Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds

MOH (70): 9. Oscars 1937 – "Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 27. August 2024

In der letzten Folge war das Hochzeits-Nachspiel von “Romeo und Julia“ ja eine ziemlich traurige Angelegenheit. Dem Ehepaar unseres heutigen Oscar-Kandidaten waren wenigstens 20 halbwegs ordentliche Ehejahre vergönnt, bevor die Beziehung in weniger glückliche Gefilde abdriftet.

Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds

Originaltitel
Dodsworth
Land
Jahr
1936
Laufzeit
101 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
8
8/10

Mit “Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds“ haben wir einen faszinierenden Film vor uns, der mich ein klein wenig zwiespältig zurücklässt. Phasenweise großartig inszeniert treffen wir hier auf eine Story, die einen sehr reifen Blick auf die Herausforderungen in zwischenmenschlichen Beziehungen wirft. Gleich mehrmals gelingen dem Film wundervolle kleine Charaktermomente, die einen immer wieder sich selbst reflektieren lassen und daran erinnern, dass auch vor knapp 100 Jahren das mit dem Zwischenmenschlichen gar nicht soviel anders war als heute. Beste Voraussetzungen also für ein kleines Meisterwerk, doch eine teils unnötige Hektik und eine nur bedingt funktionierende Hauptfigur rauben dem Film leider die Chance auf einen Eintrag in den Kino-Olymp. Auch wenn am Ende natürlich immer noch ein wirklich guter Film dabei herauskommt.

Sam Dodsworth (Walter Huston), ein reicher Autobauer aus einer Kleinstadt im Mittleren Westen der USA, verkauft seine Firma und begibt sich mit seiner Frau Fran (Ruth Chatterton) auf Europareise. Für Fran, die ihrer verlorenen Jugend hinterhertrauert, die Gelegenheit sich endlich als Dame von Welt zu inszenieren. Und um gleich auf der Überfahrt mit einem anderen Passagier (David Niven) den ersten Urlaubsflirt zu beginnen. Ihr eher bodenständiger Ehemann trifft derweil auf dem Schiff die geschiedene Edith (Mary Astor, “Die Spur des Falken“), hegt dabei aber erstmal keinerlei frivole Gedanken. Ganz im Gegensatz zu seiner Ehefrau, die in Europa angekommen zum Frust ihres Mannes sich dem lebenslustigen Arnold (Paul Lukas, “Vier Schwestern“) anschließt.
 


Es gibt Filme, da macht schon direkt die erste Kameraeinstellung Hoffnung auf ein interessantes Werk. So auch bei “Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds“, bei dem die Kamera gleich zu Beginn sich von hinten gefühlvoll dem am Fenster stehenden Dodsworth nähert, der zum Abschied melancholisch auf sein altes Firmenimperium blickt. Das wirkt so entspannt und feinfühlig, dass man sich innerlich schon voller Vorfreude zurücklehnt, um sich auf ein tiefgründiges Erlebnis einzustellen. Diese Hoffnung stellt sich in den nächsten Minuten aber als scheinbar unbegründet heraus, da der Film auf einmal in eine frustrierende Hektik verfällt. Gerade die Wortgefechte zwischen Dodsworth, dessen Frau und einem befreundeten Ehepaar wirken dabei nicht nur zu schnell sondern auch nur bedingt clever umgesetzt. Vor allem aber wird man skeptisch, ob das Schicksal des Firmenbarons und dessen Ehe uns denn wirklich berühren kann.

Hier kommen auch kulturelle Unterschiede ins Spiel, denn Dodsworth wirkt ein wenig wie die Parodie eines “Klischee-Amerikaners“ – der Business-Man, der viel und laut aber nicht sonderlich clever daherredet. Ich fühlte mich hier (auch optisch) tatsächlich ein klein wenig an George W. Bush erinnert und sich mit solch einem Charakter in einem tiefgründigen Ehedrama zu identifizieren ist aus nicht-amerikanischer Sicht schon eine ordentliche Herausforderung. Ebenso schwierig in die Geschichte reinzukommen macht es aber auch die Inszenierung, die vor allem am Anfang ihren Figuren kaum Raum zum Atmen gibt. Gerade die Stakkato-Dialoge machen es nicht leicht, die Wortgefechte innerlich zu verarbeiten. Am schwersten wiegt aber der teils penetrante Einsatz von Musik, der vielen Szenen eine vollkommen überflüssige Hektik verleiht. Man nehme nur ein Frühstück in Paris, bei dem die schon fast aggressive Musik so gar nicht zur eher ruhig geführten Diskussion am Tisch passt.
 


Es ist ein etwas frustrierender Start in eine Geschichte, die zu Beginn doch sehr schnell interessantes Konfliktpotential etabliert. Auf der einen Seite die spürbare Sehnsucht der Ehefrau nach dem großen Europa-Abenteuer, dem Nachholen der eigenen Jugend und damit der Flucht aus dem bisherigen Routine-Alltag. Auf der anderen Seite ein Ehemann, der angesichts des Verkaufs seiner Firma (und damit dem Verlust seines bisherigen Lebensinhalts) mit einer spürbaren Unsicherheit in seinen neuen Lebensabschnitt startet. Mit jeder weiteren Minute wird dieser Konflikt immer interessanter, da sich bereits auf der Überfahrt nach Europa die ersten interessanten Konflikte zeigen.

Glücklicherweise wird im weiteren Verlauf die unnötige Hektik der Inszenierung zurückgefahren. Dafür glänzt diese jetzt lieber mit vielen wundervollen Kameraeinstellungen, bei denen man sich dabei erwischt doch einfach mal schnell die Stopptaste drücken zu wollen. Die Art wie Regisseur William Wyler hier die Figuren positioniert, um die Bilder mit Spannung aufzuladen, ist teils meisterhaft. Dabei zeigt Wyler, der heute vor allem für “Ben Hur“ berühmt ist, eine besondere Liebe für den cleveren Einsatz von Spiegeln. Wyler erhielt hier zurecht seine erste von insgesamt zwölf Oscar-Nominierungen für die “Beste Regie“, womit er noch heute alleiniger Rekordhalter in dieser Kategorie ist. Für einen damals gerade erst 34-jährigen Regisseur ist das schon über weite Strecken eine wirklich unglaubliche reife und einfühlsame Inszenierung, von der sich viele Filmschaffende noch heute eine ordentliche Scheibe Inspiration abschneiden können.  
 


Den einzigen Oscar von insgesamt sieben Nominierungen gewann der Film aber in der Kategorie “Bestes Szenenbild“. Dabei fällt auf, dass eben gerade nicht auffällt, dass man die komplette Europreise eigentlich nur in einem amerikanischen Filmstudio gedreht hat. Solch eine erfolgreiche Illusion haben viele andere Filme dieser Zeit nicht so gut hinbekommen. Obendrauf sehen die Sets auch einfach wirklich gut und liebevoll designt aus. Genau die gleiche Hingabe spürt man aber auch beim Drehbuch, dass im weiteren Verlauf den Konflikt zwischen Dodsworth und Fran weiter eskalieren lässt, ohne dabei reißerisch daherzukommen. Gerade die schon fast selbstzerstörerische Sehnsucht von Fran nach einem jugendlichen Lebensstil wird eindrücklich geschildert, genauso wie  Dodsworth Schwierigkeiten, sich nach so langer Zeit die Wahrheit eingestehen zu müssen: die eigene Ehe hat wohl nie auf echter Liebe beruht. Wobei man natürlich auch Sinclair Lewis, dem Autor der Buchvorlage danken muss. Der hatte ja schon mit seiner Vorlage für “Arrowsmith“ gezeigt, dass er nicht davor zurückschreckte sehr erwachsene und gesellschaftskritische Themen anzupacken.

All das führt im Film zu ein paar wirklich großartigen Szenen. Beispielhaft sei ein Moment genannt, in dem Edith und Dodsworth scheinbar ihr großes Glück in Italien gefunden haben und auf einmal im Ferienhaus mehrfach das Telefon klingelt – und nur Edith weiß, dass diese Anrufe von Fran stammen. Im Wissen über die Macht, die Fran noch immer auf Dodsworth ausüben kann, versucht Edith diesen nun irgendwie vom Klingeln des Telefons abzulenken – was im Film alleine durch wenige Blicke und tolles Framing zu einer wirklich unglaublich intensiven Sequenz gebündelt wird. Dass es nicht viele Worte für großes Kino braucht zeigt aber der wohl intensivste Moment der Story. Als Edith Fran beim Flirten mit einem anderen Mann beobachtet, ist es ein simples “Don't“ und einige lange Blicke zwischen zwei Frauen mit unterschiedlichsten Motiven, die den Raum mit einer riesigen Anspannung füllen. Einfach perfekt.
 


Angesichts dieses Schwärmens mag die obige Wertung des Filmes nun natürlich etwas niedrig erscheinen. Doch für ein echtes Meisterstück reicht es nicht nur wegen der bereits angesprochenen Hektik zu Beginn nicht. Die Tatsache, dass unsere Hauptfigur manchmal wie ein Fremdkörper wirkt, der schon fast naiv und mit seltenen Momenten der Reflexion durch die Handlung stolpert, raubt dem Film leider eine gehörige Portion emotionaler Wucht. Hier und da gelingen Walter Huston, Vater des berühmten Regisseurs John Huston (“Die Spur des Falken“, “Moby Dick“),  zwar auch ein paar intensivere Momente. Aber so richtig mitfühlen tut man mit ihm nur bedingt und warum sich Edith jetzt ausgerechnet in ihn verliebt bleibt auch eher rätselhaft. Auch weil Mary Astor diese Rolle so meisterhaft und tiefgründig spielt, so dass man noch viel schwerer versteht, was ihre komplexe Figur an diesem einfachen Mann denn nun so attraktiv findet. Ruth Chatterton wiederum macht nach Startschwierigkeiten ihre Sache sehr ordentlich und Cineasten dürfen sich auch noch über den Auftritt eines jungen David Niven freuen, der als Kurzzeit-Lover von Fran aber jetzt nicht wirklich schauspielerisch glänzen kann.  

Die dann doch spürbaren Schwächen berauben uns hier also eines möglichen Meisterwerks. Doch wir wollen uns jetzt nicht darüber aufregen, was hätte sein können. Feiern wir lieber was ist und das ist in diesem Fall ein immer noch richtig guter und stellenweise großartiger Film. Die Art und Weise wie er sich seinem Thema widmet wirkt auch heute noch erfrischend reif, ehrlich und interessant. Da macht es dann auch ein wenig traurig, dass der Riesenerfolg des Filmes an der damaligen Kinokasse heute mit so einer Story wohl kaum mehr vorstellbar wäre. Dabei ist es doch egal ob wir 1936 oder 2024 schreiben – solche erwachsenen Geschichten sollten uns immer einen Blick wert sein.  

"Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds" ist aktuell als DVD-Import auf Amazon in Deutschland verfügbar.     

 


Anfang des Filmes

 


Ausschnitt: Ein kleiner Flirt an Bord.


Ausblick
In unserer nächsten Folge unternehmen wir mit Regisseur Frank Capra einen kleinen Ausflug in eine große Stadt, um ein paar wichtige Lektionen fürs Leben zu erhalten.

Bilder: Copyright

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