motto “In der Ruhe liegt die Kraft“ setzt. Der deutsche Regisseur William Dieterle, über dessen interessanten Werdegang wir ja schon bereits in “Ein Sommernachtstraum“ kurz gesprochen haben, wählt eine sehr statisch wirkende Kameraführung, die das Geschehen etwas träge wirken lässt. Das so gut wie keine Musik eingesetzt wird lässt die Emotionen jetzt auch nicht gerade in die Höhe schnellen und so kommt der Film doch schon sehr altbacken daher.
Angesichts des ernsten Themas ist solch eine Inszenierung zwar irgendwie passend, ein klein wenig mehr Einfallsreichtum und Energie hätte man sich dann aber doch gewünscht. Auch in Sachen Story scheut man Kreativität und zeichnet das Leben Pasteurs zwar relativ akkurat aber eben auch überraschungsarm nach. Das geht natürlich schon in Ordnung, man hüpft aber manchmal schon etwas hüftsteif von einem Lebenspunkt Pasteurs zum nächsten – was angesichts der kurzen Laufzeit des Filmes aber auch irgendwie verständlich ist. Auch die Nebenfiguren wirken etwas behäbig und gerade die weiblichen Rollen agieren vor allem nur als Stichwortgeber für unsere alles überragende Hauptfigur. Und natürlich baut man für das Publikum noch eine kleine Romanze zwischen Martel und Pasteurs Tochter ein, die es so nie gegeben hat und die auch komplett überflüssig ist.

So lebt der Film in der ersten Hälfte vor allem von dem Reiz, dass ein solches Thema einem sonst im Kino nur selten über den Weg läuft und man trotz der etwas steifen Inszenierung Pasteur doch mit Neugier über die Schulter blickt. Letzteres liegt wiederum daran, dass dem Film eine wichtige Sache richtig gut gelingt, nämlich eine sympathische Hauptfigur zu erschaffen. Paul Muni gelingt es eine perfekte Mischung aus moralisch motiviertem Ehrgeiz, in sich gekehrtem Nerdtum und liebevollen Familienvater zu kreieren, die man einfach sehr schnell ins Herz schließt. Dazu spielt Muni hier und da seine Rolle auch mit einem leichten Augenzwinkern, was ein wenig die thematische Schwere des Themen (wie zum Beispiel Kindstod) abmildert. Zugegeben, das ist natürlich eine schon sehr überhöhende und damit auch etwas naiv wirkende Charakterzeichnung. Für die Identifikation mit dem Publikum taugt es aber vorzüglich. Und irgendwie passt es auch zur sehr geradlinigen Story, die für sich einen klaren Helden ausgemacht hat und da auch gar keine Zweifel aufkommen lassen möchte.
Die Auszeichnung für den besten Hauptdarsteller bei der Oscar-Verleihung 1937 hat Muni so durchaus verdient, da er der Hauptgrund ist, warum “Louis Pasteur“ funktioniert. In der zweiten Hälfte des Films unterstützt ihn das Drehbuch dann aber auch etwas mehr, wenn ein Wettstreit zwischen Wissenschaftlern und der Kampf um das Leben eines Kindes etwas mehr Emotionalität in das Geschehen bringen. Und wenn am Ende dann Pasteur mit den Russen kooperiert und man gemeinsam im Sinn der Wissenschaft an einem Strang zieht, dann geht einem angesichts der aktuellen politischen Situation auch ein klein wenig das Herz auf. Die positive Stimmung von “Louis Pasteur“ und der wundervolle Hauptdarsteller lassen so zum Teil darüber hinwegsehen, dass dieser Film ein wenig den künstlerischen Stock im Arsch hat und ein eher berechenbares Highlight-Reel vom Leben Pasteurs auf die Leinwand bringt. Dank dem Herz am richtigen Fleck reicht es aber so immer noch zu einem netten Filmabend, bei dem man sich am Ende wünscht, dass die heutige Welt sich von der Botschaft des Filmes doch eine kleine Scheibe abschneiden könnte.
"Louis Pasteur" ist aktuell als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer zu "Louis Pasteur"
Ausblick
In unserer nächsten Folge finden wir uns ebenfalls im Frankreich des 19. Jahrhunderts wieder. Diesmal aber auf den Spuren eines berühmtesten Literaturklassikers, dessen filmische Umsetzung uns in die Zeit der französischen Revolution versetzt.
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