MOH (88): 11. Oscars 1939 - "Vater dirigiert"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge versuchte Claude Rains als niederträchtiger Prinz John Robin Hood zu bändigen. Nun darf er, wieder unter der Regie von Michael Curtiz, zum Ausgleich den netten Onkel geben – dank vier energiegeladenen Töchtern bleibt ihm aber auch hier keine ruhige Minute.
Vater dirigiert
Egal welches Jahrhundert, ein bewährtes Konzept klingt für Hollywood immer verführerisch. Dass die Kollegen von Universal Pictures mit der Filmkomödie "Drei süße Mädels" einen kleinen Hit feierten, "inspirierte" dann auch das Studio Warner Brothers, zwei Jahre später nachzuziehen. In "Vater dirigiert" dürfen gleich vier junge Damen, auch hier wieder Teil einer talentierten Musikerfamilie, ihren Vater auf Trab halten und nebenbei romantische Abenteuer erleben. Das ist dank einer flotten Inszenierung, guten Darstellern und charmanten Dialogen in der ersten halben Stunde richtig unterhaltsames Kino, bevor die Ankunft potenzieller Liebespartner auf einmal viel Energie absaugt und seichtes Drama Einzug hält.
Fast der komplette Film spielt im Haus der Familie Lemp, in dem der verwitwete Musikprofessor Adam Lemp (Claude Rains, "Ein rastloses Leben", "Lawrence von Arabien") mit seinen vier Töchtern lebt – alle ebenfalls leidenschaftliche Musikerinnen. Die durch liebevolle Neckereien geprägte Alltagsroutine wird allerdings durch das Auftauchen mehrerer potenzieller Mr. Rights erschüttert. Während Thea (Lola Lane) den wohlhabenden Ben (Frank McHugh) umgarnt, wird Emma (Gale Page) vom schüchternen Ernest (Dick Foran) bezirzt. Kay (Rosemary Lane) und vor allem Ann (Priscilla Lane) scheinen erst einmal außen vor zu bleiben, doch dann trifft der charmante Komponist Felix (Jeffrey Lynn) ein. Der weckt das Interesse von gleich zwei Töchtern, und spätestens mit der Ankunft seines schlecht gelaunten Kumpels Mickey (John Garfield) sorgt der gestiegene Testosteronanteil nun im Haus für Unruhe.
In der letzten Folge hatten wir in "Robin Hood – König der Vagabunden" ja Regisseur Michael Curtiz’ Liebe für elegante Kamerafahrten und das Spiel mit Silhouetten bewundert. „Dann mache ich doch einfach so weiter“, denkt sich Curtiz, und so folgt direkt zum Einstieg von "Vater dirigiert" nahtlos die nächste anmutige Kamerafahrt und Charaktersilhouette. Curtiz mag bei seinen Schauspielensembles für seine "diktatorische" Art teils verhasst gewesen sein, aber gerade in der ersten halben Stunde ist das auch hier wieder eine Masterclass in Sachen Inszenierung. Gerade das Blocking, also die choreografierte Bewegung der Schauspieler am Set, ist meisterhaft umgesetzt. Sehr oft sind hier gleich vier oder fünf Protagonisten im Bild, die sich für ihre Dialogzeilen aber stets gekonnt den Staffelstab übergeben. Hierfür lässt Curtiz diese immer wieder clever von der Seite oder von hinten ins Geschehen eingreifen oder nutzt elegant Kamerabewegungen (oder beides), um den Fokus zu verlagern.
Das sorgt für einen richtig schwungvollen Beginn, da auch das Timing von Claude Rains und den Schauspielerinnen stets perfekt ist. Die Dialoge sind dabei voller liebevoller Neckereien, man schafft es, bei allen vier Töchtern unterschiedliche Charakterprofile zu etablieren, und so entwickelt das Geschehen schnell eine sehr angenehme Dynamik. Im Gegensatz zu "Drei süße Mädels" fällt gerade die Interaktion zwischen den Schwestern auch nicht ganz so hektisch aus, dass es nerven würde. Vielleicht liegt das mit dem guten Timing auch schlicht daran, dass von den vier Töchtern drei tatsächlich auch im echten Leben Schwestern waren. Sicher war das auch als netter Marketingcoup gedacht, doch schauspielerisch kann man sich hier wirklich nicht beschweren.
Immer gern gesehen ist ja sowieso Claude Rains, der uns in dieser Reihe zwar bisher öfters als Bösewicht begegnete, selbst diese Rollen aber ja immer mit seinem süffisanten Charme ausstattete, so dass man ihn irgendwie gernhaben musste. Überzeugend hier jetzt den liebevollen Patriarchen zu geben, der gerne singend den Tisch deckt und sich ironische Wortgefechte mit seinen Töchtern liefert, ist für ihn natürlich eine Leichtigkeit. Natürlich, diese ganze Einführung der Figuren hat jetzt nicht wirklich viel Tiefgang, aber dafür eben eine wohlige Wärme, sodass man sich auf ein harmloses, aber unterhaltsames Vergnügen einstellt.
Dass es am Ende nicht so weit kommt und der Spaß leider deutlich flöten geht, liegt (Leserinnen werden verständnisvoll mit dem Kopf nicken) am Auftauchen von Männern. Sobald hier die romantischen Verwicklungen so richtig losgehen, verlieren die Dialoge an Witz, die Inszenierung an Schwung und die Stimmung an Charme. Der etwas tollpatschige Ben und der schüchterne Ernest bremsen mit ihren sehr uninteressant geschriebenen und so gar nicht charismatischen Figuren die Story erstmals aus, wirklich kippen tut die Stimmung aber mit der Ankunft von Felix beziehungsweise dessen depressivem Freund Mickey. Das ist weniger die Schuld von Jeffrey Lynn, der als Felix durchaus Ausstrahlung mitbringt, aber vom Drehbuch leider wenig wirklich Interessantes zu tun bekommt. Seine Figur wird auch bald aufs Abstellgleis geschoben, da man sich vor allem auf den zynischen Mickey und seine Beziehung zu Ann konzentriert – und dem Film so den Stecker zieht.
John Garfield spielt die Rolle in einem Stil, der typisch für viele männliche Rollen der 1930er-Jahre war: extrem cool und extrem zynisch. Das wirkt heute aber eher abstoßend – zumindest, wenn man laut Film diese Figur als eine Art tragischen romantischen Helden wahrnehmen soll. Schauspielerisch wirkt es auf jeden Fall durch die Bank weg aufgesetzt, was aber sicher dem unterschiedlichen Zeitgeist geschuldet ist – schließlich bekam Garfield für diese Nebenrolle von der Academy sogar einen Oscar in die Hand gedrückt. Angesichts einer quasi nicht-existenten Chemie zwischen ihm und Ann sowie jetzt deutlich hölzernen Dialogen ist die Entscheidung, deren Beziehung in den Mittelpunkt des Filmes zu stellen, fatal. Es beraubt "Vater dirigiert" seiner Leichtigkeit, und da der anvisierte dramatische Effekt nicht verfängt, verwässert die zweite Hälfte des Films unnötig melodramatisch. Nur hier und da kann man, meist dank dem Zusammenspiel zwischen Vater und Töchtern, den Charme der ersten Hälfte zumindest kurz wieder aufleben lassen.
Auch die Inszenierung ist in der zweiten Hälfte deutlich statischer, und wer sich angesichts des Settings auf ein paar schwungvolle Musiknummern gefreut hat, wird ebenfalls enttäuscht werden – wirklich viel musiziert wird trotz der angekündigten großen Talente aller Figuren kaum. Immerhin gelingt dem Film am Ende noch ein niedliches Schlussbild, aber gerade in der zweiten Hälfte ist das Auf und Ab der Gefühle doch eher eine zähe Angelegenheit. Sah das damalige Publikum aber ganz anders, und so avancierte "Vater dirigiert" 1939 zu einem veritablen Hit. Was natürlich zur Folge hatte, dass man in den nächsten Jahren gleich mehrere Fortsetzungen produzierte. Wie das eben so ist mit bewährten Konzepten.
"Vater dirigiert" ist aktuell als Import-DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Ausschnitt: Mickey betritt zum ersten Mal das Haus der Familie Lemp.
Aus Ermanglung eines Trailers für "Vater dirigiert", hier der Trailer der zweiten Fortsetzung.
Ausblick
In unserer nächsten Folge darf ein weiterer berühmter Regisseur Drama mit leichteren Tönen mischen – was angesichts einer berühmten Cast eigentlich großes Kino versprechen sollte.
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