MOH (73): 9. Oscars 1937 – "San Francisco"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge ging es in “Lustige Sünder“ ja ziemlich heiter zu – davon ist heute eher weniger zu spüren. Wobei man trotz einem über allem schwebenden dramatischen Ereignis in “San Francisco“ auch noch Zeit für ein paar leichte Operettennummern findet.
San Francisco
Im Jahr 1906 erschütterte ein Erdbeben die Stadt San Francisco, kostete über 3000 Menschenleben und zählt damit noch heute zu einer der größten Katastrophen in der Geschichte der USA. Das dramatische Ereignis schwebt im Oscar-nominierten “San Francisco“ aus dem Jahr 1936 wie eine Art dunkler Schatten über den Protagonisten, die in den Monaten davor sich nichtsahnend dem Nachtleben der Metropole und ihren persönlichen Herausforderungen hingeben. So richtig packend sind die jetzt aber nicht wirklich umgesetzt und lange Zeit ist es hier vor allem dem Charme des Schauspielensembles zu verdanken, dass man überhaupt am Ball bleibt. Bis am Ende dann die Erde bebt und “San Francisco“ eine der beeindruckendsten Filmsequenzen der 1930er Jahre abliefert.
Vorher wird aber erst noch mit einer rauschenden Silvesterparty in San Francisco das Jahr 1906 begrüßt. Ausgerechnet an dem Abend sucht die junge Sängerin Mary Blake (Jeanette MacDonald, “Liebesparade“, “Tolle Marietta“) Arbeit in einem Tanzlokal in San Francisco. Sie findet diese bei Nachtclubbesitzer Blackie Norton (Clark Gable, “Meuterei auf der Bounty“, “Es geschah in einer Nacht“), der auch sofort beginnt die junge Dame relativ penetrant zu umgarnen. Die ist davon aber erst mal nicht begeistert und hält den Priester Tim Mullin (Spencer Tracy, “Lustige Sünder“), ein alter Schulfreund von Blackie, für deutlich vertrauensvoller. Dazu gerät sie nach einem Jobangebot des Operndirektors Jack Burley (Jack Holt) ins Grübeln über ihre nächsten Karriereschritte. Blackie bleibt dagegen in Sachen “Liebe“ weiter beharrlich, genauso wie bei seiner von der High Society der Stadt mit Skepsis beäugten Kandidatur als Stadtrat. Blackies Meinung nach herrschen in San Francisco nämlich erschreckende bauliche Mängel und ein quasi nicht-existenter Brandschutz, welcher der Stadt eines Tages zum Verhängnis werden könnte. Und dieser Tag ist leider gar nicht mehr so weit entfernt.
So richtig rund fühlt sich “San Francisco“ lange Zeit nicht an. Eher etwas bemüht, da man spürt wie hier verschiedene Aspekte im Film miteinander kombiniert werden, die irgendwie nicht so richtig passen wollen. Ausgangspunkt für die Produktion des Filmes war der Wunsch des Stars Jeanette McDonald, endlich einmal eine ernsthaftere Hauptrolle übernehmen zu können – bekannt war sie beim Publikum vor allem für ihre zahlreichen leichten Operetten. Doch wirklich verzichten wollte man beim Studio Metro-Goldwyn-Mayer natürlich auf ihre beim Publikum beliebten Gesangseinlagen nicht, weshalb in “San Francisco“ mehrere oft das Tempo verlangsamende Operetten-Nummern eingeschoben werden. Die sind leider eher statisch inszeniert und nur begrenzt unterhaltsam, auch wenn das Studio am Ende sich in seiner Entscheidung wohl bestätigt sehen durfte. Schließlich gewann der Film, bei insgesamt sechs Oscar-Nominierungen, die Trophäe für den besten Ton und sein Titellied wird noch heute in San Francisco gerne bei vielen Veranstaltungen gespielt.
Dass man McDonald mit Clark Gable wiederum den wohl größten männlichen Star des Studios an die Seite stellte hatte ebenfalls Folgen für die Handlung. Bei so einer Starbesetzung “muss“ am Ende für den Erfolg beim Publikum natürlich die Liebe siegen – dramatisches Erdbeben hin oder her. Die anstehende große Tragödie muss dem Publikum natürlich auch stets in Erinnerung gerufen werden, weswegen unser an Sylvester eigentlich gut ausgelasteter Nachtclubbesitzer zu Beginn spontan quer durch die Stadt zu einem brennenden Haus eilt. Dort unternimmt er zwar gar nichts, setzt sich aber fortan leidenschaftlich für den Brandschutz der Stadt ein.
So gibt es einige Puzzleteile, die hier eher schlecht als recht zu einem etwas wackeligen Gesamtgebilde und nur bedingt nachvollziehbaren Charakterporträts zusammengesetzt werden. Glücklicherweise gibt das sehr überzeugende Schauspielensemble, allen voran ein wieder mal unglaublich charismatischer Clark Gable, dem Konstrukt den dringend benötigten Halt. Und das obwohl Gables Figur mit ihrem sehr aggressiven Werben um Mary durchaus ein etwas mulmiges Gefühl beim modernen Publikum auslösen dürfte. Ebenso wie dessen leichte Reizbarkeit und der schnelle Einsatz von Fäusten zur Problemlösung. Wenn einer frech kommt wird von Blackie schon mal gerne draufgehauen und man merkt dem Film an, dass solch ein kleiner Gewaltausbruch von den Machern durchaus als charmant betrachtet wird – was heute sicherlich skeptischer beäugt werden würde.
Mi seinem verschmitzten Grinsen lächelt Gable aber auch für heutige Zuschauerinnen und Zuschauer einiges davon weg und hält seine Figur so für einen romantischen Helden noch im halbwegs akzeptablen Rahmen. Als moralischer Anker der Geschichte dient sowieso der von Spencer Tracy überzeugend gespielte Priester, der am Ende natürlich unseren aufbrausenden Blackie auf den rechten Pfad führen darf. Jeanette MacDonald holt auch einiges aus ihrer Figur raus, gerade was ihre überzeugende Darstellung der Unsicherheit ihrer Figur angesichts der eigenen Karrierechancen angeht. Mary ist dann auch die interessanteste Person des Films, da sie spürbar mit dem richtigen Umgang mit Blackie und Jack ringt. Beide missbrauchen ihre Machtpositionen dazu, um Mary in Beziehungen drängen zu wollen, was für einige durchaus interessante Spannungen und nachdenkliche Momente bei Mary sorgt.
Schade nur, dass der Film am Ende weniger daran interessiert ist diesen Machtmissbrauch deutlich anzuprangern oder etwas wirklich Interessantes damit anzufangen. Mit Blick auf ein Happy End beraubt man seiner weiblichen Hauptfigur im letzten Drittel lieber ihrer vorherigen Grauzonen, um sie ohne viel Erklärung dann unkreativ in die starken Arme des “richtigen“ Mannes zu treiben. Womit “San Francisco“ dann auch auf eine scheinbar berechenbare Zielgerade eines nur bedingt unterhaltsamen Filmerlebnisses einbiegt. Bis auf einmal sowohl die bis dato eher konservative Regie als auch das stotternde Drehbuch gleich mehrere Gänge nach oben schalten. Es ist als ob man sich auf einmal in einem anderen Film befindet, denn die Wucht und Dramatik mit am Ende die Katastrophe über unsere Figuren hereinbricht ist schlichtweg grandios. Ob Setdesign, Spezialeffekte, Kameraführung oder Schauspiel, das ist ganz großes Kino hier und mit Sicherheit eine der besten Filmsequenzen der 1930er Jahre.
Zugegeben, ein wenig wird dies durch ein Ende untergraben, dass den Wandel von Blackie vom Saulus zum Paulus schon arg vereinfacht zeichnet. Das raubt der Sequenz zumindest ein wenig an Nachhall. Bei aller Begeisterung für das trotzdem noch atemberaubende Finish, die Schwächen der 100 Minuten davor kann die Sequenz natürlich nicht komplett vergessen machen. Trotz dem manchmal etwas mühevollen (aber jetzt auch nie komplett uninteressanten) Weg ist “San Francisco“ aber alleine wegen diesem furiosen Finish durchaus einen Blick wert.
"San Francisco" ist aktuell auf Amazon-Prime in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films
Die Eröffnungsequenz von "San Francisco"
Der Anfang des Erdbebens in "San Francisco"
Ausblick
In unserer nächsten Folge wird leider etwas Ernüchterung herrschen, da ausgerechnet der schlechteste Film des Jahrgangs von der Academy mit der Oscar-Statue belohnt wurde.
Neuen Kommentar hinzufügen