Von Mäusen und Menschen

MOH (99): 12. Oscars 1940 - "Von Mäusen und Menschen"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 18. März 2025

In unserer letzten Folge stand das Lachen einer Kinolegende im Vordergrund, heute überwiegt dagegen die Tragik in der Verfilmung des berühmten Literaturklassikers "Von Mäusen und Menschen".

Von Mäusen und Menschen

Originaltitel
Of Mice and Men
Land
Jahr
1939
Laufzeit
106 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
10
10/10

Angesichts der Liste nominierter Best-Picture-Kandidaten, mit Klassikern wie "Der Zauberer von Oz", "Mr. Smith geht nach Washington" und "Vom Winde verweht", kam bei mir schon zum Start des Oscar-Jahrgangs 1939 große Freude auf. Doch wer hätte gedacht, dass sich in diesem ohnehin beeindruckenden Oscar-Jahr noch eine weitere, deutlich unbekanntere Perle verstecken würde? Die meisterhafte Adaption von John Steinbecks Roman "Von Mäusen und Menschen" entpuppt sich als tolles Charakterkino, das vor allem dank dem liebevollen Umgang mit Nebenfiguren und einer unglaublich einfühlsamen Inszenierung die Stärken der Buchvorlage nahezu perfekt ausspielen kann.

In den 1930er-Jahren, während der Großen Depression, ziehen die Wanderarbeiter George Milton (Burgess Meredith) und sein geistig zurückgebliebener Freund Lennie Small (Lon Chaney Jr.) durch Kalifornien auf der Suche nach Arbeit. Ihr großer Traum: eines Tages ein eigenes Stück Land zu besitzen. Erst aber muss dafür natürlich das nötige Geld erwirtschaftet werden. Auf einer Ranch treffen sie dabei auf den Vorarbeiter Slim (Charles Bickford), den vom Leben gezeichneten Candy (Roman Bohnen) und den aggressiven Sohn des Ranchers Curley (Bob Steele), dessen Frau Mae (Betty Field) sich verzweifelt nach Aufmerksamkeit sehnt. George ahnt, dass man sich vom impulsiven Curley am besten fernhalten sollte, doch die immer explosiver werdende Situation auf der Ranch droht schon bald nicht nur die Träume, sondern auch die Freundschaft von George und Lennie zu gefährden.
 


Nach mittlerweile 99 Folgen unserer Oscar-Reihe ertappe ich mich immer öfter dabei, dass früher unvertraute Namen bei mir inzwischen richtige Vorfreude auf anstehende Filme auslösen. Einer dieser Namen: Lewis Milestone. Der Regisseur von “Im Westen nichts Neues“ und “The Racket“ gibt sich stets Mühe eine kreative und interessante Inszenierung abzuliefern, was selbst schwächere Werke ("The Frontpage") am Ende interessant macht. Auch für die Inszenierung von "Von Mäusen und Menschen" hat sich Milestone wieder einige Gedanken gemacht und legt dabei gleich mal mit einer echten Überraschung los – zumindest für damalige Verhältnisse.  

Milestone liefert uns nämlich hier eine der ersten Pre-Credit-Sequenzen der Hollywoodgeschichte. Klassisch begannen die Filme der damaligen Zeit ja erst mal mit mehreren Texttafeln voller Credits. "Von Mäusen und Menschen" dagegen springt direkt in die Geschichte und zeigt zuerst die temporeiche Flucht unserer beiden Hauptfiguren, die schließlich erfolgreich in einem Zug endet – bis dann auf einer der Zugwagentüren erst die Credits des Films eingeblendet werden. Das mag aus heutiger Sicht unspektakulär wirken, damals jedoch war dieser Beginn ein echtes Novum. Und zugegeben, für mich in gewisser Hinsicht auch, da nach knapp 100 Filmen unserer Oscar-Reihe auch ich hier überrascht und von der unerwarteten Anfangsenergie erstmal positiv mitgerissen wurde – und so zumindest ein wenig nachfühlen konnte, wie sich wohl das damalige Publikum gefühlt haben dürfte.
 


Ganz schön clever, doch bei diesem kleinen Gimmick belässt es Milestone nicht. Schon bei "Im Westen nichts Neues" hatte er ja gezeigt, dass er kein Freund statischer Kameraeinstellungen ist. Auch hier herrscht jetzt bei ihm oft Bewegung, doch seine Kamerafahrten wirken dabei nie willkürlich, sondern immer im Dienst der Szene und deren emotionaler Intentionen. In "Von Mäusen und Menschen" perfektioniert er dieses Vorgehen, denn der Film hat von Anfang an einen  wundervollen Flow und eine sehr geschmeidige Dynamik. Was Milestones Inszenierung aber besonders stark macht, ist das Gespür dafür zu erkennen, wann Szenen und Figuren Luft zum Atmen brauchen. Viele Momente entfalten hier ihre emotionale Wucht gerade dadurch, dass nicht sofort weggeschnitten wird, sondern die Kamera erst noch verharrt oder gar langsam aufzieht, damit sich die Emotionen nicht nur bei den Figuren sondern auch dem Publikum erst richtig entfalten können.

Bei soviel Feingefühl möchte das Drehbuch dann auch nicht zurückstecken und nimmt sich darum selbst für kleine Nebenfiguren einiges an Zeit. Mit am bewegendsten ist dabei sicher das Porträt des alten Candy, der nach jahrelanger Arbeit ein gebrochener Mann ist, der von vielen seiner Kollegen nicht mehr ernst genommen wird. Gerade mit dieser Figur zeigt der Film unglaublich viel Mit- und Fingerspitzengefühl, wenn George und Lennie zum Beispiel über ihren großen Traum philosophieren und unbemerkt von beiden im Hintergrund Candy jedes Wort der beiden aufsaugt – und dabei auf herzzerreißende Art mit jedem Wort neue Lebensfreude schöpft. Es sind diese kleinen Momente, die "Von Mäusen und Menschen" mit Leben füllen, da sie ehrlich und einfühlsam präsentiert werden und man ihnen dafür auch die nötige Zeit einräumt. Alleine, dass man hier der Diskussion um die mögliche Einschläferung von Candys geliebtem Hund mehrere Minuten widmet zeigt dies eindrücklich.
 


Diese Szene hat allerdings, ohne jetzt zu viel vorwegzunehmen, gewissermaßen auch einen sehr prophetischen Charakter für den Rest des Filmes. In dessen Mittelpunkt steht am Ende natürlich die Freundschaft zwischen Lennie und George, bei der gerade Georges innere Zerrissenheit und Sorge um den unberechenbaren Freund sowohl für Spannung als auch Mitgefühl sorgt. Das lässt unsere Ranch hier nicht einfach nur wie eine Kulisse wirken, sondern wie einen echten Ort mit realen Menschen und echten Problemen und Hoffnungen. Selbst der zuerst eher simpel gestrickt daherkommende Bösewicht erhält später Nuancen, die dessen inneren Konflikte zumindest erahnen lassen. Der Film ist dabei so feinfühlig gemacht, dass es oft selbst dann möglich ist die Gedankengänge unserer Figuren nachzuvollziehen, wenn diese einfach nur schweigend am Tisch sitzen.

Natürlich, aus heutiger Sicht mag die Darstellung von Lennies geistiger Behinderung etwas zu simpel wirken und würde heute sicher nuancierter gespielt werden. Dennoch funktioniert die Figur, weil sie mit der richtigen Intention und dem nötigen Herzblut gezeichnet ist. Das größte Lob für eine Schauspielleistung geht aber an Burgess Meredith, der die Frustration über und gleichzeitig auch Liebe zu seinem Freund sehr überzeugend transportiert bekommt. Was dann zu dem berühmten dramatischen Schlusspunkt führt, der leicht manipulativ und billig-melodramatisch hätte ausfallen können, dank jeder Menge Talent vor und hinter der Kamera aber emotional wuchtig und berührend daherkommt. Und auch diesen Moment lässt man natürlich noch ein paar Sekunden emotional nachhallen, bevor man dann erst zu den finalen Credits überblendet.

So bleibt am Ende festzuhalten, dass diese Geschichte kaum besser hätte umgesetzt werden können. Das Verlangen, die 1992er-Filmversion des Stoffes mit Gary Sinse und John Malkovich anzusehen, hält sich bei mir aktuell zumindest in Grenzen – was sollte da denn auch noch kommen. Und ein größeres Lob kann man der Fassung von 1939 wohl kaum machen.

"Von Mäusen und Menschen" ist aktuell als Import-DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.

 


Trailer zum Film
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge feiern wir Jubiläum und den 100ten Beitrag unserer Oscar-Reihe gebührend mit einem echten Klassiker der Filmgeschichte.


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