Der Auslandskorrespondent

MOH (111): 13. Oscars 1941 - "Der Auslandskorrespondent"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 10. Juni 2025

In der letzten Folge legte sich Charlie Chaplin noch mit einem der schlimmsten Verbrecher der Menschheitsgeschichte an, heute lässt Alfred Hitchcock seinen Protagonisten ein weitverzweigtes Verschwörungsnetz aufdecken. Und verwöhnt uns, schon in einer seiner ersten Hollywood-Produktionen, mit vielem von dem, was Hitch zum „Master of Suspense“ machen würde.

Der Auslandskorrespondent

Originaltitel
Foreign Correspondent
Land
Jahr
1940
Laufzeit
120 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
9
9/10

Das nennt man mal einen gelungenen Start: Gleich mit seinen ersten beiden in Hollywood produzierten Filmen konnte der britische Regisseur Alfred Hitchcock ("Psycho") 1940 zwei Oscar-Nominierungen für den besten Film abräumen. Der bekanntere der beiden, "Rebecca", ging schließlich sogar als Gewinner hervor. Bevor wir "Rebecca" in dieser Reihe entsprechend würdigen, werfen wir heute aber erst mal einen Blick auf den Hitchcock-Film, der direkt im Anschluss daran entstand – und heute leider viel zu selten Erwähnung findet. Denn trotz eines gewissen B-Movie-Charmes und ein paar Anlaufschwierigkeiten ist "Der Auslandskorrespondent" über weite Strecken ein verdammt unterhaltsamer Hitchcock-Film geworden – auch weil der „Master of Suspense“ spürbar jede Menge Spaß daran hat, die Spannungskurve hier ordentlich hochzuhalten.

Spannend ist auch die Entscheidung, die der Chefredakteur des New York Morning Globe Mr. Powers (Harry Davenport, "Hölle, wo ist dein Sieg?") zu Beginn des Films trifft. Frustriert darüber, keine echten News zu dem sich in Europa andeutenden Krieg zu erhalten, setzt Powers fortan lieber auf den Spürsinn des hemdsärmligen Kriminalreporters John Jones (Joel McCrea, "Sackgasse") als auf die Weisheit eines ausgebildeten Auslandskorrespondenten. Unter dem Pseudonym Huntley Haverstock wird Jones nach London geschickt, um dort dem niederländischen Diplomaten Van Meer (Albert Bassermann) den neuesten Kriegs-Gossip entlocken zu können. Das stellt sich schwieriger für Jones heraus als gedacht, genauso wie erste Flirtversuche mit Carol Fisher (Laraine Day), der Tochter eines umtriebigen Friedensaktivisten (Herbert Marshall, "Das Geheimnis von Malampur"). Doch als ein Mord die Szenerie erschüttert, überschlagen sich die Ereignisse. Auf einmal befindet sich John inmitten einer ausgemachten Verschwörung, kann dabei aber zumindest auf die Unterstützung des britischen Journalisten Scott ffolliott (George Sanders, "Alles über Eva") setzen. Wobei sich schon bald die Frage stellt, wem man denn hier überhaupt trauen kann.
 


Mit dem Thriller "Eine Dame verschwindet" ("The Lady Vanishes") sorgte Alfred Hitchcock 1938 erstmals auch jenseits der britischen Inseln für großes Aufsehen. Damit rückte endlich Hitchcocks Traum nach Hollywood überzusiedeln in greifbare Nähe und schon wenig später unterzeichnete er tatsächlich einen Vertrag mit der Produktionsfirma von David O. Selznick ("Vom Winde verweht"). Doch die Entscheidung für das warme Kalifornien sorgte für eine kühle Brise aus der Heimat – angesichts des drohenden Krieges mit Deutschland sahen manche Landsleute Hitchcocks Umzug als eine Art Landesverrat und Flucht vor patriotischen Pflichten. Doch mit "Der Auslandskorrespondent" betreibt Hitch gewissermaßen ein klein wenig Wiedergutmachung, entpuppt sich der Film doch gerade gegen Ende schon fast als ein kleines Stück Kriegspropaganda, bei dem das amerikanische Volk zu den Waffen gegen die europäische Bedrohung gerufen wird. 

Im Zentrum des Filmes steht allerdings, wie so oft bei Hitchcock, dann doch ein für ihn sehr typisches Thriller-Szenario: Ein genauso naiver wie unschuldiger Allerweltstyp stolpert ohne es zu ahnen mitten in eine riesige Verschwörung. Die literarische Vorlage (ein autobiografischer Roman eines echten Auslandskorrespondenten) diente dabei eher als lose Inspiration; die eigentliche Geschichte stammt vom Drehbuchteam, das Hitchcock selbst für den Film mitgebracht hatte. Dieses wiederum bemühte sich allerdings spürbar, mit dem Drehbuch keinen politischen Flächenbrand auszulösen. Auch wenn die Namen "Hitler" und "Deutschland" hier kurz fallen, wer tatsächlich das unruhestiftende Land in Europa ist wird nie offen ausgesprochen – auch wenn es natürlich nicht gerade schwierig herzuleiten ist. 
 


Leider fällt allerdings das Setup zu Beginn dann doch etwas schwächer aus. Irgendwie kommt es etwas ungelenk daher, fühlt sich erst mal nicht wie ein Hitchcock-Film an und leidet auch darunter, dass gerade McCrea irgendwie nicht so charismatisch daherkommt – und ihm die sympathische Bauernschläue abgeht, die in ähnlichen Rollen später ein Cary Grant mitbringen sollte. Eine überzeugende Chemie mit Laraine Day will sich auch erst langsam einstellen, da hätte man sich ein paar nettere Sticheleien gewünscht. In späteren Interviews hat Hitchcock dann, so nonchalant wie er nun mal ist, immer darauf hingewiesen, ja auch keine guten Schauspieler gehabt zu haben – der von ihm gewünschte Gary Cooper hatte für die Hauptrolle damals ja abgesagt.

All das lässt sich aber schon bald sehr leicht vergessen, denn sobald die eigentliche Thriller-Handlung gestartet wird, hüpft der Film sprichwörtlich in einen storytechnischen und atmosphärischen Jungbrunnen. Jetzt blühen nicht nur die Handlung und seine Hauptfiguren auf, vor allem Hitchcock zieht nun alle Regie-Register und hat spürbar Spaß damit, an der Spannungsschraube zu drehen. Wenn der Mörder unter einem Meer von Regenschirmen zu flüchten versucht und die Kamera dabei in die Vogelperspektive wechselt, dann ist der gute alte Hitch ganz in seinem Element. Wundervoll auch, wie in einer alten Mühle er unsere Hauptfigur immer wieder in Bedrängnis geraten lässt und dieser sich immer gerade noch so der Aufmerksamkeit der Bösewichte entziehen kann. Am offensichtlichsten ist Hitchcocks Freude, den Zuschauer an seinen Sitz zu fesseln, bei den mehrmaligen Versuchen eines Killers, den guten John von einem Turm zu schubsen. Diesem kommt dabei so oft etwas dazwischen, dass einem der Junge echt schon fast leid tuen kann. 
 


Das ist echt eine Freude anzuschauen, auch wenn es hier und da durchaus brutal zugeht – aber auch davor ist ja Hitchcock bekanntlich nie zurückgeschreckt. So ist es eigentlich nur das leichte B-Movie-Flair der beiden Hauptdarsteller, das diesen Film als Frühwerk des „Master of Suspense“ outet. Und das wird eigentlich ganz gut dadurch abgefedert, dass viele Nebenfiguren so gut gelungen sind. Eben jener auf John angesetzte Killer ist ein gutes Beispiel dafür, denn anstatt einen düsteren Schurken zu wählen, kommt dieser eher als gutmütige Kumpeltyp daher (mit einem schön gegen den Typ gecasteten Edmund Gwenn), was dem Ganzen einen noch spannenderen Vibe verleiht. Nur eine von vielen kreativen Ideen und cleveren Variationen, die dem Ganzen immer wieder interessante Aspekte und spannende Wendungen verleihen. Neben dem ebenfalls sehr guten Herbert Marshall gesellt sich später dann auch noch der wundervolle George Sanders dazu, der hier (wie in seiner großartigen Rolle in "Alles über Eva") mit einer ordentlichen Portion sympathischer Arroganz und Schlagfertigkeit zu Johns wichtigstem Mitstreiter wird – und auch hier wieder ein Genuss ist. Wieder so ein Punkt, der den Film nochmal interessant macht, denn Sanders übernimmt später immer mehr die Initiative und man wird das Gefühl nicht los, dass Hitchcock und sein Team hier wohl absichtlich den besseren Schauspieler mehr ins Zentrum der Geschichte als die eigentliche Hauptfigur gestellt haben.

Die Quintessenz ist, dass "Der Auslandskorrespondent" einfach ziemlich unberechenbar bleibt, und das ist für einen Thriller ja nun mal wirklich ein sehr gutes Zeichen. So wechseln sich Thriller-Elemente und manch brutales Ableben mit immer wieder humorvollen und kreativen Momenten ab, was am Ende einfach unglaublich unterhaltsam ausfällt. Weil eben auch der Mann auf dem Regiestuhl spürbar Freude an dem Ganzen hat. Was aber eigentlich verwunderlich ist, schließlich war Hitchcock in seiner Zeit unter David O. Selznick von dessen Kontrollwahn ziemlich frustriert. Das merkt man dem Film aber nicht an, und mit dem großen Finale gelingt Hitchcock dann auch noch ein ziemlich beeindruckendes Set-Piece zum Abschluss. Da verzeiht man dann auch, dass am Ende die Kriegsbotschaft für das amerikanische Volk ein wenig zu pathetisch und angetackert wirkt – wobei das allerdings auch nachvollziehbar ist, da man diese Rede aufgrund des aktuellen Anlasses (dem tatsächlichen Angriff der Deutschen auf England) noch im Nachgang schnell zusätzlich produziert hatte.
 


Aber Schwamm drüber, "Der Auslandskorrespondent" ist trotz kleiner Anlaufschwierigkeiten wirklich eine kleine Perle, die sich auch für Nicht-Hitchcock-Fans zu entdecken lohnt. Der wiederum läuft natürlich auch mal kurz durch das Bild, genauso wie er in dieser Reihe schon bald nochmals unseren Weg kreuzen wird. Die Vorfreude darauf ist bei mir angesichts dieses überzeugenden ersten Auftritts in unserer Oscar-Reihe auf jeden Fall groß.

"Der Auslandskorrespondent" ist aktuell als Bluray auf Amazon in Deutschland verfügbar. 

 


Trailer des Films.
 


Hitchcock spricht über den Film – Schauspieler bitte weghören
 


Ausschnitt aus Hitchcocks berühmten Interview mit Truffaut. Inhalt: "Der Auslandskorrespondent" und natürlich mal wieder untalentierte Schauspieler.
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge geht man etwas liebevoller miteinander um, schließlich erwartet uns eine der bekanntesten romantischen Komödien der 1940er-Jahre. 

Bilder: Copyright

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