Spiel mir das Lied vom Tod

Originaltitel
C'era una volta il west
Land
Jahr
1968
Laufzeit
165 min
Genre
Regie
Bewertung
von Simon Staake / 20. Juni 2010
Auch wenn er bisweilen zwischen zwei Filmen ein Jahrzehnt brauchte - effizienter als Sergio Leone war trotzdem keiner. Denn wer bei einem Gesamtwerk von nur sieben Filmen drei undiskutierbare Meisterwerke nebst einem weiteren Genre-Meilenstein abliefert, der gehört ins Pantheon der größten Regisseure aller Zeiten. Gerade im letzten Jahrzehnt wurde man wieder an Leones ungebrochenen Einfluss erinnert, denn Filmemacher wie Quentin Tarantino oder Robert Rodriguez beziehen sich explizit auf den einzigartigen Stil Leones.
Dessen thematisches Augenmerk auf die negativen Aspekte seiner Protagonisten war nicht nur wichtiger Impuls für die Entwicklung des modernen Antihelden, sondern auch für den Western - dem Genre, in dem Leone seine größten Erfolge feierte. Denn wer "Für eine Handvoll Dollar" (1964) sah, wollte kaum glauben, was ihm da als "Held" der Geschichte präsentiert wurde: Ein unrasierter, schäbiger Typ auf einem Maultier, der gnadenlos auf seinen eigenen Vorteil aus ist - dies sollte also die Identifikationsfigur sein. Leones Film, Begründer des sogenannten "Spaghetti-Western", machte schon durch die Wahl seines Helden klar, wodurch sich sein Außenseiterblick auf den amerikanischen Mythos des Wilden Westens von dem Hollywoods unterschied: Entromantisierung des sentimentalsten aller Filmgenres, Verwischen der klaren Trennungslinie zwischen Held und Schurke, Kommentar und Abwandlung der zu Genüge bekannten Klischees.

Während Leone in "Für eine Handvoll Dollar" und dem ein Jahr später erschienenen "Für ein paar Dollar mehr" (der, anders als sein Titel vermuten lässt, inhaltlich mit dem Erstlingsfilm nichts zu tun hat) seinen Stil verfeinerte und seine Vision vergrößerte (was sich an den stetig steigenden Laufzeiten ablesen lässt), legte er dann mit dem Abschluss der sogenannten "Dollar"-Trilogie sein erstes Meisterwerk vor: "Il Buono, Il Brutto, Il Cattivo" (deutscher Verleihtitel: "Zwei glorreiche Halunken", das englische "The Good, The Bad and The Ugly" wird dem Originaltitel und dem Film aber gerechter, denn eigentlich geht es hier ja auch um drei Halunken, oder zumindest zwei Halunken und einen Überhalunken) machte all das, was Leone schon in den Vorgängerfilmen gemacht hatte - nur besser. Zumindest in der Meinung dieses Autors ist er Leones bester Film.

"Zwei glorreiche Halunken" ist der epischste Film Leones (und seit der Neuveröffentlichung auf DVD endlich auch in der ungekürzten Fassung erhältlich), der die eigentlich recht simple Geschichte von drei Banditen auf der Suche nach einem Goldschatz vor dem Hintergrund des amerikanischen Bürgerkriegs in Szene setzt. Die drei Banditen entsprechen in typisch unromantischer Leone-Manier nur grob den Titelzuschreibungen. "Der Gute" Blondie (Clint Eastwood) ist nur nominell ‚gut', denn er achtet eigentlich auch nur auf seinen Vorteil, zeigt aber immerhin in einigen prägnanten Szenen Menschlichkeit. Heimlicher Sympathieträger ist "der Hässliche" Tuco (Eli Wallach), vielleicht weil neben seinem Humor seine Menschlichkeit (die in vielen negativen Aspekten hässlich ist, jedenfalls passt dies besser zum Titel als seine rein physische Erscheinung) durchscheint. Nur "der Böse" Angel Eyes (Lee Van Cleef in seiner besten Rolle) ist wirklich abgrundtief böse, ein durch und durch grausamer und verachtenswerter Charakter, ähnlich dem anderen berühmten Paar blauer Engelsaugen in einem Leone-Film - der brillant gegen sein aufrechtes Image besetzte Henry Fonda als Killer Frank in "Spiel mir das Lied vom Tod".
Der Bürgerkriegshintergrund der Geschichte sorgt nicht nur für einige der wahnwitzigsten set pieces in des Maestros Karriere, sondern lässt den Film in seinem Schlussdrittel, in dem eine von Nord- und Südstaatentruppen umkämpfte Brücke eine wichtige Rolle spielt, kurzfristig zum Kriegsfilm werden. Dies kommt allerdings nicht überraschend: In einer Sequenz, in der Blondie und Tuco in einem Konzentrationslager (!) der Yankees gefoltert werden, lässt Leone bereits politische Subtexte aufblitzen.

Letztlich sind es aber andere Sachen, die in Erinnerung bleiben: Ennio Morricones Musik etwa, die -wenn überhaupt - nur von der für "Spiel mir das Lied vom Tod" übertroffen wird. Das einen Kojotenschrei imitierende Titelthema ("A-a-a-a-aaaaa-wah-wah-wah") kennen sogar Leute, die noch nie einen Western - geschweige denn diesen - gesehen haben. Und natürlich Leones unglaubliche Bildkompositionen: Niemand nutzte den Filmausschnitt besser als Leone, niemand hat weitere oder räumlich tiefere Kompositionen als er. Die Dynamik zwischen Weitwinkelaufnahmen und Nahaufnahmen - bereits in den ersten Sekunden sehr effektiv eingesetzt - haben viele zu imitieren versucht. Aber nur Leone schafft es, daraus mitreißendes Kino zu machen, in dem selbst gut abgehangene Westernsituationen vollkommen neue Spannungshöhen erreichen.
Besonderes Stilmittel Leones ist dabei immer die Verzögerung. Ein Duell mag in wenigen Sekunden vorbei sein, aber der Aufbau dauert gefühlte Stunden. Frei nach dem Motto "Der Weg ist das Ziel" zelebriert Leone vor allem die angespannte Atmosphäre vor dem Spektakel, und dies unnachahmlich. Zeit ist sowieso wichtigster Faktor für Leone, denn er nimmt sie sich in allen seinen Filmen, deren Laufzeiten dann auch selten zweieinhalb Stunden unterschreiten. Einzelne Sequenzen laufen bei ihm ohne größere Not länger als in jedem anderen Film, der vergleichbare Sequenzen hat - einfach weil Leone den Rhythmus mag. Zusammen mit den genau abgestimmten Kompositionen seines Stammkomponisten Morricone entsteht sehr stilisiertes Kino, auf das man sich einlassen muss, dafür allerdings mit Filmkunst in Reinkultur belohnt wird. Wenn Western umgangssprachlich als Pferdeopern gelten, ist Leone der Mann, der die Oper dort hineingebracht hat.

Eine von Leones besonderen Fähigkeiten, die in den beiden hier besprochenen Filmen besonders offensichtlich wird, war sicherlich auch, dass er seine Schauspieler so geschickt einsetzte wie kaum ein zweiter Regisseur. Durch die Aufteilung der Heldenrollen in einen Schweiger und einen Schwätzer wurden auch mimisch eher minimalistische Darsteller wie Clint Eastwood, Charles Bronson oder James Coburn (der wiederum seine "Schweiger"-Rolle aus "Die glorreichen Sieben", dem letzten großen Hollywood-Western, variiert) durch das Zusammenspiel mit ihren gesprächigen Partnern perfekt eingesetzt. Zeitgleich waren sie natürlich die coolsten Typen der Welt, worauf Eastwood quasi seine Kariere aufbaute. Und wenn man ihn so sieht - unrasiert, Zigarillo im Mundwinkel, zusammengekniffene Augen - weiß man auch warum. Einzig die Chemie zwischen Leones Darstellerpaaren variierte von Film zu Film, wobei Eastwood und sein kongenialer Partner Eli Wallach als "Zwei glorreiche Halunken" sicherlich die beste Paarung überhaupt waren, deren trockene Wort- und Körpergefechte allein schon Eintritt in die Ruhmeshalle der ewig coolen Leinwandcharaktere gewähren. Da können auch Charles Bronson und Jason Robards aus dem Nachfolgerfilm nicht gegen an.

PlakatDieser Nachfolgefilm sollte sowieso ursprünglich etwas ganz andres sein. Eigentlich war Leone nach "Zwei glorreiche Halunken" mit dem Western fertig, weil er das Gefühl hatte, mit diesem Film alles gesagt zu haben was es in dem Genre zu sagen gibt. Und in gewissem Sinne hat er das auch. So sollte Leones nächstes Projekt eigentlich das Gangsterepos "Es war einmal in Amerika" werden. Dieser Film wurde jedoch Leones weißer Wal - der Traum eines Besessenen, dem er über ein Vierteljahrhundert hinterher jagte, nur um ihn dann nachträglich zerstört zu sehen (aber das ist eine andere Geschichte, die in einer anderen Gold-Rezension erzählt wird). Anno 1967 wollte niemand von Leone einen Gangsterfilm haben, und die Geldgeber baten ihn, doch noch weitere Western zu drehen. Leone akzeptierte -und konzipierte "Spiel mir das Lied vom Tod" als seinen letzten Western (was er natürlich nicht wurde). Er wollte dem amerikanischen Western in der Gesamtheit seiner Mythen Tribut zollen, und gleichzeitig nicht nur seinen, sondern den letzten Western drehen. Was ihm in gewisser Weise auch gelang, denn danach kam eigentlich kein einziger großer klassischer Western mehr, der Genre-Revisionismus setzte ein und sorgte mit seinem neuen Blickwinkel für einige der größten Filme der Gattung ("The Wild Bunch", "McCabe & Mrs. Miller", "Little Big Man", "Heaven's Gate", "Erbarmungslos"). Aber "Spiel mir das Lied vom Tod" war, in seiner eleganten Elegie, in der Tat das Ende einer Ära.

Schon der Originaltitel "C'era una volta il West" ("Es war einmal der Westen") verkündete in seiner Verwendung der Märcheneinleitung die Auseinandersetzung mit einem Mythos, dessen ultimative Abhandlung. Leone und seine Co-Drehbuchschreiber (darunter die zukünftige Horrorfilmlegende Dario Argento und Bernardo Bertolucci) gingen sogar so weit, ganze Dialogblöcke aus klassischen amerikanischen Western zu übernehmen. Doch egal, woher sie auch kommen mögen: Für Dialoge wie der zwischen dem ominösen Rächer mit der Mundharmonika und den Auftragskillern, die ihn am Anfang des Films umlegen sollen ( "Sieht aus, als hätten wir ein Pferd zu wenig gebracht." "Nein, Ihr habt zwei Pferde zuviel dabei.") würden manche Drehbuchschreiber töten.
Jedenfalls ist "Spiel mir das Lied vom Tod" durch seine stilistischen Rückgriffe in Dialogen und Geschichte wesentlich näher am klassischen Western als "Zwei glorreiche Halunken", was ihm ein wenig die Eigenwilligkeit des Vorgängers, jedoch kein Stück Klasse raubt. Stilistisch ist er allemal auf Augenhöhe mit "Zwei glorreiche Halunken", man denke da nur an die zurecht legendäre, endlos lange und nur von Geräuschen begleitete Anfangssequenz, die für sich allein als Zusammenfassung von Leones eigenwilligem Stil schon reichen würde. Dazu die ganzen anderen unvergesslichen Momente: Die tiefblauen Augen Henry Fondas und sein Lächeln, während er ein Kind erschießt. Ennio Morricones fantastischer Leitmotiv-Soundtrack und dessen Herzstück, die klagende Mundharmonika, die das Lied vom Tod spielt. Die langen Mäntel der Killer in der Eröffnungsszene, die lange vor der Matrix zum Modephänomen wurden. Das niemals besser eingesetzte kantige Gesicht von Charles Bronson als mysteriöser, übernatürlich wirkender Rächer. Die Schönheit von Claudia Cardinale, die niemals zuvor oder danach so betörend war wie hier. Es gibt so viele wohlbekannte und ikonische Momente in diesem Film, das man der Aufzählung müde wird.

Leones Filme der "Es war einmal"-Trilogie, die sich explizit mit der Geschichte Amerikas und vor allem mit der Verbindung zwischen Fortschritt und den gewalttätigen Mitteln, mit denen dieser erreicht wurde, auseinandersetzen, kreisen dabei stets um die selben Pole: Zeit und vor allem Zeitlosigkeit, sei es durch Unsterblichkeit (in Erinnerung oder in Mythen) oder im Wissen um die eigene Sterblichkeit. Dies ist sicherlich ein Grund für die eigentümliche Atmosphäre von "Spiel mir das Lied vom Tod", der Hymne und Abgesang zugleich ist. Das Lied vom Tod wird hier nicht nur für die Charaktere, sondern vor allem fürs Genre gespielt. Wenn am Ende der sympathische, menschliche Cheyenne stirbt und der unnahbare, mythische (unsterbliche?) Mundharmonika-Spieler davon reitet, ist der klassische Western so tot wie Cheyenne, und existiert nur noch als Geist aus der Vergangenheit wie der Mann mit der Mundharmonika. Daran konnte auch der eher schwächere Mittelteil der "Es war einmal..."-Trilogie und Leones definitiv letzter Western "Todesmelodie" nichts ändern. Würde man einem Unwissenden nur zwei Western zeigen können, um ihm das gesamte Genre nahe zu bringen - man bräuchte nur zu "Zwei glorreiche Halunken" und "Spiel mir das Lied vom Tod" greifen, und derjenige würde alles wissen, was er wissen muss.


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