MOH (113): 13. Oscars 1941 - "Früchte des Zorns"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge haben wir ja den Klassiker-Status von "Die Nacht vor der Hochzeit" in Zweifel gezogen, bei dem heutigen Film gibt es dafür aber keinen Grund zur Sorge. Mit "Früchte des Zorns" erwartet uns ein meisterhaftes Familiendrama, dessen emotionale Wucht auch dank einer tollen Nebenrolle selbst 85 Jahre später nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat.
Früchte des Zorns

Vor kurzem hatten wir in dieser Reihe ja schon für die Verfilmung von John Steinbecks Roman "Von Mäusen und Menschen" die Höchstwertung gezückt, jetzt liefert eine weitere Umsetzung des Autors wieder Grund zu Applaus. Der fällt diesmal sogar noch euphorischer aus, denn Regisseur John Ford ("Ringo", "Der Verräter") gelingt mit "Früchte des Zorns" einer der wohl atmosphärisch dichtesten und emotionalsten Road-Trips der Filmgeschichte. Und das Kunststück, nicht nur eine bewegende Geschichte zu erzählen, sondern auch noch die damals nicht gerade unumstrittene Gesellschaftskritik des Romans beizubehalten – was uns in Summe eines der großen cineastischen Highlights der 1940er-Jahre bringt.
Der Film greift, wie das Buch, die gesellschaftlichen Auswirkungen der Großen Depression in den 1930er-Jahren auf. Nach einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Totschlags kehrt Tom Joad (Henry Fonda, "Jezebel – Die boshafte Lady", "Spiel mir das Lied vom Tod") zu seiner Familie nach Oklahoma zurück – nur um das dortige elterliche Farmhaus verlassen vorzufinden. Gemeinsam mit dem ehemaligen Prediger Jim Casy (John Carradine, Vater von David Carradine) spürt Tom diese bei seinem Onkel John (Frank Darien) auf und erfährt, dass Dürre und wirtschaftliche Not allen nur noch einen letzten Ausweg lassen: die Suche nach Arbeit und einem neuen Leben im Sehnsuchtsbundesstaat Kalifornien. Zusammen mit seiner resoluten Mutter (Jane Darwell, "The White Parade", "Vom Winde verweht"), dem bereits etwas entmutigten Vater (Russell Simpson) und zahlreichen weiteren Familienmitgliedern geht es für Tom mit einem alten Lastwagen also ab in Richtung Pazifik. Doch der Familienzusammenhalt wird auf der harten Reise schon bald auf die Probe gestellt – auch weil das vermeintliche Paradies einige unerfreuliche Überraschungen bereithält.

John Steinbeck landete 1936 mit seinem Buch "Früchte des Zorns" einen echten Bestseller. Und da Hollywood 1939 bereits mit der Verfilmung von "Von Mäusen und Menschen" gute Erfahrungen gemacht hatte, lag es nahe, dass die Traumfabrik nun direkt nachlegte. Doch die Sache war diesmal etwas heikler, denn Steinbecks Roman "Früchte des Zorns" ist eine deutliche Kritik am System des Kapitalismus, mit klar sozialistischen Tendenzen – etwas, das in den USA ja nie wirklich wohlgelitten war. Umso mehr wollen wir also erst einmal Produzent Darryl F. Zanuck loben, der sich trotzdem an das Projekt wagte und dabei auch relativ wenig Kompromisse einging. Die Konsequenz war aber, dass man bei der Produktion mit Vorsicht agieren musste und bei Außendrehs teils unter einem anderen Projektnamen drehte, um möglichem Ärger vor Ort aus dem Weg zu gehen.
So ganz ignorieren konnte man die Vorgaben des Hays Codes der damaligen Zensurbehörde aber auch nicht, und so wich zumindest das sehr symbolträchtige und schonungslose Ende des Buches im Film einer etwas optimistischeren Note. Doch im Kern bleibt das Werk ein deutliches Stück Gesellschafts- und Kapitalismuskritik, das eindrucksvoll den Überlebenswillen und den Zusammenhalt der Familie Joad inmitten von Armut und sozialer Ungerechtigkeit beleuchtet. Und das zeigt, wie es damals wirklich um den American Dream bestellt war – und wie dieser Traum auch gnadenlos zur Ausbeutung durch andere führen konnte.

Das ist hier also definitiv kein Gute-Laune-Film. Zu den körperlichen Strapazen der Reise kommt die Fremdenfeindlichkeit einer teils verrohten Gesellschaft hinzu, was die Trostlosigkeit der Situation nur noch weiter verstärkt. Nichts bringt diese Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung unserer Protagonisten so "schön" auf den Punkt wie eine Szene zu Beginn des Filmes. Als die Bagger auf einer Farm ankommen, um im Namen von Großkonzernen diese platt zu machen, wendet sich ein verzweifelter Farmer mit seiner Waffe schon fast flehend an den Baggerfahrer: "Wen muss ich denn hier erschießen?" Doch dieser hat keine wirkliche Antwort für dessen verzweifelte Suche nach einem Schuldigen, denn alle folgen nur Befehlen von oben. Unsere Figuren sind gefangen im System – und sie, das macht all das erst so richtig herzergreifend aussichtslos, wissen nicht mal, wer überhaupt ihr Gegner ist.
Diese Trostlosigkeit wird vom Film vor allem atmosphärisch brillant eingefangen. Womit wir mal wieder bei Kameramann Gregg Toland angelangt wären, der im nächsten Oscar-Jahr die Bilder zu "Citizen Kane" beisteuern sollte. Mit seinem geschickten Einsatz von Licht und Schatten und der Entscheidung, viele Szenen in der Dämmerung oder Nacht zu drehen, schafft man hier eine Stimmung, die stark an den Film Noir erinnert – und die Hoffnungslosigkeit und Verbitterung der ganzen Situation perfekt einfängt. Verstärkt wird das noch durch John Fords Inszenierung, für die dieser zu Recht den Oscar als bester Regisseur erhielt. Ford nimmt immer wieder geschickt Tempo raus, lässt Bilder stehen und ruht oft einfach auf den erschöpften Gesichtern seiner Figuren – was deren Verzweiflung noch greifbarer macht. Interessant dabei: Viele Nebenfiguren sagen kaum etwas, doch alleine ihre Gesichter sprechen meist Bände. Das macht "Früchte des Zorns" zu einem Film, bei dem man gefühlt die Tonspur einfach ausblenden könnte und trotzdem emotional ergriffen wäre.

Aber bevor wir hier jetzt ein zu düsteres Bild zeichnen: Auch auf diesem Roadtrip gibt es natürlich kleine Lichtblicke für unsere Familie. Einer der schönsten findet an einer Tankstelle statt, wo man unerwartet ein wenig Liebe erfährt – wenn auch in sehr rauer Verpackung. Aber gerade das ist eine der Stärken des Filmes, der die Stimmung der Depression toll einfängt und darin kleine schöne Momente findet, ohne dabei in Gefahr zu geraten, in Kitsch abzurutschen. Die wenigen Glücksmomente wirken hier einfach ehrlich. Umso berührender ist es dann auch, wenn wir in die Gesichter unserer Figuren blicken und sehen, dass diese es kaum glauben können, wenn ihnen tatsächlich mal etwas Gutes widerfährt.
Die wichtige emotionale Grundlage des Films bildet dabei der enge Familienzusammenhalt, der auf dieser Reise auf eine harte Probe gestellt wird. Wie hier verzweifelt versucht wird, die Familie trotz aller Rückschläge irgendwie zusammenzuhalten, ist einfach herzergreifend umgesetzt. Dabei liegt der Fokus klar auf zwei Figuren. Da wäre einmal Henry Fonda als Tom, der zwar manch emotionale Ausbrüche hat, meist aber als nachdenklicher Fels in der Brandung mit korrektem moralischem Kompass auftritt – die absolute Paraderolle von Henry Fonda. Fonda spielt so überzeugend, dass wir diese Figur schnell als moralischen Ankerpunkt akzeptieren – und das trotz dessen gewalttätiger Vergangenheit.

Tom ist also das moralische Zentrum des Filmes, nicht aber das emotionale. Das ist eine andere Figur, die der Film, und das merkt man an vielen kleinen Details, eigentlich als die wahre Heldin sieht. Es ist Toms Mutter, deren Entschlossenheit, die Familie bis zur Selbstaufopferung zusammenzuhalten, einen am meisten berührt. Wie erfrischend ist es zu sehen, dass ein Hollywood-Film so liebevoll mit einer Figur umgeht, die viele andere unter dem Einfluss der Schönheits- und Jugendideale der Traumfabrik nur als Randnotiz gesehen hätten. "Früchte des Zorns" hält so viele kleine Liebeserklärungen an und einfühlsame Momente mit dieser Figur parat, dass es eine wahre Freude ist. Einer der schönsten Momente erfolgt zu Beginn, wo die Kamera in Ruhe ihr über die Schulter schaut, während diese eine alte Kiste mit Erinnerungsstücken durchgeht und aussortieren muss. Das ist wahres großes Kino.
Die Liebe zu seinen Figuren und der Fokus auf die kleinen menschlichen Dramen macht "Früchte des Zorns" bei aller spannenden Gesellschaftskritik erst zu dem Meisterwerk, das es ist. Und mit Toms Mutter hat der Film die perfekte Identifikationsfigur in Sachen Empathie gefunden. Jane Darwell, die sonst oft nur klassische Haushälterinnen spielen durfte, bekam dafür völlig verdient den Oscar als beste Nebendarstellerin. Eine Schauspielerin, der am Ende zumindest eine kleine, aber feine Karriere vergönnt war. Ihren letzten Auftritt hatte Darwell, bereits stark von einer Krankheit gezeichnet, als Vogelfrau im Klassiker "Mary Poppins" – zu dem sie angeblich von Walt Disney höchstpersönlich überredet wurde. Eine so schön klingende Geschichte und tolle finale Geste, das ich sie der Romantik halber jetzt einfach mal für wahr halte.
Wenn es überhaupt eine kleine Kritik an diesem Film gibt, dann höchstens, dass die Musik an wenigen Stellen etwas zu fröhlich für das Thema gerät, gerade zu Beginn der Reise. Aber diese Divergenz ist mir bei ein paar Filmen dieser Zeit bereits schon aufgefallen – vielleicht wollte man dem Publikum angesichts der düsteren Weltlage zumindest musikalisch ein bisschen Leichtigkeit mitgeben. Was vielleicht auch das optimistischere Filmende erklärt, das sich aber nicht wie ein Verrat am Buch anfühlt. Und verdientermaßen gehören die letzten nachdenklichen Worte des Filmes dann natürlich auch Toms Mutter. Letzte Worte eines Films, der im Vergleich zu "Casablanca" oder "Citizen Kane" heute vielleicht nicht denselben Ruhm genießt, meiner Meinung nach sich aber nicht vor diesen zu verstecken braucht. Auf den Punkt gebracht: "Früchte des Zorns" ist ein Meisterwerk. Und, das sei schon vorweggenommen, mein Lieblingsfilm der 13. Academy Awards 1941.
"Früchte des Zorns" ist aktuell als Bluray und DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer zum Film
Die Szene an der Tanksteille
Dokumentation zum Autor John Steinbeck - mit Hintergrundwissen zum Buch "Früchte des Zorns"
Ausblick
In unserer nächsten Folge beenden wir unseren Blick auf die 13. Academy Awards mit dem zweiten Film des "Master of Suspense" – dem Oscar-Gewinner "Rebecca".
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