Mr. Deeds geht in die Stadt

MOH (71): 9. Oscars 1937 – "Mr. Deeds geht in die Stadt"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 3. September 2024

In unserer letzten Folge habe ich mich in “Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds“ ja angesichts einer großartigen Story über einen etwas unpassend wirkenden Hauptdarsteller beschwert. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die Kritik von “Mr. Deeds geht in die Stadt" – und das trotz einem großen Star in der Hauptrolle.

Mr. Deeds geht in die Stadt

Originaltitel
Mr. Deeds Goes to Town
Land
Jahr
1936
Laufzeit
115 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

Im Studiosystem Hollywoods war es für Regisseure nicht einfach eine eigene Handschrift zu entwickeln. Gelungen ist das in den 1930er Jahren allerdings dem Filmemacher Frank Capra, dessen Werke oft stilsicher zwischen Komödie und Tragödie schwankten, nur um am Ende auf meist märchenhafte Art und Weise Mitgefühl und Nächstenliebe zu propagieren. Damit bescherte uns Capra in seiner Laufbahn so berühmte Filmklassiker wie “Es geschah in einer Nacht“, “Ist das Leben nicht schön“ oder “Arsen und Spitzenhäubchen“. Viele der typischen Capra-Zutaten finden sich auch im 1936 für den Oscar nominierten “Mr. Deeds geht in die Stadt“. Dort sorgen sie zwar für ein durchaus charmantes Filmerlebnis, können aber angesichts einer eher verschlossen wirkenden Hauptfigur nicht ihr komplettes Potential entfalten.

Jede Menge neues Potential bietet sich in unserer Geschichte ganz überraschend dem in einfachen Verhältnissen lebenden Longfellow Deeds (Gary Cooper, “Bengali“, “In einem anderen Land“). Nach dem Tod eines reichen Bankiers machen dessen Anwälte nämlich ausgerechnet das in einer Kleinstadt als Glückwunschkarten-Dichter arbeitende “Landei“ als alleinigen Erben aus. Doch Deeds kommt zur Überraschung aller erst mal eher wiederwillig mit nach New York, um dort sein millionenschweres Erbe anzutreten. Während er in der großen Stadt in seinem neuen Butler Walter (Raymond Walburn) und dem Journalisten Cobb (Lionel Stander) erste Verbündete findet, scheinen die meisten seiner neuen Begegnungen ihn aber entweder ausnehmen oder sich über ihn lustig machen zu wollen. Allen voran die Klatschreporterin “Bebe“ Benet (Jean Arthur), die in Aussicht auf eine tolle Titelstory dem nichtsahnenden Longfellow Avancen macht.
 


Man soll als Kritiker ja eigentlich immer nur den Film bewerten, den man vor sich hat. Und doch habe ich mich gleich mehrmals beim Anschauen von “Mr. Deeds geht in die Stadt“ dabei ertappt, dass ich mir den guten alten James Stewart herbeigewünscht habe. Frank Capras Film steckt wiedereinmal voller schöner Momente und charmanter Botschaften, weist aber eben leider eine nur schwer zu übersehende Schwachstelle auf. Bereits in “In einem anderen Land“ kam Gary Cooper ja etwas ungelenk und kühl daher, was das Aufblühen der dort geschilderten Romanze schon fast im Keim erstickte. Deutlich besser passte Coopers in sich gekehrtes Spiel dafür zu seiner Rolle in “Bengali“ – auch mangels romantischem Gegenpart. Unter der Regie von Capra ist jetzt aber wieder charismatische Leichtigkeit gefragt und genau das stellt Cooper vor deutliche Probleme.

Zugegeben, auch wie die Rolle von Deeds im Drehbuch angelegt ist darf kritisch hinterfragt werden. Die Mischung aus Poet und ländlichem Raufbold wirkt von Anfang an irgendwie nicht stimmig. Seine Entscheidung in New York das Erbe anzutreten wirkt auch etwas arg forciert, da er beim Überbringen der Kunde eigentlich die ganze Zeit eine ablehnende Haltung zeigt. Was wirklich in Deeds Kopf vorgeht versteht man auch dank dem nicht gerade nuancenreichen Spiel von Cooper kaum. Sein Deeds wirkt oft gelangweilt und teils fast abwesend, was insbesondere auch die sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte mit “Bebe“ deutlich abbremst. Mehrere Versuche der Figur mit typischen Capra-Einfällen Leichtigkeit zu verleihen zünden ebenfalls nur bedingt. So wirkt das kindliche Herunterrutschen am Treppengeländer bei Deeds irgendwie mehr erzwungen als natürlich.
 


Das Deeds dazu auch noch leicht reizbar ist und dabei auch gerne mal zuschlägt macht ihn jetzt auch nicht gerade sehr sympathisch – und das Anfreunden mit dieser Figur zu einer eher zähen Angelegenheit. Unter diesem Extragewicht leidet die Geschichte doch spürbar, da emotionale Höhenflüge so einen deutlich größeren Anlauf benötigen. Es ist der Klasse von Capra und dem naiven Zauber der Geschichte an sich zu verdanken, dass der Film trotzdem immer noch unterhaltsam ausfällt. Wiedereinmal umgibt Capra seinen Helden mit ein paar interessanten da sehr eigen wirkenden Weggefährten – darunter vor allem Raymond Walburn als Butler und Lionel Stander (der in den frühen 1980er Jahren als Butler in der Serie “Hart aber Herzlich“ Bekanntheit erlangte) als Journalist. In vielen kleinen Szenen blitzt oft dann auch das meisterhafte komödiantische Timing von Capra auf. Immer wieder sind da diese netten abstrusen Momente, wenn zum Beispiel mehrere Figuren das Echo-Potential eines Raumes testen, die auf charmante Weise irritierend wirken. Und dem Film eben genau diesen herzerwärmenden Capra-Touch verleihen.

All das kulminiert am Ende dann in einer großen Szene im Gerichtssaal, in der Capra und seine Geschichte zur Höchstform auflaufen. Wundervoll schrullige Nebenfiguren, einfallsreicher Humor und wie immer eine natürlich herzensgute Botschaft sorgen hier für einen wirklich schönen Höhepunkt. Gerade Deeds Grundsatzrede zum Thema menschliche Macken ist dann liebenswürdiges Capra-Kino in seiner pursten Form. Und doch beschleicht einen auch hier das Gefühl, dass mit einer anders angelegten und auch anders gespielten Hauptfigur noch mehr Emotion drin gewesen wäre. Aber einen James Stewart kann man sich natürlich jetzt nachträglich nicht schnitzen und auch wenn der Film dadurch etwas gehemmt wirkt ist er am Ende noch immer ziemlich unterhaltsam. Und natürlich um Welten besser als der missglückte Versuch von Adam Sandler, der Geschichte im Jahr 2002 mit “Mr. Deeds“ einen modernen Anstrich zu verpassen.  
 


Meinen Ruf nach James Stewart hat die Filmgeschichte aber am Ende doch noch irgendwie erhört. Als nach dem großen Erfolg von “Mr. Deeds geht in die Stadt“ eine Fortsetzung geplant wurde stand Cooper nicht zur Verführung und so suchte Capra nach einem adäquaten Nachfolger. Man ahnt wen er gefunden hat und so durfte 1939 James Stewart in “Mr. Smith geht nach Washington“ in Coopers Fusstapfen drehten. Die Rolle war zwar nach ein paar Drehbuchanpassungen offiziell eine andere, die Geschichte des Films aber schon sehr deutlich an die des “Vorgängers“ angelehnt. Und da “Mr. Smith geht nach Washington“ 1940 ebenfalls für den besten Film nominiert wurde, werden wir in dieser Reihe schon bald herausfinden ob mein Wunsch nach Stewart in der Hauptrolle denn überhaupt berechtigt war.

"Mr. Deeds geht in die Stadt" ist aktuell auf Amazon Prime in Deutschland verfügbar.

 


Trailer zu "Mr. Deeds geht in die Stadt"


Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir wieder auf einen berühmten Filmstar – diesmal in einem seiner ersten wirklich erfolgreichen Filme. Und doch blicken wir auch wieder ein bisschen kritisch auf dessen Leistung.

Bilder: Copyright

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