MOH (69): 9. Oscars 1937 – "Romeo und Julia"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hätten wir uns bei “Drei süße Mädels“ ja noch etwas mehr Tiefe gewünscht, für unseren heutigen Film dürfte das aber ja kaum ein Problem darstellen. Immerhin fusst Metro-Goldwyn-Mayers aufwendiges Drama “Romeo und Julia“ auf den Worten William Shakespeares. Was aber, wie wir gleich sehen werden, nicht automatisch in einen großartigen Film münden muss.
Romeo und Julia
Mit William Shakespeare haben wir in unserer Oscar-Reihe ja gerade erst Erfahrung gemacht (“Ein Sommernachtstraum“). Dabei waren wir zum Schluss gekommen, dass es schon herausfordernd ist, die Werke des alten Recken erfolgreich für das Medium Film aufzubereiten – gerade, wenn man dessen heute doch sehr sperrig wirkenden Dialoge eins zu eins übernehmen möchte. Das man Shakespeares Frühneuenglisch aber mit Blick auf die Kinokasse nicht gleich opfern muss hat unter anderem Baz Luhrmann im Jahr 1996 gezeigt, als er seine Version von “Romeo und Julia“ mit Hilfe einer stylischen Inszenierung erfolgreich in eine moderne Pop-Oper verwandelte. Daran war 60 Jahre früher aber natürlich nicht zu denken. Und so kommt George Cukors Version der berühmten Liebesgeschichte, 1937 für den Oscar in der Kategorie “Bester Film“ nominiert, jetzt (nicht gerade überraschend) sehr klassisch daher. Allerdings trotz opulenter Inszenierung über weite Strecken auch etwas hüftsteif, was vor allem an dem fragwürdigen Casting der beiden Hauptfiguren liegt.
Ganz klassisch beginnt unsere Geschichte im Verona des 16. Jahrhunderts, wo der Hass der beiden einflussreichen Familien Montague und Capulet die Stadt spaltet. Die Stimmung ist so angespannt, dass jeder Tropfen das Fass zum Überlaufen und eine Spirale der Gewalt hervorrufen kann. Als dieser Tropfen entpuppt sich die Liebe zwischen den aus jeweils einer der beiden Familien stammenden Romeo (Leslie Howard, „Liebesleid“) und Julia (Norma Shearer, “The Divorcee“). Gerade im Haus Capulet sorgt das für Ärger, da dessen Patriarch (C. Aubrey Smith) für seine Tochter bereits den jungen Graf Paris (Ralph Forbes, “The Barretts of Wimpole Street“) als Ehemann vorgesehen hat. Vor allem ist da aber auch noch Julias leicht reizbarer Neffe Tybalt (Basil Rathbone, “David Copperfield“), der jede Art der Beziehung mit einem Montague als Beschmutzung der Familienehre empfindet. Doch wahre Liebe lässt sich ja bekanntlich nur schwer aufhalten und so kommt was kommen muss.
Wir müssen reden. Und zwar über den legendären Filmproduzenten Irving Thalberg, ohne den eine Diskussion dieses Filmes einfach nicht möglich ist. Thalberg war bereits mit jungen Jahren ein Senkrechtstarter in Hollywood und Mitte der 1920er Jahre in die Produktion von Metro-Goldwyn-Mayer gewechselt. Vor allem sein erfolgreiches Management aufwendiger Prestigeproduktionen und sein Näschen für kommende Stars führten das Studio in kürzester Zeit an die Spitze der Traumfabrik. Verbunden war dies aber auch mit einem Dauerkampf gegen Studioboss Louis B. Mayer, der Thalbergs Faible für ambitionierte und oft auf berühmter Literatur basierenden Filmen nie so recht teilte.
Genau ein solches Werk haben wir nun vor uns. Und wie es sich für ein wirklich ambitioniertes Prestigeprojekt gehört legte man hier natürlich Wert auf eine besonders beeindruckende Ausstattung. So schickte man im Vorfeld Regisseur Cukor ("Vier Schwestern") erst mal auf Inspirationssuche nach Italien. Der war aber erstaunt bei seinem Besuch in Verona keine wirklichen Originalschauplätze vorzufinden. Sein Klagen motivierte den dort ansässigen Historiker Antonio Avena dazu, in den nächsten Jahren das Haus der Julia zur noch heute sehr beliebten Touristenattraktion herzurichten. Kleine Anekdote beiseite, der Besuch Cukors lohnte sich natürlich trotzdem, denn noch heute sehen die wirklich opulenten Sets des Films wirklich überzeugend und beeindruckend aus.
Doch Thalbergs Einfluss endete nicht beim sogenannten production value, sondern hatte auch einen sehr privaten Beigeschmack was das Casting anging. Seit vielen Jahren war Thalberg mit der Schauspielerin Norma Shearer verheiratet, die an seiner Seite zu einem der größten Hollywoodstars der damaligen Zeit aufstieg und stets die prestigereichsten Rollenangebote erhielt. Was Schauspielkollegin Joan Crawford ("Menschen im Hotel") einmal die Aussage treffen ließ "How can I compete with Norma when she's sleeping with the boss?“. Ganz so gehässig wollen wir hier nicht sein, hatte Shearer doch in “The Divorcee“ gezeigt was für eine phantastische Schauspielerin sie war. Ein Nachteil für ihren Job war die Beziehung mit Thalberg aber sicher nicht. Der wiederum hatte große Pläne mit seiner Frau. Shearer hatte früher ja oft wilde und unzähmbare Frauen gespielt, was aber nicht zu Thalbergs Filmvorlieben und Hollywoods gerade neu eingeführtem "Moralkompass" passte. Es war also Zeit für einen Imagewechsel und eine prestigereiche Rolle in einem Literaturklassiker bot sich hierfür natürlich an.
Das die Julia bei Shakespeare eine 14 Jahre alte Jungfrau ist, Shearer aber gerade mit Mitte 30 ihr zweites Kind bekommen hatte – egal. Die Entscheidung für Shearer hatte aber noch weitreichendere Konsequenzen. Denn angesichts dieses Alterssprungs funktioniert natürlich auch kein 17-jähriger Romeo mehr und so fiel die Wahl auf den gar über 40-jährigen Leslie Howard. Zugegeben, das hatte natürlich den Vorteil, dass man der Zensurbehörde ein Schnäppchen schlug. Schließlich passte eine Affäre zwischen Minderjährigen (inklusive Selbstmord) jetzt nicht gerade zu deren Moralvorstellungen. Doch die Entscheidung für ein “altes“ Liebespaar brachte leider auch ein großes Problem mit sich.
Natürlich sind sowohl Shearer als auch Howard wirklich gute Schauspieler. Beide haben auch kein Problem, die nicht gerade einfachen Dialoge souverän darzubieten. Aber das jugendliche Feuer und die heißblütige Unvernunft, die ja gerade die Figuren des Originalwerks auszeichnet, verkörpern die zwei natürlich überhaupt nicht. Das ist ein echtes Problem für den Film, der dieser so zentralen Beziehung einfach viel zu wenig Emotionen abgewinnen kann. Shearer und Howard wirken viel zu rational und erfahren für die naiven Intentionen hinter den Figuren und das macht “Romeo und Julia“ zu einer relativ trockenen Angelegenheit. Und den Film zu einem wundervollen Beispiel für die Fehlbesetzung von eigentlich wirklich guten Darstellern.
Es hilft jetzt auch nicht gerade, dass der alte Sprachstil der Dialoge im Vergleich zu modernerer Umgangssprache natürlich emotional distanzierter wirkt. Auch agieren viele Akteure so, als würden sie eher auf einer Theaterbühne als in einem Filmset stehen – und sorgen mit ihrer eher theatralischen Spielweise so noch mal für etwas mehr Distanz. Das Gefühl ein Theaterstück zu sehen ist allerdings durchaus vom Film gewollt, der in seinem Prolog sogar kurz eine Theaterbühne samt einleitender Worte präsentiert, bevor er in seine Geschichte eintaucht. Man möchte hier auf jeden Fall den Eindruck erwecken, die Umsetzung der legendären Vorlage mit der entsprechenden Seriosität anzugehen.
Dazu passt dann auch, dass Metro-Goldwyn-Mayer zum Filmstart eine große Werbekampagne an den Schulen des Landes lancierte, um dort auf den kulturellen und intellektuellen Mehrwert des Films hinzuweisen. Die Intention dahinter mag ehrenwert (mit einem “Hauch“ finanziellen Interesse) sein, aber gefühlt steckt man sich hier schon irgendwie den Stock selbst etwas zu stark in den Hintern. Gerade in der ersten Hälfte des Filmes setzt man rein auf schnelle Dialogwechsel und lässt seine Figuren kaum innehalten. Die Stärken des Medium Films, wie die Chance für ruhige Nahaufnahmen oder den emotionalen Einsatz von Musik, greift man dabei nie wirklich auf. So toll das Set und auch viele der Schauspielerinnen und Schauspieler auch sind, “Rome und Julia“ kommt so einfach ein wenig zu nüchtern daher.
Ein Hauch Reißbrettcharakter versprüht dann auch noch das Casting mancher Nebenrollen. Zum wiederholten Male treffen wir in dieser Reihe auf Basil Rathbone als Bösewicht und Edna May Oliver in der Rolle der grummeligen älteren Dame. Immerhin bekommt Rathbone diesmal die Chance auf ein deutlich besser inszeniertes Fechtduell als noch in “Unter Piratenflagge“. So vertraut diese Gesichter und ihre Rollen auch sind, nett anzuschauen fallen deren Auftritte trotzdem aus. Und tatsächlich nimmt der Film dann in seiner zweiten Hälfte auch endlich etwas mehr Fahrt auf. Das liegt natürlich auch an der sich zuspitzenden Dramatik der Geschichte, aber gefühlt wird auch die Inszenierung und das Schauspiel etwas einfühlsamer und lockerer. Womit “Romeo und Julia“ am Ende dann doch gefühlt noch einen wirklich ordentlichen Schlussspurt hinlegt, der einem zumindest manche aber eben auch nicht alle Schwächen verzeihen lässt.
An der Kinokasse entpuppte sich “Romeo und Julia“ allerdings als großer Flop. Wobei der finanzielle Misserfolg angesichts des Dramas hinter den Kulissen zu vernachlässigen ist. Mit gerade einmal 37 Jahren starb Thalberg nämlich im selben Jahr überraschend an einer Lungenentzündung. Ein Tod, der Schockwellen in Hollywood auslöste und zu einer schleichenden Neuausrichtung bei MGM führte. Aber auch viele der an der Produktion beteiligten Schauspielerinnen und Schauspieler waren nicht gerade vom Glück verfolgt. Sowohl John Barrymore, Edna May Oliver als auch Leslie Howard starben überraschend in den nächsten Jahren, wobei Howards Schicksal wohl das ergreifendste ist. Als Brite mit jüdischer Herkunft kehrte Howard während des zweiten Weltkrieges nach Europa zurück, um dort mit viel Herzblut Propagandafilme gegen die Nazi-Diktatur zu produzieren. Das löbliche Unterfangen fand aber ein jähes Ende, als die deutsche Luftwaffe im Jahr 1943 Howard in seinem als Zivilmaschine gekennzeichnetem Flugzeug (vermutlich versehentlich) abschoss. Und so lässt sich am Ende sagen, dass eine wirklich ans Herz gehende Tragödie hier eher im Umfeld des Filmes, als auf der Leinwand zu finden ist.
Trailer zu "Romeo und Julia"
Ausblick
In unserer nächsten Folge steht auch wieder das Drama zweier Liebenden im Mittelpunkt. Nur diesmal beginnt unser Paar daran zu zweifeln, ob es wirklich für sich geschaffen ist.
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