MOH (112): 13. Oscars 1941 - "Die Nacht vor der Hochzeit"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hatte Altmeister Alfred Hitchcock für Spannung gesorgt, nun möchte uns Regisseur George Cukor mit "Die Nacht vor der Hochzeit" zum Lachen bringen. Angesichts einer beeindruckenden Cast (Katharine Hepburn, Cary Grant, James Stewart) doch bestimmt kein Problem, oder?
Die Nacht vor der Hochzeit

Jetzt ist es also passiert. Wohl jeder hat schon einmal einen vielumjubelten Filmklassiker gesehen, der bei einem selbst einfach nicht so richtig zünden wollte. Und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis mir das auch im Rahmen dieser Oscar-Reihe passieren würde. Zugegeben, auch bei "Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen" fiel meine Begeisterung etwas verhaltener als die der restlichen Kritikerzunft aus. Mit dem Screwball-Komödien-Klassiker "Die Nacht vor der Hochzeit" kommt aber nun der erste wirklich größere Bruch. Was mich selbst am meisten überrascht, denn allein ein Blick auf die Besetzungsliste sorgt doch schon für Freudentränen bei jedem Cineasten. Katharine Hepburn, Cary Grant, James Stewart – ach, die gute alte Traumfabrik. Und tatsächlich ist es am Ende dieses Schauspieltrio, das dem Film hier noch eine ordentliche Wertung beschert. Die drei sind schlicht viel zu gut, um einem nicht doch immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Aber gegen das inkonsistente Drehbuch kommen selbst sie nur bedingt an. Das wartet zwar mit einigen cleveren Dialogen auf, überkonstruiert die Handlung und die zwischenmenschlichen Konflikte aber auch derart, dass dem Film immer wieder die Glaubwürdigkeit und vor allem Leichtigkeit abgeht – was gerade für eine Screwball-Comedy ein echtes Problem darstellt.
Gleich mehrere große Probleme hat auf jeden Fall die Hauptfigur des Films. In der gehobenen Gesellschaft Philadelphias bereitet sich die selbstbewusste Tracy Lord (Katharine Hepburn, "Bühneneingang", "Vier Schwestern") gerade auf ihre zweite Hochzeit mit dem reichen George Kittredge (John Howard, "In den Fesseln von Shangri-La") vor, als kurz vor der Zeremonie ausgerechnet ihr Ex-Ehemann C.K. Dexter Haven (Cary Grant, "Die schreckliche Wahrheit", "Sie tat ihm Unrecht") auftaucht. Dieser wird begleitet vom zynischen Reporter Macaulay "Mike" Connor (James Stewart, "Lebenskünstler", "Mr. Smith geht nach Washington") und dessen Kollegin Liz Imbrie (Ruth Hussey), die beide undercover über das gesellschaftliche Spektakel berichten wollen. Etwas undurchsichtiger sind dagegen Dexter Havens Motive. Will er Rache oder doch nur seine alte Liebe wiedergewinnen? Klar ist nur, dass das Aufbrechen alter Gefühle Tracys Hochzeitsvorbereitungen schnell deutlich turbulenter als geplant ausfallen lässt.

Es ist immer ein bisschen merkwürdig, wenn man einem allseits gefeierten Klassiker gegenübersitzt und sich fragt, ob man hier vielleicht gerade den falschen Film anschaut. Natürlich besteht immer die Gefahr, mit zu hohen Erwartungen an solch ein Werk heranzugehen. Das allein erklärt meine Enttäuschung hier aber nicht wirklich. Um den Kern meines Problems mit "Die Nacht vor der Hochzeit" zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Films. Der Anstoß dafür kam nämlich von Katharine Hepburn selbst, deren Karriere damals nach mehreren Flops ins Straucheln geraten war. Das Publikum empfand sie zunehmend als hochnäsig und schlecht, worauf sich Hepburn zurückzog – aber nicht ins Private, sondern auf die Theaterbühne. Mit dem Stück "The Philadelphia Story" wollte sie dort ihr Image wieder gerade rücken. Das gelang: Der Broadway feierte und Hollywood horchte auf. Hepburn sicherte sich daraufhin die Filmrechte und forcierte nun die entsprechende Leinwandadaption des Stückes, die ihr tatsächlich das von ihr erhoffte Comeback bescheren und einer der erfolgreichsten Filme des Jahres werden sollte.
Ein Imagewandel, der von Hepburn sorgsam geplant war. Wie dieser aussehen sollte, zeigt gleich die erste Szene des Films (aus "The Philadelphia Story" wurde im Deutschen dabei "Die Nacht vor der Hochzeit"), in der Cary Grant Hepburn einen ordentlichen Schubser ins Gesicht verpasst, der diese auf den Boden befördert. Heute würde man das – zurecht – als häusliche Gewalt bezeichnen. Damals war das, laut Hepburn selbst, ein bewusst platzierter Crowd-Pleaser. "A lot of people want to see me fall flat on my face", sagte sie – und gab ihnen gleich in der ersten Szene nun genau das. Damit setzt der Film dann auch den Grundton für seinen großen Storybogen, der unserer Hauptfigur ordentlich einen einschenken möchte, damit diese am Ende von ihrer Arroganz befreit ein besserer Mensch werden kann. Und Hepburn damit in den Augen des Publikums sozusagen wie Phoenix aus der Asche steigen lässt.

Genau hier liegt mein größtes Problem mit "Die Nacht vor der Hochzeit". Der angebliche Wandel vom Saulus zum Paulus ist erzählerisch hier nämlich gleich in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Vor allem, weil Tracy sich nie so verhält oder so ist, wie es das Drehbuch stets behauptet. Was wir sehen, ist meist eine selbstbewusste, kluge und ironische Frau, die durchaus auch Verletzlichkeit zeigt. Nur, dass alle anderen Figuren im Film scheinbar ein komplett anderes Bild dieser Frau besitzen und zeichnen wollen. Diese Diskrepanz zwischen dem gezeigten Verhalten und der erzählten Zuschreibung zieht sich durch den ganzen Film. Ein Paradebeispiel dafür ist eine Diskussion zwischen Tracy und ihrem eigenen Vater, der sie als eine Art kühle Eisprinzessin bezeichnet und das sogar als eine Ausrede für sein eigenes Fremdgehen heranzieht. An sich schon ein, gelinde gesagt, problematischer Punkt. Viel schlimmer ist aber, dass wir in diesem Gespräch eine empathische, reflektierte Tracy sehen, bei der diese Vorwürfe schlicht nicht passen wollen. So wirkt die Predigt des Vaters komplett aufgesetzt und einfach unglaubwürdig.
Der dabei unterschwellig immer kommunizierte Sexismus darf aber auch nicht unerwähnt bleiben. Während Hepburns selbstbewusste Figur hier vom Film mit Freude demontiert wird, quittiert der Film Dexters Alkoholprobleme nur mit einem lockeren Achselzucken. Von Onkel Willies Grapsch-Attacken auf Liz mal gar nicht zu sprechen. Die Freude, einerseits eine starke Frauenfigur zu demontieren, andererseits männlichen Figuren jegliche "Fehler" zu verzeihen, ist schon sehr auffällig und ehrlich gesagt problematisch – selbst unter Berücksichtigung der Entstehungszeit.

Nun kann man das natürlich locker mit dem Hinweis abtun, dass Hepburn ja hinter dem Skript stand. Aber abgesehen davon, dass sie damit ja dem Wunsch des Publikums (Gesellschaft) nach einer weniger dominanten Frauenfigur Rechnung trägt, hat das Drehbuch auch noch ein paar weitere Schwächen. Die Handlung wirkt gerade in der ersten halben Stunde etwas ungelenk und konstruiert. Auch später fühlt sich noch manche Wendung und Figurenentwicklung hier und da nicht unbedingt authentisch an. Warum sich Micky erst als leidenschaftlicher High-Society-Hasser outet, dann aber von einem Moment zum anderen zum devoten Tracy-Lover mutiert, ist kaum nachvollziehbar. Ebenso wie Tracys Ausflug in die örtliche Bibliothek, um das Buch eines Mannes zu lesen, den sie gerade erst kennengelernt hat – und das mitten in den turbulenten Hochzeitsvorbereitungen. Immer wieder wirkt das Drehbuch hier etwas schludrig und sorgt für einen eher stockenden Übergang zwischen Szenen – was gerade für eine leichtfüßige Screwball-Komödie, die von Tempo und Flow lebt, eher schlechte Nachrichten sind. Wirklich auffangen kann das auch Regisseur George Cukor ("Romeo und Julia", "David Copperfield") mit seiner Inszenierung nicht, die sich eher vornehm zurückhält.
An dieser Stelle dürften sich vermutlich viele Leserinnen und Leser jetzt fragen, warum nach all meinem Frust da oben trotzdem sieben Augen prangern. Womit wir zum großen "Aber" dieser Kritik kommen. So frustrierend die Figurenzeichnung und manch weitere Drehbuchentscheidung auch ausfällt, am Ende stehen hier immer noch Hepburn, Grant und Stewart auf der Bühne. Und diese drei sind einfach zu gut, um einen nicht doch stets am Ball zu halten. Alleine schon der wundervolle Austausch zwischen einem betrunkenen Mike und einem süffisant aufgelegten Dexter wird von Grant und Stewart in Perfektion gespielt. Hepburn wiederum reißt mit ihrem geschickten Einsatz von Gesten und Blicken viele Szenen an sich und verleiht ihrem Charakter so wundervolle Grautöne – auch wenn das Drehbuch diese nicht immer wahrhaben will. Mit ihrer Chemie, dem Timing, den Nuancen und insgesamt einfach einer unglaublichen Leinwandpräsenz tragen die drei den Film so durch die etwas stürmische Drehbuchsee.

Dabei muss auch gesagt werden, dass das Drehbuch, bei allen strukturellen Schwächen, zumindest mit cleveren Dialogen nicht gerade geizt. Viele der Wortduelle sind eine Freude für die Ohren – vor allem dann, wenn sich die jeweiligen Pärchen gegenseitig necken. Nur der Unterbau, der ist eben leider viel zu wacklig, um "Die Nacht vor der Hochzeit" in größere Genre-Sphären zu heben. Womit einfach unglaublich viel Potenzial hier vergeudet wird und am Schluss eben nur ein teils unterhaltsamer, aber eben nicht richtig überzeugender oder gar mitreißender Film herauskommt. Zumindest aus meiner Sicht, denn mir ist schon klar, dass ich mit dieser Meinung auf ziemlich verlorenem Posten stehe. Passiert aber und wird vermutlich auch nicht das letzte Mal in dieser Reihe sein. Aber das Schöne am Kino ist ja, dass sich jeder hier sein eigenes Bild machen kann. Meines reicht aber auf jeden Fall nicht dafür aus, um "Die Nacht vor der Hochzeit" einen Platz am Klassiker-Firmament dieser Oscar-Reihe zu reservieren.
"Die Nacht vor der Hochzeit" ist aktuell als Bluray, sowie als DVD und digital auf Amazon Prime in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films.
Szene: Dexter (Grant) konfrontiert Tracy (Hepburn) – und Mike (Stewart) "darf" dabei sein.
Auf einen Drink mit Jimmy Stewart und Cary Grant
Ausblick
In unserer nächsten Folge bietet sich gleich die nächste Chance, um zu überprüfen, ob ein weiterer Klassiker der 1940er Jahre seinem Anspruch gerecht wird.
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