Manuel

MOH (78): 10. Oscars 1938 - "Manuel"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 22. Oktober 2024

In unserer letzten Folge ging es auf ziemlich philosophische Art um die Vision einer friedlichen Welt, heute dagegen “nur“ um die Selbstfindung eines kleinen Jungen. Dank einem charismatischen Leinwandduo aber kein Nachteil – “Manuel“ entpuppt sich bei den zehnten Academy Awards 1938 sogar als einer der stärksten Filme des Jahrgangs.

Manuel

Originaltitel
Captains Courageous
Land
Jahr
1937
Laufzeit
117 min
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
9
9/10

“Manuel“ ist einer dieser Filme, bei dem sich schon in den ersten Minuten direkt ein gutes Gefühl bei mir einstellte. In diesem Fall gleich beim Vorspann, bei dem die jeweiligen Credits auf einem Bug eines Schiffes eingeblendet werden und durch die dramatisch dagegen peitschenden Wellen der See ihren Inhalt ändern. Das ist nicht nur clever gelöst sondern setzt auch erfolgreich die Grundstimmung für einen Film, dessen abenteuerliches Setting geschickt für eine liebevoll umgesetzte Mentor-Schüler Geschichte genutzt wird, die Schauspiellegende Spencer Tracy am Ende den ersten von zwei Oscars für den besten Hauptdarsteller einbringen sollte.

“Manuel“ basiert auf dem Roman Captains Courageous des englischen Autors Rudyard Kipling. Genau wie bei dessen bekanntesten Werken (“Das Dschungelbuch“, “Kim“) steht auch hier ein Kind im Mittelpunkt der Geschichte. Das ist allerdings nicht Manuel sondern der arrogante 15-jährige Millionärssohn Henry (Freddie Bartholomew, “David Copperfield“), der bei einer Atlantiküberquerung über Bord geht und von einem Fischerboot gerettet wird. Die von Kapitän Disko Troop (Lionel Barrymore, “Menschen im Hotel“) angeführte Mannschaft ist von Henrys Vita und dessen Prahlereien nicht beeindruckt und fordert diesen dazu auf, an Bord doch erst mal selbst Hand anzulegen. Das portugiesisch-amerikanische Crewmitglied Manuel (Spencer Tracy, “Lustige Sünder“, “San Francisco“) nimmt dabei wiederwillig die Betreuung des kleinen Plagegeistes an, entwickelt aber schon bald Gefühle für Henry und hält ein paar wichtige Lebensweisheiten für diesen parat.
 


Wir haben es hier im wahrsten Sinne des Wortes mit einer “Fish out of Water“-Geschichte zu tun, denn natürlich lebt der Film vor allem von den vorprogrammierten Konflikten bei dem Aufeinandertreffen eines besserwisserischen Millionärssöhnchens auf einen Haufen echter Seemänner. Wie es der deutsche Titel des Filmes schon vermuten lässt nimmt man sich aber ein paar Freiheiten bezüglich der Originalvorlage und rückt die Figur des Manuel deutlich stärker ins Zentrum, um diesen hierbei noch deutlicher als eine Art Ersatzvater für Henry zu etablieren. Dass Manuel letztendlich einen positiven Einfluss auf unseren verzogenen Jüngling hat ist natürlich nicht schwer zu erraten und so stellt sich nur die Frage, wie unterhaltsam Henrys Reise hin zum anständigen Jungen ausfallen wird.

Verdammt unterhaltsam ist die Antwort, was unter anderem auch der tollen Atmosphäre zu verdanken ist, die eine ordentliche Dosis Abenteuer versprüht. Im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen dieser Zeit entschloss man sich viele der Aufnahmen tatsächlich auf offener See zu produzieren, was dem Film visuell und stimmungstechnisch richtig gut tut. Auch wenn es die Dreharbeiten leider ungemein gefährlicher gestaltete und die wilde See tatsächlich einem Crewmitglied das Leben kostete. Regisseur Victor Flemming, dessen berühmtesten Werke noch kommen sollten (“Der Zauberer von Oz“, “Vom Winde verweht“) nutzt sein Setting auf jeden Fall geschickt für viele eindringliche und wilde Sequenzen, die einen schnell in die Geschichte ziehen und dem Geschehen überzeugend Dramatik verleihen.  
 


Das der Film aber ein echter Kassenschlager wurde dürfte vor allem dem zentralen Leinwandpaar zu verdanken sein, denn die Kombination Spencer Tracy und Freddie Bartholomew funktioniert perfekt. Schon in “David Copperfield“ hatte ich Bartholomew ja als überdurchschnittlich guten Kinderdarsteller gelobt, hier legt er nun aber sogar noch mal eine Schippe drauf. Egal welche Emotionen von ihm gefordert sind, und das sind von arrogant, heiter, innerlich zweifelnd bis tief verletzt nun wirklich viele in diesem Film, Bartholomew bringt diese mit Bravour auf die Leinwand. Bartholomew gilt bis heute als einer der größten Kinderstars Hollywoods und es waren dann leider (nicht ganz überraschend) mal wieder Sorgerechtsstreits und familiäre Geldgier, die dessen Ruhm und großen Karriere kurz darauf ein Ende bereiten würden.

Das wirkliche Ass im Ärmel ist hier aber Bartholomews Chemie mit Spencer Tracy, deren Figuren sich auf wundervolle Art und Weise langsam aneinander annähern. Auch wenn Tracy mit seiner Perücke und dem etwas aufgesetzten Akzent etwas klischeehaft wirkt, seinen liebevollen Brummbär hat man bereits nach wenigen Minuten ins Herz geschlossen. Gerade die Art und Weise wie Manuel am Anfang versucht vor der Crew seine Gefühle für den Jungen zu leugnen, um nicht als Weichei zu gelten, ist schon sehr charmant geraten. Es mag nicht die größte Schauspielleistung des Jahres 1937 gewesen sein, aber die Entscheidung der Jury scheint vor allem eine des Herzens gewesen zu sein und das ist angesichts des einfühlsamen Spiels von Tracy dann auch mehr als nachvollziehbar.
 


Gerade weil man sich auch die Zeit nimmt die Freundschaft von Manuel und Henry langsam und nachvollziehbar aufzubauen und dabei geschickt Drama mit kleineren heiteren Momenten abwechselt, stellt sich im Verlauf des Filmes so eine immer wohligere Stimmung ein. Unterfüttert wird die auch noch mit einer ähnlich charmanten Darstellung der Crew, deren genauso rauer wie liebevoller Teamgeist nie zu kitschig ausfällt. Und so ist es gut nachvollziehbar, warum Henry langsam an dieser ganz anderen Gesellschaftsschicht Gefallen findet und sich am Ende eigentlich nichts anderes mehr vorstellen kann. Wenn man dem Film einen Vorwurf machen kann, dann dass er am Ende einen etwas unnötigen Epilog anhängt, der dem dramatischen Schlussdrittel ein klein wenig an Wirkung beraubt. Am Ende bleibt aber trotzdem wieder eine dieser alten Filme, die man an einem schönen Winterabend am Besten direkt vor dem Kaminfeuer genießen sollte.

"Manuel" ist aktuell als DVD auf Amazon und digital auf Amazon Prime Video verfügbar.

 


Trailer zu "Manuel"


Ausblick
In unserer nächsten Folge tauschen wir die männliche gegen eine weibliche Crew und werfen einen Blick auf die harte Realität einer ganzen Gruppe vom Erfolg träumender Schauspielerinnen.

Bilder: Copyright

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