Bengali

MOH (56): 8. Oscars 1936 - "Bengali"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 21. Mai 2024

Nach dem wir in unserer letzten Folge niemand Geringeren als den berühmten David Copperfield bei seinen Abenteuern begleitet haben, geht es nun in der indischen Grenzregion bei den Briten deutlich martialischer zur Sache. Mit einem Gary Cooper an vorderster Front, der aber gar nicht so dominant auftritt, wie das Filmplakat es auf den ersten Blick vermuten lässt.

Bengali

Originaltitel
The Lives of a Bengal Lancer
Land
Jahr
1935
Laufzeit
109 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
9
9/10

Seinen Durchbruch verdankt Gary Cooper (“In einem anderen Land“, “Flügel aus Stahl“), der heute vor allem für seine Hauptrolle in “12 Uhr mittags“ berühmt ist, Anfang der 1930er Jahre im Wesentlichen einer Reihe erfolgreicher Western- und Abenteuerfilme. Angesichts seiner prominenten Darstellung als fäusteschwingender Titelheld auf dem Plakat von “Bengali“ meint man so im Vorfeld eigentlich ganz gut einschätzen zu können, was da wohl jetzt auf einen zukommt: eine One-Man-Show, mit jeder Menge Heldentaten und einem Haufen cooler Sprüche. Pustekuchen, “Bengali“ entpuppt sich als überraschend vielseitiger und richtig unterhaltsamer Abenteuerfilm, der auf erfrischende Art und Weise eine ordentliche Portion Charakterkino mit einfliessen lässt – und sich dabei nicht mit einer einzigen Hauptfigur zufriedengeben will.

Der von Gary Cooper gespielte Lieutnant Alan McGregor ist mit seiner britischen Kavallerie-Einheit, den sogenannten Bengal Lancers, an der Nord-West-Grenze Indiens stationiert. Ausgerechnet Alan, der als ziemlicher Hitzkopf ohne großen Respekt für Regeln gilt, soll die beiden Newcomer John Forsythe (Franchot Tone) und Donald Stone (Richard Cromwell) in die Einheit integrieren. Man kann schließlich jeden Mann gebrauchen, droht doch der große Gegenspieler Mohammed Khan (Douglass Dumbrille) die britischen Kolonialtruppen nicht so ohne weiteres in der Region zu akzeptieren. Wirklich bereit scheinen John und Donald aber noch nicht für die Aufgabe zu sein und zu allem Überfluss ist letzterer auch noch der Sohn des örtlichen Kommandanten Tom Stone (Guy Standing), der seinem Zögling (entgegen dessen Hoffnung) mit professioneller Distanz begegnet.
 


Alle bereit für ein großes Abenteuer? Nun, das Studio Paramount Pictures war es auf jeden Fall und schickte erst einmal den erfahrenen Regisseur und Kameramann Ernst B. Schoedsack nach Indien, um dort schon mal vorab spektakuläres Location-Footage zu sammeln. Schoedsack, der wenige Jahre zuvor mit “King Kong“ einen Filmklassiker mit inszeniert hatte, sind wir in dieser Reihe mit “Chang“ ja schon mal in seiner Funktion als reisefreudiger Filmemacher begegnet. Diesmal hatte er aber weniger Erfolg, fiel das vor Ort aufgenommene Filmmaterial doch gleich der dortigen Hitze zum Opfer. Zu allem Überfluss zerstritt sich Schoedsack dann auch noch mit dem Studio, so dass Henry Hathaway als Regisseur nachrückte. Der hatte bis dato vor allem Western gedreht und sollte später in diesem Genre, dank zahlreicher Kollaborationen mit John Wayne, ein paar ordentliche Fussstapfen hinterlassen. Jetzt stand Hathaway aber erst einmal vor der Herausforderung Indien in den USA zum Leben zu erwecken, was mit Hilfe der kargen Landschaft Ostkaliforniens und amerikanischer Ureinwohner als Komparsen auch halbwegs ordentlich funktioniert. Zumindest, wenn man noch nie in Indien war.  

Die Handlung wiederum klingt nach einem klassischem Abenteuer der alten Schule. Ein rebellischer Held darf ein paar junge Frischlinge zu einer Spezialmission in gefährliches Feindesgebiet führen. So geradlinig die Handlung aufgrund dieser Eckdaten auch wirkt, das schöne an “Bengali“ ist, dass sie auf diesem Weg ein paar unvorhergesehene und intelligente Kurven nimmt. In der ersten Viertelstunde legt Gary Cooper dabei mit seinem Lieutenant noch einen klassischen Heldenauftritt hin, bei dem er gegen den Rat seiner Vorgesetzten sich in Gefahr bringt aber damit natürlich trotzdem die eigentlich richtige Entscheidung trifft. Doch anstatt Coopers Alan nun in eine Heldeneinbahnstrasse zu schicken vollzieht man mit seiner Figur nur wenig später eine überraschende Kehrtwendung.
 


Mit der Ankunft unserer beiden Newcomer ändert sich nämlich auf einmal die Ausgangslage, denn gerade der selbstbewusste John lässt Alan gleich mehrmals fast als Trottel dastehen. Vom coolen Hitzkopf Alan ist auf einmal nichts mehr zu spüren, dafür kämpft dieser spürbar damit irgendwie wieder Oberhand zu gewinnen und zeigt dabei immer wieder auch heldenuntypische Unsicherheiten und Selbstzweifel. Ähnlich vielschichtig, zumindest für einen solchen Abenteuerfilm, ist die Beziehung zwischen Donald und seinem Vater angelegt. Auch hier verzichtet man auf Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Charaktere und lässt den Vater spürbar mit der aus seiner Sicht notwendigen Entscheidung, den eigenen Sohn auf emotionaler Distanz zu halten, ringen. Diese Szenen sind dabei so feinfühlig inszeniert und gespielt, dass man schnell richtig nah an diese Figuren rückt.

Immer wieder streut der Filme solche schönen kleinen Charaktermomente ein, gerade zwischen Alan, John und Donald, die alle drei ähnlich viel Leinwandzeit bekommen und in deren Dreiecksgeflecht sich immer wieder die Sympathien und Allianzen verschieben. Stück für Stück wächst diese Gruppe dabei natürlich rechtzeitig zum großen Finale zusammen, wobei vor allem die Beziehung zwischen Alan und John schon fast in Richtung klassisches Buddy-Movie abdriftet. Wohlgemerkt im positiven Sinne, da gerade Franchot Tone eine wundervolle Mischung aus Charme und Arroganz findet und so den perfekten Gegenpart zu Coopers später immer rationaler agierenden Alan abgibt. Cooper wiederum, den ich in “In einem anderen Land“ noch sehr steif und farblos fand, entwickelt im weiteren Verlauf des Filmes ebenfalls ein ziemlich ansteckendes Charisma.
 


So greift ein Rädchen wundervoll ins andere und weil man eben so eine wundervolle Dynamik zwischen den Figuren etabliert, ist der Film am Schluss bestens gerüstet für das dramatische Schlussfinish. Da zeigt sich dann auch, dass Regisseur Hathaway auch größere Actionsequenzen sehr gut umsetzen kann. Gleichzeitig nimmt man aber sich auch hier wieder die Zeit das wundervolle Zusammenspiel der Figuren aufzugreifen und gönnt den Protagonisten ein paar kleine unterhaltsame Wortgefechte in Mitten des großen Dramas. Mit anderen Worten, das macht einfach unglaublich viel Spaß hier als Zuschauer mit von der Partie zu sein und gemeinsam mit den Figuren in die letzte große Schlacht zu ziehen.

Leider kommt man aus heutiger Sicht aber nicht drumherum, auf die doch sehr verharmlosende Darstellung des britischen Imperialismus im Film hinzuweisen. Die Rollen für Gut und Böse sind hier klar verteilt und man gibt sich nicht die Mühe auch auf der Gegenseite irgendwelche komplexeren Figuren zu etablieren oder gar Verständnis für deren Hass auf die britischen Eroberer anzudeuten. Noch fader wird der Beigeschmack wenn man erfährt, dass ausgerechnet Adolf Hitler den Film damals als einen seiner Lieblingsfilme bezeichnete, die Filmprüfstelle der Nazis dem Film das Prädikat “künstlerisch wertvoll“ verlieh und der Film wohl regelmäßig auf Treffen der Hitlerjugend gezeigt wurde. Doch so krass das klingt, dem Film dies zum Vorwurf machen wäre dann doch sehr unfair.
 


Die Schwarz-Weiß-Zeichnung der beiden Kriegsparteien ist natürlich da, aber sie wirkt dabei nie wirklich gehässig sondern einfach nur naiv. Dazu wird auch Gegenspieler Mohammed Khan als durchaus cleverer und charismatischer Führer portraitiert. Auch wenn er später mit seinen Foltermethoden einige Punkte auf der Sympathieskala liegen lässt (Khans süffisant vorgetragener Satz “We have ways to make men talk“ wurde dabei so berüchtigt, dass er in den Folgejahren immer wieder in anderen Abenteuerfilmen aufgegriffen wurde und so noch heute nachhallt). Ganz versteckt im Film ist auch noch ein Nebensatz, in dem kurz darauf hingewiesen wird, dass so ein ständiger Krieg ja eigentlich keinem etwas bringt. Das macht “Bengali“ natürlich jetzt nicht zu einem aufgeklärten Fest des Pazifismus, aber eben auch nicht zu einem Werk, das einen mit seinem veralteten Weltbild gleich die Zornesröte ins Gesicht treibt. Es wirkt eben mehr naiv als bösartig und so ist es ohne Probleme möglich die wirklich vielen Stärken von “Bengali“ am Ende einfach nur zu genießen. Ganz egal, welche üblen Zeitgenossen diesen Film vielleicht früher auf ihre Top 10 Liste gepackt hätten.    

"Bengali" ist aktuell als Blu-Ray und DVD auf Amazon als Import in Deutschland verfügbar.


Trailer zu "Bengali"


Ausblick
In unserer nächsten Folge wird es wieder ein wenig britisch. Nach längerer Abstinenz kehren wir an der Seite eines englischen Butlers dabei aber nun auf den amerikanischen Kontinent zurück.

Bilder: Copyright

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