Teufelskerle

MOH (93): 11. Oscars 1939 - "Teufelskerle"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 4. Februar 2025

In unserer letzten Folge hatte ein idealistischer Arzt für die Gesundheit der Menschen gekämpft, heute setzt sich ein idealistischer Priester für von der Gesellschaft aufgegebene Kinder ein. Das Ergebnis fällt weniger überzeugend aus, da ein alter Bekannter schon wieder für Kopfschmerzen sorgt.

Teufelskerle

Originaltitel
Boys Town
Land
Jahr
1938
Laufzeit
96 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
6
6/10

„So etwas wie ein böses Kind gibt es nicht“ – mit dieser Überzeugung gründete der amerikanische Geistliche Edward Flanagan 1917 in Omaha zunächst ein Heim für schwer erziehbare Jungen, um nur wenige Jahre später gegen zahlreiche Widerstände ein ganzes Dorf für diese zu erschaffen. Klingt nach tollem Stoff für eine ordentliche Portion Gesellschaftskritik. Doch anstatt sich nur auf diese Idee zu fokussieren, fügt der Film "Teufelskerle“ dem am Ende noch eine Portion Gangster-Action hinzu. Das entpuppt sich bei dem zumindest in Teilen durchaus charmanten Film aber gar nicht mal als das Hauptproblem, sondern vor allem der zu schrille Auftritt eines berühmten Kinderstars.

Zu Beginn von "Teufelskerle" begleiten wir Priester Edward Flanagan (Spencer Tracy, "Lustige Sünder", "Manuel") erst einmal dabei, wie dieser mit der Hilfe des befreundeten Ladenbesitzers Dave Morris (Henry Hall) in Omaha ein kleines Heim für verwahrloste Jungen etabliert. Trotz finanzieller Schwierigkeiten und Misstrauen aus der Bevölkerung kauft Flanagan nur wenige Jahre später außerhalb der Stadt ein ganzes Areal auf – um dort für mehrere Hundert Jungen "Boys Town" zu gründen. In dem kleinen Ort setzt Flanagan auf die Eigenverantwortung und Selbstverwaltung seiner jugendlichen "Gemeinde", die sogar ihren eigenen Bürgermeister wählen darf. Als eines Tages der aufmüpfige junge Whitey Marsh (Mickey Rooney, "Ein Sommernachtstraum") etwas widerwillig dort einzieht, gerät auch Flanagan an seine Grenzen und dessen Kernbotschaft ins Wanken. Steckt wirklich in jedem Jungen auch etwas Gutes?
 


Das klingt natürlich nach einem Helden wie aus dem Bilderbuch. Basiert aber auf einer wahren Geschichte und dem Leben des echten Edward Flanagan, dessen selbstloser Einsatz für heimatlose Jungen noch heute Respekt verdient. Während "Teufelskerle" die wichtigsten Eckdaten dessen Wirken aufgreift, nimmt man es mit Blick auf ein möglichst großes Publikum aber mit den Details etwas weniger genau. Gerade die erste halbe Stunde wird einem mit einer ordentlichen Portion Zuckerguss serviert und die zentrale Botschaft auch wenig subtil eingeflochten – was aber immer noch ganz unterhaltsam ausfällt.

Das liegt vor allem an Spencer Tracy, der Flanagan mit einer überzeugenden Mischung aus Idealismus, der nötigen Strenge aber auch liebevoller Güte präsentiert – wie man sich eben den perfekten Priester so vorstellt. Für das einfühlsame Porträt von Flanagan überreichte die Academy Tracy zum zweiten Mal in Folge die goldene Statue für den besten Hauptdarsteller – ein Novum in der noch jungen Oscar-Geschichte. Das geht schon irgendwie in Ordnung, da die Leistung von Tracy hier eine eher dahinplätschernde Handlung mit dringend benötigtem Leben füllt, wirklich erinnerungswürdig ist sie jetzt aber nicht. Neben Tracy profitiert der Film im ersten Drittel auch noch von einer angenehmen Leichtigkeit und dem zwar harmlosen, aber irgendwie ganz netten Schlagabtausch zwischen Flanagan und dem eher etwas widerwilligen, aber dann doch gutherzigen Finanzier Morris.
 


Wirklich mitreißend ist das aber alles jetzt nicht geraten. Die Handlung ist vorhersehbar, die Inszenierung von Norman Taurog ("Skippy") schon sehr altbacken und statisch und das Drehbuch präsentiert die Motivationen der Charaktere weniger vielschichtig und eher plakativ. In der zweiten Hälfte rücken dann endlich die Kinder mehr in den Vordergrund und damit zieht etwas mehr Aufregung und Leben in die Geschichte ein. Viel interessanter wird es aber nur bedingt. Es gibt zwar durchaus ein paar charmante Momente – etwa mit dem kleinen Pee Wee, der stets nach Süßigkeiten bettelt – aber weiterhin bleibt das Gefühl, dass hier alles einfach eine Spur zu brav daherkommt. Und ausgerechnet die einzige Person, die dem Abhilfe verschaffen könnte, raubt dem Film dann leider einiges von dem bisher leichtfüßigen Charme.

In "Ein Sommernachtstraum" hatte ich Mickey Rooneys Charakter Puck noch als "unglaublich schrill und nervtötend und meist einfach kaum auszuhalten" beschrieben. Ganz so schlimm fällt das Urteil über seinen Whitey Marsh hier zwar nicht aus, aber das sehr extrovertierte und viel zu aufgesetzt wirkende Spiel von Rooney ist zumindest sehr befremdlich. So wirkt dessen Figur so unsympathisch, dass deren später anstehende Wandlung vom Saulus zum Paulus einen komplett kaltlässt – und gewissermaßen dem Film damit den emotionalen Stecker zieht. Dass man am Schluss auch noch unnötiges Drama in Form von Gangstern injiziert, wirkt dann auch sehr deplatziert – auch wenn es zumindest in ein paar energiegeladenen Szenen mündet, bei denen sich Flanagan mit seinen Jungs gegen die Bösen stellt.
 


So geht dem bis dato harmlosen Vergnügen in der zweiten Hälfte spürbar etwas die Luft und der Charme aus, sodass ein paar niedliche Momente und der starke Tracy nur bedingt von der eher lauen Story ablenken können. Das US-Publikum damals sah es komplett anders und "Teufelskerle" avancierte zum zweiterfolgreichsten Film des Jahres – was dann natürlich eine Fortsetzung ("Das sind Kerle", 1941) zur Folge hatte, der aber deutlich weniger Erfolg beschert war. Angesichts des faszinierenden Konzepts des echten "Boys Town" fühlt sich "Teufelskerle" für mich aber wie eine dieser typischen verwässerten Hollywood-Umsetzungen an, anstatt derer man sich lieber ausführlicher mit deren Vorlage beschäftigen sollte. Das echte Leben schreibt eben dann doch manchmal die interessanteren Geschichten.

"Teufelskerle" ist aktuell als DVD im Doppelpack mit der Fortsetzung auf Amazon in Deutschland verfügbar.

 


Trailer des Films
 


Der echte Edward Flanagan und seine Botschaft.


Ausblick
In unserer nächsten Folge wird der Film das mit dem Zuckerguss deutlich besser hinbekommen - und dafür den Oscar abräumen.

Bilder: Copyright

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