MOH (76): 10. Oscars 1938 - "Die schreckliche Wahrheit"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge trafen wir auf den ersten Farbfilm unserer Oscar-Reihe, nun kehren wir wieder zum klassischen Schwarz-Weiß-Streifen zurück. Zumindest inhaltlich geht es hier aber trotzdem ziemlich bunt zu, denn Cary Grant und Irene Dunn haben sichtbar Spaß bei ihrem Ausflug in das Genre der Screwball-Comedy – und das Publikum glücklicherweise auch.
Die schreckliche Wahrheit

So ein klein wenig bin ich wieder verliebt. Allerdings nicht in das charismatische Spiel von Cary Grant oder das wundervolle schnippische Auftreten von Irene Dunn. Sondern in die Arbeit eines Regisseurs, der mich in dieser Reihe schon mal zur Verzückung gebracht hat. Mit der Komödie “Ein Butler in Amerika“ hatte Leo McCarey ein unglaubliches Händchen für gutes Comedy-Timing gezeigt und auch wenn “Die schreckliche Wahrheit“ nicht ganz an dieses Komödien-Meisterwerk heranreicht, liefert er uns auch hier wieder eine Menge richtig leichtfüßiger und witziger Momente. Und so eignet sich seine Screwball-Komödie aus dem Jahr 1937 ebenfalls vorzüglich für einen verdammt unterhaltsamen Filmabend.
Wie es sich für eine ordentliche Screwball-Comedy gehört wird sich in “Die schreckliche Wahrheit“ natürlich gleich mal gezofft. Diesmal verdächtigt sich das wohlhabende Ehepaar Jerry (Cary Grant, “Sie tat ihm unrecht“) und Lucy Warriner (Irene Dunne, “Pioniere des Wilden Westens“) gegenseitig der Untreue. Man landet schließlich beim Scheidungsrichter und auch wenn die Scheidung erst 90 Tage später offiziell in Kraft treten soll, wird bereits jetzt schon Lucy das Sorgerecht für den gemeinsamen Hund Mr. Smith zugesprochen. Das passt Jerry natürlich gar nicht, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Lucy nun noch mehr Zeit mit ihrem europäischen Musiklehrer (Alexander D'Arcy) und dem Ölmillionär Daniel Leeson (Ralph Bellamy, “Rosemaries Baby“) verbringt. Voller Tatendrang (und einigen Restgefühlen für seine Noch-Ehefrau) schaltet Jerry auf Attacke. Er ahnt natürlich nicht, dass auch seine Frau noch Gefühle für ihn hat und eher genervt davon ist, dass ihre Tante Patsy (Cecil Cunningham) sie ständig mit neuen Männern verkuppeln möchte.

Da ist sie wieder, die gute alte Screwball-Komödie. Ich habe hier ja schon mal geschrieben, wie sehr ich dieses einst so beliebte Genre heutzutage vermisse. Auch “Die schreckliche Wahrheit“ macht über weite Strecken einfach richtig gute Laune, so dass man sich wünscht heutige Filmemacherinnen und Filmemacher würden dieser Art der Comedy weniger die kalte Schulter zeigen. Wobei der Film erst einmal etwas Anlaufzeit benötigt um Fahrt aufzunehmen, da die Etablierung der zentralen Prämisse schon ein klein wenig unrund daherkommt. Gefühlt entscheidet sich unser Ehepaar viel zu überhastet dafür getrennte Wege zu gehen und da man schon gleich zu Beginn gute Laune verbreiten will, wirkt der Weg dahin irgendwie irritierend unernsthaft und so auch unglaubwürdig. Damit haben dann vor allem Grant und Dunne zu kämpfen, die nicht ganz zu wissen scheinen wie sie diese ersten Szenen spielen sollen, wodurch beide Figuren etwas hölzern wirken und der Film einen kleinen dramaturgischen Stotterstart hinlegt.
Glücklicherweise frühstückt man das aber innerhalb von 15 Minuten ab und spätestens wenn unsere beiden Ex-Turteltäubchen vor dem Scheidungsrichter stehen, stehen auch der Film und seine Darsteller auf sicherem dramaturgischem Fundament. Ab jetzt verbreitet “Die schreckliche Wahrheit“ einfach nur richtig gute Laune, was unter anderem an der großartigen Chemie zwischen Grant und Dunne liegt. So happy war ich ja mit Grants erstem Auftritt in unserer Oscar-Reihe nicht, jetzt aber ist sein später so berüchtigter Charme wirklich zu spüren - zwar noch nicht ganz auf dem Niveau späterer Klassiker, aber doch schon ziemlich nah dran. Kaum jemand kann im größten Chaos so herrlich unbeholfen und entschlossen zu gleich wirken wie Grant, dem mit “Die schreckliche Wahrheit“ der große Durchbruch in Hollywood gelang.

Bedanken darf er sich da aber auch bei seiner Partnerin, denn Irene Dunne gibt den perfekten Gegenpart und legt dabei vor allem ein unglaublich gutes Timing bei den gegenseitigen Neckereien an den Tag – inklusive wundervollem ironischem Unterton. Unterstützt werden beide von einem Drehbuch, dass zwar keine großen Überraschungen aber viele clever geschriebene Wortgefechte und humorvolle Konfliktsituationen bereithält. Zugegeben, manche davon haben wir hier so ähnlich schon in den Fred Astaire Filmen “Scheidung auf amerikanisch“ und “Ich tanz' mich in dein Herz hinein“ gesehen. So ist auch hier der vermeintlich konkurrierender Lover wieder ein schmalziger Europäer, der irgendwann gemeinsam mit unserer Hauptfigur in ein Zimmer eingesperrt wird und dort ordentlich was auf die Mütze kriegt. Aber oft ist eben nicht das “Was“ sondern das “Wie“ entscheidend und “Die schreckliche Wahrheit“ holt selbst aus vertrauten Szenarien einfach jede Menge Unterhaltung raus.
Womit wir dann auch zu zwei wirklich großartig gespielten und sehr einfallsreich geschriebenen Set-Pieces in der Mitte des Filmes kommen, die wirklich absolutes Comedy-Gold sind. Neben einem unglaublich unterhaltsamen Abend in einem Nachtclub gibt es eine tolle Sequenz in Lucys Apartment, bei welcher der gemeinsame Hund für Chaos sorgt. Wie sich diese Szene immer weiter ins Alberne steigert ist von allen Beteiligten schlicht meisterhaft umgesetzt – und den Hund wollen wir dabei ausdrücklich miteinschließen. Der hieß im richtigen Leben übrigens Skippy und verfügt, dank weiterer Auftritte in “Der dünne Mann“ und “Leoparden küsst man nicht“, über eine Film-Vita, die viele menschlichen Schauspieler wohl vor Neid erblassen lassen dürfte.

Vermutlich dürfte Skippy auch am wenigsten Probleme mit der Arbeitsweise von Regisseur Leo McCarey gehabt haben, der auch an diesem Set wieder seine Vorliebe zur Improvisation auslebte. Teils zur Verzweiflung seines Ensembles, denn gerade Grant war damals wohl sehr erbost darüber, dass McCarey sich immer wieder während der Produktion ans Klavier setzte, um entspannt Brainstorming zu betreiben (während der Rest der Crew warten musste). Wie schon beim angesprochenen “Ein Butler in Amerika“ führt das aber auch hier wieder zu wundervollen und unglaublich leichtfüßig wirkenden Szenen. Und so ist es nicht übertrieben wenn am Ende festzuhalten ist, dass der eigentliche Star hier hinter der Kamera sitzt. Jean Renoir sagte einmal, niemand in Hollywood würde Menschen so gut verstehen wie Leo McCarey und es ist eine Schande, dass dieser großartige Regisseur heute kaum jemandem noch ein Begriff ist.
So ein klein wenig scheint dem Film im letzten Drittel zwar die Puste auszugehen, was dieser aber mit einem absoluten zauberhaften Finish locker wieder wettmacht. Dabei findet der Film eine herrliche Lösung, um trotz Hollywoods strengem Moralcodex ein sexuelles Abenteuer zwischen unseren Protagonisten anzudeuten – und das mit Hilfe einer deutschen Kuckucksuhr! Als Belohnung für soviel Einfallsreichtum gab es gleich sechs Oscar-Nominierungen – allerdings nur eine Auszeichnung. Die ging aber, und das ist sowas von verdient, an McCarey für die beste Regie. Leer ging unter anderem der für den besten Nebendarsteller nominierte Ralph Bellamy aus, dessen Gesicht dank markanter späterer Nebenrollen in “Rosemaries Baby“ und “Die Glücksritter“ aber wohl auch heute noch manchen Menschen vertraut vorkommen dürfte. Solche kleine Entdeckungen (das Gesicht kenne ich doch) sind immer wieder ein netter Nebeneffekt dieser Oscar-Reihe. Am schönsten ist es aber natürlich, wenn man ganz unverhofft über so eine kleine Filmperle stolpert. Darum möchte ich hier mal wieder die Werbetrommel rühren – wie wäre es die Tage einfach mal mit dem schönen McCarey Double-Feature „Ein Butler in Amerika“ und “Die schreckliche Wahrheit“. Gute Laune ist garantiert!
"Die schreckliche Wahrheit" ist aktuell als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.
TV-Vorschau zu "Die schreckliche Wahrheit"
Szene: Jerry trifft auf seinen Widersacher (gespielt von Ralph Bellamy)
Ausblick
In unserer nächsten Folge gibt es wieder einen charismatischen Hauptdarsteller in einem diesmal aber deutlich exotischeren Abenteuer zu bestaunen.
Neuen Kommentar hinzufügen