MOH (101): 12. Oscars 1940 - "Ruhelose Liebe"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge war eine farbenprächtige Smaragdstadt das Ziel unserer Hauptfiguren, in "Ruhelose Liebe" führt ihr Weg nun zum Empire State Building. Auf dem Pfad zur Liebe müssen unsere Figuren hierbei allerdings einige dicke Brocken aus dem Weg räumen.
Ruhelose Liebe

Im Oscar-Jahrgang 1939 reiht sich ja bisher gefühlt ein Highlight ans nächste – "Der Zauberer von Oz“, "Von Mäusen und Menschen“, "Mr. Smith geht nach Washington“ – als hätte sich Hollywood in dem Jahr auf einen kollektiven Höhenflug geeinigt. Auch beim Blick auf den Regisseur des heutigen Filmes machte sich bei mir wieder Vorfreude breit, habe ich mich doch dank "Ein Butler in Amerika" und "Die schreckliche Wahrheit" Hals über Kopf in den relaxten Inszenierungsstil von Regisseur Leo McCarey verliebt. Auch in "Ruhelose Liebe" gibt es wieder einige seiner typischen unaufgeregten und zugleich cleveren Charaktermomente, die mein Cineastenherz kurz höher schlagen lassen. Schade nur, dass die Mischung aus romantischer Komödie und ernstem Melodrama hier nicht durchgängig aufgeht – was auch an einer nur bedingt funktionierenden männlichen Hauptfigur liegt.
Die ist in diesem Fall der berüchtigte französische Schürzenjäger Michel Marnet (Charles Boyer), der auf einer Schiffsreise von Europa nach New York die amerikanische Sängerin Terry McKay (Irene Dunne, "Pioniere des wilden Westens") kennenlernt. Beide sind eigentlich schon verlobt, entwickeln aber schnell starke Gefühle füreinander. Dabei hilft auch ein kurzer Zwischenstopp auf Madeira, bei dem Terry Michels Großmutter Janou (Maria Ouspenskaya) ins Herz schließt. Man entscheidet aber die Gefühle erst einmal sacken zu lassen und, das immer noch brennende Feuer der Liebe vorausgesetzt, sich erst in sechs Monaten auf dem Dach des Empire State Buildings wieder zu treffen. Stellt sich natürlich nur die Frage, ob da das Schicksal auch mitmacht.

Wir treffen uns auf dem Empire State Building – da klingelt doch was? Genau dort verabreden sich zum Valentinstag ja auch Meg Ryan und Tom Hanks in "Schlaflos in Seattle". In Nora Ephrons modernem Klassiker wählt die von Meg Ryan gespielte Annie dabei diesen Treffpunkt aufgrund einer herzzerreißenden Szene aus dem Film "Die große Liebe meines Lebens" aus dem Jahr 1957. Was dieser Film nun mit unserem heutigen Oscarbeitrag zu tun hat? Nun, dessen englischer Originaltitel ("An Affair to Remember") deutet es vielleicht schon an – "Die große Liebe meines Lebens" ist nämlich ein Remake von "Ruhelose Liebe" (Originaltitel: "Love Affair"). Und beide – Original und Remake – stammen vom selben Regisseur: Leo McCarey, der knapp zwei Jahrzehnte später einfach seinen eigenen Stoff noch einmal neu auflegte.
Genau diesen McCarey, der sich einst als Autor für die Laurel-&-Hardy-Sketche einen Namen gemacht hatte, habe ich in dieser Reihe ja schon ziemlich gefeiert. Ein Regisseur, der am liebsten improvisierte, am Set mal eben viele Dialoge komplett umschrieb und sich dafür gerne entspannt ans nächste Klavier setzte. Mit dem Wissen ausgestattet muss man dann schon grinsen, wenn man in "Ruhelose Liebe" gleich mehrmals im Hintergrund Klaviere entdeckt. McCarey, der alte Schelm. Dabei war McCarey selbst damals so gar nicht amüsiert darüber, stets nur leichte Komödien angeboten zu bekommen, und bemühte sich um einen Stoff, der etwas komplexer ausfallen sollte. Das Ergebnis ist mit "Ruhelose Liebe" ein Film, der zwar viel Humor bietet, allerdings auch immer wieder innehält, reflektiert und schon mal nachdenkliche Töne anschlägt – inklusive einer ordentlichen Portion Melodrama.

Viele der eher nachdenklichen Töne resultieren daraus, dass beide Hauptfiguren ja eigentlich verlobt sind – wobei das zu Beginn eher nur für Terry ein größeres moralisches Dilemma zu sein scheint. Einmal darf sich dann auch noch das Schicksal von seiner denkbar dunkelsten Seite zeigen – in einer Szene, die in "Schlaflos in Seattle" eine deutlich positivere Wendung nimmt. Dieser Stilmix aus Romantik, Witz und Tragik funktioniert in "Ruhelose Liebe" aber nur bedingt. Ja, es gibt einige wirklich clever inszenierte und geschriebene Momente, die sowohl mit feinem Humor als auch ernsthafter Charakterbeobachtung glänzen. In einer Szene erhalten unsere beiden Turteltauben während ihres Flirts zum Beispiel Telegramme von ihren Verlobten, widmen denen aber nur einen kurzen Blick, bevor unter dem Motto "Wo waren wir gleich?" der Flirt fortgesetzt wird. Das ist so schön subtil und entspannt gespielt, dass man sowohl zum Lächeln als auch zum Nachdenken verführt wird – und von solch cleveren Einfällen gibt es im Film noch ein paar weitere schöne Beispiele.
Auf der anderen Seite fehlt aber dann doch ein wenig das nötige Feuer in dieser Liebesaffäre, die sich im Wesentlichen über lange Zeit auf schnippische Dialoge beschränkt. Das liegt sicher auch an der zur damaligen Zeit über allem schwebenden amerikanischen Filmzensur. Der sogenannte Hays Code sah es nämlich gar nicht gerne, wenn eigentlich auf den löblichen Hafen der Ehe zusteuernde Menschen "moralisch abgelenkt" wurden. Da musste man als Drehbuchautorin oder Drehbuchautor schon genau aufpassen, und so hat man das Gefühl, dass es zwar hier schon ein bisschen knistert, aber man tunlichst vermeiden wollte, dies in zu hohen emotionalen Flammen münden zu lassen.
Diese angezogene Handbremse tut dem Film nicht gut, denn irgendwann sollte so ein Flirt doch schon deutlich mehr an Fahrt aufnehmen. Dass dies nicht so richtig gelingen will, liegt aber auch an der Figur des Michel Marnet. Charles Boyer spielt diesen so aalglatt, dass man schlichtweg viel zu lange das Gefühl hat, dass die gute Terry für ihn nur eine weitere Eroberung von vielen sein wird. In einer rein romantisch ausgelegten Komödie mag das noch ordentlich funktionieren, dem gewünschten Tiefgang und den nachdenklicheren Tönen raubt es hier aber etwas die Glaubwürdigkeit.

Zum Glück gibt’s auf der Gegenseite ja noch Irene Dunne. Von deren komödiantischem Timing war ich ja schon in McCareys "Die schreckliche Wahrheit" sehr angetan, und auch hier bringt sie jede Menge Charisma und Schlagfertigkeit mit. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass ihre Figur im Vergleich zu der des Michel Marnet deutlich komplexer und widersprüchlicher angelegt ist – und sie es damit einfacher hat, emotionale Tiefe und Verliebtheit zu vermitteln, ohne sich in Klischees zu verlieren.
So gemischt wie das Urteil über die beiden Hauptdarsteller ausfällt, so sieht auch meine Meinung zum Spannungsbogen aus. Zu Beginn – besonders auf dem Schiff – fliegen die Dialogbälle wirklich herrlich hin und her. Beim Ausflug nach Madeira verliert der Film aber dann zwischenzeitlich schon deutlich an Tempo und Esprit – und wirkt auf einmal eher banal und schon fast kitschig. Im letzten Drittel wird’s dann stellenweise auch noch etwas schlampig, wenn in Sachen Plot Kollege Zufall doch etwas zu oft Pate steht. Um einem das Urteil aber möglichst schwer fallen zu lassen, gibt es auch hier wieder gleichzeitig zahlreiche schöne Charakterhighlights – wie bei dem Kurzauftritt von einem durch seine Schüler gemobbten Lehrer. Und ganz am Ende schenkt man uns dann auch noch ein wirklich wundervolles Finale, wo auf einmal die Mischung aus Drama und Komödie perfekt funktioniert und sogar Michel endlich überzeugend echte Gefühle zeigt.
Trotz dieses tollen Schlussspurts reicht es am Ende in meiner Wertung (wenn auch nur knapp) nicht ganz für das achte Auge. Nicht restlos überzeugt war wohl auch die Academy, denn von den sechs Oscar-Nominierungen (unter anderem für die beste Hauptdarstellerin, die beste Nebendarstellerin und das beste Drehbuch) konnte "Ruhelose Liebe" keine einzige für sich entscheiden. Eine Sache hat der Film aber auf jeden Fall geschafft, und zwar meine Neugier auf das Remake von 1957 zu wecken. Für das konnte sich McCarey nämlich Cary Grant als Hauptdarsteller sichern und vielleicht ja damit eine der aus meiner Sicht zentralen Schwächen des Originals ausbügeln. Bis das final geklärt werden kann, dient aber auch "Ruhelose Liebe" schon als ganz passable Unterhaltung, auch wenn hier gefühlt noch deutlich mehr drin gewesen wäre.
"Ruhelose Liebe" ist aktuell als Bluray und DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar, sowie kostenlos im Internet Archive.
Trailer zum Film
Wiederaufführungs-Trailer zum Film
Ausblick
In unserer nächsten Folge zücken wir dann wieder die Höchstnote, wenn eines der berühmtesten Regie-Darsteller-Gespanne der Filmgeschichte seinen ersten Auftritt in unserer Reihe hat.
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