Mr. Smith geht nach Washington

MOH (96): 12. Oscars 1940 - "Mr. Smith geht nach Washington"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 25. Februar 2025

In unserer letzten Folge hatten wir in "Auf Wiedersehen, Mr. Chips" eine unspektakulär wirkende Hauptfigur auf ihrem Lebensweg begleitet, nun setzen wir unsere Reise durch die Oscar-Geschichte mit einem weiteren "Durchschnittsbürger" fort. Auch unser Mr. Smith zeigt dabei in Frank Capras Klassiker jede Menge Herz und eine ordentliche Portion Idealismus.

Mr. Smith geht nach Washington

Originaltitel
Mr. Smith Goes to Washington
Land
Jahr
1939
Laufzeit
129 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
9
9/10

Noch vor kurzem habe ich mich bei Frank Capras Oscar-Gewinner "Lebenskünstler" ja darüber beschwert, dass dessen Überangebot an skurrilen Nebenfiguren dort für ein Ticken zu viel liebenswerte Hektik gesorgt hat. Mit "Mr. Smith geht nach Washington", Capras 1939 für den Oscar nominiertem Filmklassiker, weicht diese Hektik nun zu Beginn einem schon fast diametral dazu angesiedelten niedrigem Ruhepuls – was für eine Capra-Produktion sehr nüchtern und schon fast "herzlos" wirkt. Doch mit zunehmender Spieldauer weicht naiver Patriotismus hier einem emotional packenden Kampf gegen politischen Machtmissbrauch, dessen Botschaft gerade im heutigen politischen Klima aktueller denn je klingt.

Es klingt auf jeden Fall zu gut, um wahr zu sein, als eines Tages ausgerechnet der gutherzige Pfadfinderführer Jefferson Smith (James Stewart) völlig überraschend in den US-Senat berufen wird. Jefferson ahnt nicht, dass er an der Seite des erfahrenen Senators Joseph Paine (Claude Rains, "Vater dirigiert", "Robin Hood – König der Vagabunden") dort nur vorübergehend als leicht zu kontrollierender Lückenbüßer dienen soll. Der Paine kontrollierende Medienmogul Jim Taylor (Edward Arnold) plant nämlich, mit dessen Hilfe möglichst geräuschlos ein Staudammprojekt verabschieden zu lassen, das die eigenen Taschen reichlich befüllen würde. Smith hat dagegen idealistischere Ziele und möchte gemeinsam mit seiner vom Politikbetrieb eigentlich desillusionierten neuen Sekretärin Clarissa Saunders (Jean Arthur, "Mr. Deeds geht in die Stadt"), ein jährliches nationales Pfadfinderlager aus der Taufe zu heben – ausgerechnet auf dem für den Staudamm angedachten Gelände. Und so kollidiert in Washington schon bald gut gemeinter Idealismus mit den schlimmsten Auswüchsen des Kapitalismus.
 


Eigentlich bin ich ein Freund davon, aktuelle politische Gedanken aus meinen Filmkritiken herauszuhalten – was natürlich nicht heißt, dass sie sich manchmal nicht doch unbewusst einschleichen. Bei "Mr. Smith geht nach Washington" wäre es aber schlicht irreführend, nicht darauf hinzuweisen, dass das Anschauen dieses Filmes vermutlich vor einigen Wochen bei mir (und vermutlich vielen anderen) deutlich weniger emotionale Reaktionen hervorgerufen hätte. Angesichts der Entwicklungen in der US-Politik nimmt man Frank Capras leidenschaftliches Feiern der amerikanischen Werte und das damit verknüpfte Anprangern von Korruption und Selbstbereicherung von US-Politikern nun einfach anders war (auch wenn davor natürlich auch schon ziemlich lange viel im Argen lag).

Das Gefühl der Beklommenheit und des Unwohlseins macht sich bei "Mr. Smith geht nach Washington" dabei vor allem in der ersten Hälfte des Films bemerkbar. Dort begleiten wir unsere Hauptfigur dabei, wie sie voller Patriotismus und Idealismus in Washington ankommt und erst mal aufgeregt eine Stadtrundfahrt macht – vorbei an ikonischen Wahrzeichen der amerikanischen Demokratie. Mit leuchtenden Augen wird hier vor allem Lincoln, den Regisseur Capra sehr verehrte, und dessen Botschaft „Government of the people, by the people, for the people“ gefeiert – die aktuell aber nur wie ein ferner Traum wirkt. Angereichert um eine ordentliche Portion Sorge angesichts der Dinge, die da jetzt noch kommen mögen.
 


Man fühlt sich ebenfalls wie in einer Parallelwelt, wenn unser guter Jefferson sich in seiner ersten Sitzung Populismus vorwerfen lassen muss, nur weil ein paar emotionalere Bilder und Botschaften von ihm in den Zeitungen erschienen sind – die im Vergleich zum heutigen Umgangston natürlich erschreckend harmlos wirken und so aktuell ein melancholisches Seufzen auslösen. Dass sich in der ersten halben Stunde der eigentlich für Capra so typische herzerwärmende Optimismus nicht so wirklich einstellen will, liegt auch, aber nicht nur, am aktuellen Kurswechsel der US-Regierung. Den amerikanischen Patriotismus sieht man ja generell in Deutschland etwas kritischer, und auch wenn der Film diesen jetzt nicht zu aggressiv präsentiert, neigt man als Europäer dann doch gerne dazu, diese Passagen eher achselzuckend als ergriffen an sich vorbeiziehen zu lassen.

Gleichzeitig wirken viele dieser Sequenzen auch bezüglich der Figuren überraschend kühl für Capra, der ja eigentlich ein gutes und vor allem liebevolles Händchen für charmante Charaktermomente hat. Da passt auch der auffällig spärliche Einsatz von Musik in der ersten halben Stunde gut dazu, und so kann diese irgendwie emotional nicht so richtig mitreißen. Viel hängt alleine an James Stewarts Charme und seiner Darstellung des klassischen „Fish-out-of-Water“-Erlebnisses, doch selbst Stewart gibt hier (entsprechend seiner Rolle) lange Zeit eher nur den passiven Bewunderer, was für die emotionale Identifikation mit der Figur erstmal ein kleines Hindernis bedeutet.
 


Glücklicherweise aber nicht für lange, und nach etwa 30 Minuten beginnt sich das Blatt zu wenden – und die Geschichte Fahrt aufzunehmen. Einmal, da mit dem sich nun offenbarenden Konflikt endlich etwas Würze in die Handlung kommt. Dann aber auch, weil nun die besagten charmanten Charaktermomente reihenweise eintrudeln. Wundervoll am Beispiel einer Szene zu sehen, in der Jefferson angesichts von Paines attraktiver Tochter spürbar nervös wird. Capra fängt dessen Unsicherheit alleine dadurch ein, dass er mit der Kamera die ganze Zeit in Nahaufnahme dessen Hand filmt – in der Jefferson nervös mit seinem Hut spielt. Großartig. Dazu entwickelt sich auch eine wundervolle Chemie zwischen Jefferson und Clarissa – dank sowohl charmanter als auch pointierter Dialoge. Hier zeigt Capra dann auch wieder sein Talent für clevere Kennenlernen-Szenen, bei denen die sich entwickelnde Romantik auf intelligenten Wortwechseln, angereichert um ein sympathisches Augenzwinkern, beruht.

Im Vergleich zu früheren Capra-Filmen wirken die Figuren dazu hier spätestens in der zweiten Hälfte einen deutlichen Ticken vielschichtiger und erwachsener als sonst. Clarissas langsame Entwicklung von der zynischen Skeptikerin zur idealistischen Unterstützerin verläuft glaubhaft, und mit Joseph Paine bietet man einen interessanten Antagonisten, der spürbar mit Zweifeln zu kämpfen hat. Dass man mit Jean Arthur und Claude Rains zwei großartige und unglaublich charismatische Darsteller zur Verfügung hat, hilft natürlich auch. Jefferson mag dabei im Mittelpunkt der Handlung stehen, aber gefühlt ist eigentlich Clarissa die treibende Kraft – was für eine interessante Aufteilung der Heldenrolle sorgt, bei der das Thema Romantik dann auf angenehme Weise auch eher in den Hintergrund tritt.
 


Am Ende steht aber natürlich dann doch Jefferson auf der großen Bühne, und wie hier gerade in der letzten halben Stunde im Senat spektakulär um die Werte der Demokratie gerungen wird, ist schlichtweg phantastisch umgesetzt. Natürlich gibt es hier die typischen Capra-Elemente und fusst das Ganze etwas naiv auf dem Glauben an das Gute im Menschen. Aber gerade im Vergleich zu "Mr. Deeds geht in die Stadt" oder "Lady für einen Tag" fällt der Sieg diesmal nicht einfach vom Himmel. Diesmal muss die Gerechtigkeit wirklich unglaublich hart erkämpft werden. Hier laufen sowohl Capra als auch vor allem Stewart zur absoluten Höchstform auf und sorgen für ein intensives und nervenaufreibendes Finish, bei dem die Gegenseite immer brutaler zurückschlägt, der Einsatz dadurch immer höher wird, und man als Zuschauer am Schluss genauso geschlaucht wie die Hauptfigur sich gerade noch ins Ziel retten kann. Gerade Stewart spielt so intensiv und überzeugend, dass es mir ein vollkommenes Rätsel ist wie er im Rennen um den Oscar für den besten Hauptdarsteller das Nachsehen haben konnte. Selten hat sich das Finale eines Films für mich am Ende so befriedigend angefühlt wie hier, selten habe ich so mit einer Figur mitgelitten.

So mag "Mr. Smith geht nach Washington" aufgrund seiner deutlichen Startschwierigkeiten vielleicht kein perfekter Film sein, die Botschaft des Films hallt aber so klar nach wie bei kaum einem anderen Werk von Capra. Und so bleibt zu wünschen, dass die idealistischen Worte von Lincoln hoffentlich in Zukunft doch wieder mehr gelebt werden. „A government of the people, by the people, for the people“ – schön wär’s.

"Mr. Smith geht nach Washington" ist in einer wirklich wunderschönen UHD-Version auf Amazon (Bluray & digital) in Deutschland verfügbar.

 


Moderner, wenn auch etwas reißerischer Trailer des Films von Sony
 


Jefferson erklärt Clarissa seinen Traum eines nationalen Jugendzeltlagers.


Die ersten 10 Minuten des Films.

 


Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir auf eine legendäre Hollywood-Schauspielerin, deren Figur eine tragische Hiobsbotschaft zu verarbeiten hat.

Bilder: Copyright

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