MOH (114): 13. Oscars 1941 - "Rebecca"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hatte die Umsetzung des Romans "Früchte des Zorns" von John Steinbeck in einem Meisterwerk geendet. Das mag "Rebecca" zwar nicht ganz gelingen, starke Unterhaltung serviert uns Regielegende Alfred Hitchcock mit seinem US-Debüt aber trotzdem.
Rebecca

Alfred Hitchcock präsentiert: "Titanic". Na, klingt das nach einem interessanten Film? Fast wäre es so weit gekommen, denn just dieses Projekt hatte der Produzent David O. Selznick für Hitchcock im Kopf, als er diesen 1939 nach Hollywood holte. Es kam dann aber anders (vermutlich, da Selznick mit dem epochalen "Vom Winde verweht" schon genug Arbeit hatte), und stattdessen wurde das im Aufwand deutlich bescheidenere Psychodrama "Rebecca" Hitchcocks Eintrittskarte in die Traumfabrik. So gerne ich auch Hitchcocks Version des wohl berühmtesten Schiffsunglücks der Geschichte gesehen hätte, viel besser hätte es für den "Master of Suspense" mit seinem neuen Projekt wohl nicht laufen können. Auch wenn die klassischen Thriller-Vorlieben von Hitch in "Rebecca" eher zurückhaltend ausgelebt werden, ist das Ergebnis am Ende ein vor allem atmosphärisch starkes Werk mit einer überzeugenden Hauptdarstellerin und einigen cleveren Regieentscheidungen – das dem US-Debüt von Hitchcock direkt den Oscar für den besten Film einbrachte.
In "Rebecca" lernt eine schüchterne junge Frau (Joan Fontaine), die als Gesellschafterin einer reichen Dame arbeitet, in Monte Carlo den wohlhabenden Witwer Maxim de Winter (Laurence Olivier, "Sturmhöhe") kennen. Nach einer kurzen Romanze heiraten sie, und sie zieht mit ihm auf sein abgelegenes Anwesen Manderley an der englischen Küste. Dort wird sie aber schnell mit dem allgegenwärtigen Andenken an Maxims erste Frau Rebecca konfrontiert, die im Jahr davor unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Insbesondere die Haushälterin Mrs. Danvers (Judith Anderson) hält die Erinnerung an Rebecca lebendig und macht der neuen Mrs. de Winter das Leben schwer. Die junge Frau beginnt bald an sich selbst und ihrer Ehe zu zweifeln, während sie gleichzeitig versucht, die Geheimnisse rund um Manderley und Rebeccas Vergangenheit zu lüften.

"Rebecca" mag Hitchcocks Hollywood-Debüt sein, so richtig amerikanisch fühlt sich der Film allerdings nicht an. Die Handlung spielt die meiste Zeit in England und neben Hitchcock ist auch eine Vielzahl der wichtigsten Schauspielerinnen und Schauspieler britisch. Und die Geschichte basiert, wie schon Hitchcocks letzte britische Produktion "Riff-Piraten", auf einem Werk der englischen Autorin Daphne du Maurier (später sollte Hitch auch noch deren Kurzgeschichte "Die Vögel" verfilmen). Vertrautes Terrain also für die Regielegende, möchte man meinen, doch so ganz stimmt das nicht. Vor kurzem hatten wir hier ja über Hitchcocks zweite US-Produktion "Der Auslandskorrespondent" gesprochen, der in diesem Jahr ebenfalls für den Oscar als bester Film nominiert war. Während dieser einige typische inhaltliche Merkmale eines Hitchcock-Thrillers besitzt, kommt die Geschichte von "Rebecca" im Vergleich dazu ein wenig unaufgeregter, deutlich blutleerer und teilweise schon fast romantisch daher.
Eine Ähnlichkeit zu "Der Auslandskorrespondent" gibt es aber – der Start fühlt sich bei "Rebecca" ebenfalls ein klein wenig holprig an. So richtig überzeugend ist das erste Kennenlernen und Verlieben unserer beiden Protagonisten zu Beginn nämlich nicht geraten. Was allerdings auch an dem damaligen Männerbild liegen dürfte, denn die kühle und patriarchische Art, mit der Maxim de Winter unsere weibliche Hauptfigur (ihr richtiger Name wird nie genannt) behandelt, macht deren Anschmachten ihres neuen Schwarms heutzutage nur bedingt nachvollziehbar. So richtig nach Liebe sieht das jetzt nicht aus. Erst im späteren Verlauf gibt der Film mit Hilfe ein paar alter Filmrollen ein paar Einblicke in deren glückliche Tage in Monte Carlo – damit hätte man vielleicht doch besser etwas früher rausrücken sollen.

Aber wie schon bei "Der Auslandskorrespondent" ist das angesichts der Qualität des Rests des Filmes leicht zu verzeihen, denn spätestens mit der Ankunft in Manderley zieht einen der Film richtig in den Bann. Dort ist der gute alte Hitch nämlich, zumindest was die Atmosphäre angeht, komplett in seinem Element. Der Film mag im Vergleich zu späteren Hitchcock-Streifen einfacher produziert sein, in Sachen Stimmung holt der britische Regisseur aber mal wieder fast das Maximum raus. So durchzieht ein wundervolles Gothic-Horror-Flair das Anwesen, auch wenn dort eigentlich nie etwas wirklich Gruseliges passiert. Aber alleine durch die Lichtsetzung, die Wahl der Kameraeinstellungen, die intensiven Schauspielleistungen und einen cleveren Schnitt hat man stets das Gefühl, dass irgendetwas hier in den Schatten des alten Gemäuers lauert. Da reicht es schon, wenn unsere Protagonistin einfach nur auf die geschlossene Tür zum Zimmer der verstorbenen Hausherrin zugeht und schon sitzt man angespannt im Sessel.
Es sind viele clevere und manchmal scheinbar kleine Einfälle, mit denen Hitch hier konstant die Spannung hochhält. Wie die Tatsache, dass unsere eiskalte Haushälterin Mrs. Danvers, die sich schnell zur Gegenspielerin unserer Hauptfigur entwickelt, oft einfach aus dem Nichts auftaucht. Deren wahnhafte Zuneigung zur verstorbenen Mrs. de Winter wird vom Film meisterhaft eingefangen, und so wird schon eine kleine Führung mit dieser durch das Zimmer der ehemaligen Mrs. de Winter zu einem faszinierenden Psychospielchen. Die Tatsache, dass Hitchcock nie das Antlitz der Verstorbenen zeigt, ist auch eine dieser intelligenten Entscheidungen, die deren mysteriöse Aura im Haus nur noch weiter verstärkt.

Auf den ersten Blick mag es da fast ein wenig schade wirken, dass der Film nie einen Schritt weitergeht und der Horror stets nur an der Oberfläche bleibt. Aber das sorgt irgendwie auch für einen ganz eigenen "Charme" des Filmes. Ein wenig erinnern dabei manche der Motive und Momente in dem Film an Hitchcocks (meiner Meinung nach) stärkstes Werk: "Vertigo". Selbst die Musik zeigt vereinzelt Ähnlichkeiten, auch wenn Hitchcock seinen Lieblingskomponisten Bernard Herrmann damals noch gar nicht getroffen hatte (der deutsche Franz Waxman erledigt in "Rebecca" den Job allerdings auch ganz ordentlich). Im Fall von "Rebecca" gibt die Mischung aus Minderwertigkeitskomplex, Furcht und Faszination unserer weiblichen Hauptfigur für die Ex-Frau ihres Ehemanns auf jeden Fall ein denkbar spannendes Leitmotiv ab. Und war vermutlich auch mit ein Wegbereiter für spätere psychologische Komponenten in Hitchcocks bekanntesten Thrillern.
Dass wir gerade im Mittelteil so mitfiebern, liegt auch an der tollen Joan Fontaine, die auf wundervolle Art die Naivität der Figur und deren sich kontinuierlich steigernde Anspannung einfängt. Ebenfalls stark ist Judith Anderson als Mrs. Danvers und der ja immer wundervoll anzuschauende George Sanders, der allerdings erst gegen Ende so richtig in das Geschehen eingreift. Etwas zwiegespalten bin ich allerdings bei Laurence Olivier, mit dessen sehr distanziertem Schauspiel ich ja schon in "Sturmhöhe" nicht so richtig glücklich war. Seine Leistung hier ist zwar deutlich besser, aber gefühlt hätte seine Interpretation der Figur doch noch etwas mehr Komplexität mitbringen können – auch wenn er bei der Auflösung des Mysteriums rund um seine Ex-Ehefrau später einen starken Auftritt hinlegt.

Genau diese Szene, die in einem Bootshaus spielt, ist dann wieder Zeugnis von Hitchcocks unglaublichem Inszenierungstalent. Wo die meisten wohl mit Rückblenden hantiert hätten, findet er eine clevere und viel spannendere Lösung, um den Vorhang hinter dem Tod der ehemaligen Hausherrin zu lüften. Da muss man schon eine ordentliche Portion Selbstvertrauen als Regisseur mitbringen, um bei seinem ersten Hollywood-Film hier solch einen kreativen Weg zu gehen. Selbstvertrauen, mit dem Hitchcock bei Produzent David O. Selznick aneckte. Selznick, bekannt dafür, rigoros über seine Werke zu wachen und am Schnittplatz diese zur Not nachzukorrigieren, hatte Hitchcocks erste Drehbuchversion zu "Rebecca" abgelehnt – diese war ihm zu weit vom Originalstoff abgedriftet. Bei den Dreharbeiten wiederum versuchte Hitchcock, Selznick möglichst aus dem Weg zu gehen und dessen weiteren Input geflissentlich zu ignorieren. Selznick wiederum verzweifelte daran, dass Hitchcock stets nur die Aufnahmen drehte, die tatsächlich gebraucht wurden – was Selznick jeglicher Möglichkeit beraubte, im Schnitt noch größere Korrekturen vorzunehmen.
Das Duell der Alphatiere dürfte man in dem Fall wohl mit einem Unentschieden bewerten – als klarer Gewinner geht aber auf jeden Fall das Publikum hervor. Auch wenn sich der Schlussteil gefühlt ein klein wenig zu viel zieht und der schlussendlichen Auflösung aufgrund des etwas vom Hays Code verwässerten Finales ein klein wenig der Biss fehlt. Was ganz gut als Fazit zu einem Film passt, der zwar richtig gut ist, aber dem insgesamt doch ein kleines Stückchen fehlt, um mit den ganz großen Werken des "Master of Suspense" mitzuhalten. Für ein Hollywood-Debüt ist "Rebecca", für den Hitchcock auch noch eine Oscar-Nominierung für die beste Regie einheimste, aber schon ein beeindruckendes Ergebnis. Wobei es angesichts des noch kommenden Schaffens des britischen Regisseurs schon an Ironie grenzt, dass "Rebecca" der einzige Oscar-prämierte Film des Meisters bleiben sollte. Immerhin, schon im nächsten Jahr würde er ja mit "Verdacht" gleich die nächste "Best Picture"-Nominierung einheimsen. Das nennt man mal eine Ankunft in der Traumfabrik. Willkommen in Hollywood, Hitch.
"Rebecca" ist aktuell als Bluray und DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films
Kurze Dokumentation zu "Rebecca"
Ein kleiner Blick auf die Special Effects des Films
Und, darf natürlich nichr fehlen, Truffaut plaudert mit Hitch über Rebecca
Überblick 13. Academy Awards
Alle nominierten Filme der Kategorie “Outstanding Picture“ der 13. Academy Awards 1941 nochmal auf einen Blick – sortiert nach meiner persönlichen Rangliste des Jahres (fettgedruckt = Gewinner „Bester Film“).
- "Früchte des Zorns" (10/10)
- "Der große Diktator" (10/10)
- "Das Geheimnis von Malampur" (9/10)
- "Rebecca" (9/10)
- "Der Auslandskorrespondent" (9/10)
- "Hölle, wo ist dein Sieg?" (8/10)
- "Fräulein Kitty" (7/10)
- "DIe Nacht vor der Hochzeit" (7/10)
- "Der lange Weg nach Cardiff" (6/10)
- "Unsere kleine Stadt" (6/10)
In unserer nächsten Folge starten wir in die 14. Academy Awards mal wieder ganz klassisch mit einem Biopic – und werfen einen Blick auf die Reaktion Hollywoods auf den Kriegseintritt der USA.
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