MOH (92): 11. Oscars 1939 - "Die Zitadelle"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge waren wir mit "Die große Illusion" einem der großen Meisterwerke der Kinogeschichte begegnet. Heute geht es in "Die Zitadelle" eine Nummer kleiner zu, auch wenn der Kampf eines idealistischen Arztes gegen alle Widerstände hier mit jeder Menge Charme präsentiert wird.
Die Zitadelle

Erfolg hat System – dieses Motto galt in Hollywood natürlich auch schon in den 1930er Jahren. Kein Wunder, dass man nach populären Werken wie "Arrowsmith" und "Louis Pasteur" nur zu gerne weitere idealistische "Medizin-Helden" auf die Leinwand schicken wollte. Inhaltlich überraschend geht es dabei in "Die Zitadelle" nur bedingt zu, wenn anhand der Laufbahn eines zu Beginn noch hochmotivierten schottischen Landarztes die Schwächen des britischen Gesundheitssystems offengelegt werden. Eine glänzend aufgelegte Cast, eine über weite Strecken humorvolle Leichtigkeit sowie ein mit viel Feingefühl agierender Regisseur machen den Film trotzdem zu einer richtig charmanten Angelegenheit – auch wenn der Tiefgang dabei etwas auf der Strecke bleibt.
Frisch aus der Ausbildung und mit viel ehrbaren Motiven ausgestattet tritt der schottische Arzt Dr. Andrew Manson (Robert Donat, "Das Privatleben Heinrichs VIII.") seinen unterbezahlten neuen Posten in einem walisischen Bergbaudorf an. Gemeinsam mit dem befreundeten Arztkollegen Denny (Ralph Richardson) setzt er sich dort leidenschaftlich für die Gesundheit der Bewohner ein und gewinnt nicht nur an Ansehen, sondern kurz darauf auch das Herz der jungen Lehrerin Christine Barlow (Rosalind Russell). Deutlich weniger Erfolg hat Manson allerdings bei dem Versuch, die Bergarbeiter der Region vor der dort grassierenden Tuberkulose-Epidemie zu schützen. Ob das mit eigenem Idealismus wirklich so eine gute Sache ist, beginnt Manson langsam in Frage zu stellen – erst recht, als sein alter Studienkollege Dr. Frederick Lawford (Rex Harrison) ihm zeigt, welch luxuriöses Leben man führen kann, wenn man sich alleine auf reiche Patienten fokussiert.

Dass hier am Ende die Fahne des Idealismus doch noch hochgehalten wird, dürfte niemanden überraschen. Die Geschichte von "Die Zitadelle" folgt der klassischen Struktur einer Heldenreise: Der Protagonist trotzt zahllosen Widerständen, flirtet kurz mit der dunklen Seite, um dann am Ende mit leuchtendem Blick wieder für die richtige Sache einzustehen. Spannender ist da schon, dass man hier durchaus facettenreich die Probleme des britischen Gesundheitssystems anspricht. Der Film beschränkt sich nicht darauf, alleine die veralteten Regeln der medizinischen Institutionen anzuprangern; er kritisiert auch persönliche Motive auf beiden Seiten des Stereoskops. Einerseits Ärzte, die vor allem von Profit getrieben sind und dafür wohlhabende Patienten schamlos ausbeuten. Andererseits Patienten, die neue Behandlungsmethoden grundsätzlich ablehnen und die sauer sind, wenn der neue Arzt sich als Idealist entpuppt und nicht mehr bei jeder Kleinigkeit automatisch eine Krankmeldung raushaut.
So richtig tief gräbt man dabei allerdings nicht und behandelt viele dieser Aspekte oft mit einem etwas ironischen Unterton, um die Geschichte ja nicht zu düster ausfallen zu lassen – was der Kritik manchmal etwas an Ernsthaftigkeit raubt. Für eine richtig bissige Satire wiederum fehlt gleichzeitig die nötige Entschlossenheit, hier wirklich keine Gefangenen machen zu wollen. Trotz der faszinierenden Grundthematik ist "Die Zitadelle" am Ende also kein Film, der wirklich zum tiefsinnigen Nachdenken anregt. Die Stärken liegen eher woanders und sitzen, unter anderem, auf dem Regiestuhl.

Mit "Ein Mensch der Masse" hatte Regisseur King Vidor ja für das erste große Highlight in dieser Oscar-Reihe gesorgt, und auch hier ist dessen einfühlsames Händchen eine Wohltat. Am besten lässt sich das am Beispiel einer konkreten Szene beschreiben: Als Manson zur Geburt eines Kindes gerufen wird, befürchtet der panische Ehemann der Schwangeren Komplikationen. Nachdem Manson versucht hat, diesen zu beruhigen, betritt unser Arzt alleine das Zimmer der Ehefrau, um die Geburt einzuleiten. Und was macht Vidor auf seinem Regiestuhl? Ignoriert seinen zentralen Protagonisten Manson komplett und bleibt erst einmal mit der Kamera bei der "Randfigur" des Ehemanns, um uns noch ein paar Momente an dessen aufgewühlter Gefühlswelt teilhaben zu lassen. Vidor hat einfach ein wundervolles Gespür dafür, wo gerade das größte dramaturgische Potenzial in einer Szene liegt und wie man vor allem auch Nebenfiguren glänzen lässt – und deren Wertschätzung ist für mich generell sehr oft ein ziemlich gutes Indiz für einen am Ende gelungenen Film.
Nächstes Beweisstück: Dr. Frederick Lawford, unter dessen Anleitung Manson im späteren Verlauf eine reiche Patientin behandeln darf. Während dieser Behandlung versteckt Vidor Manson und seine Patientin hinter einem Sichtschutz, während die Kamera lediglich den das Geschehen genüsslich kommentierenden Lawford zeigt. Auch hier macht die Inszenierung das ganze Szenario viel interessanter und gibt dem großartig spielenden Rex Harrison die Gelegenheit, der Nebenfigur Lawford wirklich Leben einzuhauchen. Die komplette Schauspielriege zahlt diese Art von Vertrauen zurück, indem nahezu alle hier sehr entspannt und charismatisch agieren, sodass man selbst den etwas schleimigen Lawford schon fast ins Herz schließt. Auch Ralph Richardson als dem Alkohol zugeneigter Arztkollege von Manson ist großartig, bekommt aber auch die besten von einigen wirklich sehr guten Dialogzeilen serviert. Gefragt, wie er sich denn ein teures Mikroskop hat leisten können, entgegnet dessen Figur einfach, dass er halt mal ein halbes Jahr mit dem Saufen aufgehört hat.

Man merkt, hier steht eher eine lockere Grundstimmung im Fokus. Das zeigt sich auch in der naiv und oberflächlich umgesetzten Liebesgeschichte zwischen Manson und Christine, die jedoch dank des Charmes beider Figuren erstaunlich gut funktioniert. Oft habe ich mich in dieser Reihe ja darüber beschwert, dass Figuren nach wenigen Wortwechseln plötzlich und nur schwer nachvollziehbar vor dem Traualtar landen. Doch nicht das „Was“, sondern das „Wie“ ist eben oft entscheidend. Hier genügt tatsächlich eine einzige charmant inszenierte und gespielte Szene, um diese kitschige Liebesgeschichte tatsächlich glaubhaft erscheinen zu lassen – oder zumindest zu schlucken. Das liegt vor allem auch an Robert Donat, der den schüchternen, teils naiv-idealistischen Manson mit einem angenehm subtilen Augenzwinkern spielt. Es ist bedauerlich, dass dem ausgesprochen charismatischen Donat aufgrund seiner chronischen Asthmaerkrankung und seines frühen Todes nur wenige große Leinwandrollen vergönnt waren. Dennoch hinterließ er mit Filmen wie Hitchcocks "Die 39 Stufen" und "Auf Wiedersehen, Mr. Chips" – für den er den Oscar als bester Hauptdarsteller gewann – seine Fussstapfen in der Filmgeschichte.
Leider hat Rosalind Russell, die ebenfalls viel Charisma an den Tag legt, im weiteren Verlauf des Films deutlich weniger zu tun. Überhaupt schwächelt "Die Zitadelle" etwas im letzten Drittel, wenn der Ton ernsthafter wird. Diese Wendung passt nicht recht zur Leichtigkeit des vorherigen Geschehens, und Mansons pathetische Einsicht, doch für das Gute kämpfen zu wollen, wirkt letztlich etwas zu erzwungen und kitschig. Um hier echte Wucht zu entfalten, hätte die Story dann einfach auch ein tiefer verankertes Fundament und komplexere Figuren gebraucht. Doch auch wenn "Die Zitadelle" jetzt keinen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlässt, bietet der Film sehr charmante Unterhaltung und weckt weiter die Neugier auf das restliche Schaffen von King Vidor.
"Die Zitadelle" ist aktuell leider nicht auf Amazon verfügbar. Dafür kann man ihn aber kostenlos auf der Webseite des Internet Archive anschauen.
Trailer des Films
Die ersten zwei Minuten des Films.
Ausblick
In unserer nächsten Folge kämpft kein Mediziner sondern ein Priester für eine bessere Zukunft – muss dabei aber ebenfalls einige Widerstände überwinden.
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