MOH (107): 13. Oscars 1941 - "Hölle, wo ist dein Sieg?"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hatten wir Ginger Rogers gefeiert, jetzt darf eine noch größere Lichtgestalt Hollywoods ihre Lorbeeren ernten. Vorhang auf für Bette Davis und "Hölle, wo ist dein Sieg".
Hölle, wo ist dein Sieg?

"Hölle, wo ist dein Sieg?" – das klingt doch eindeutig nach der Kategorie martialischer Kriegsfilm. Zu den Waffen greifen möchte eigentlich aber nur ich, angesichts dieses schrecklichen deutschen Verleihtitels. So kann man sein Publikum wirklich komplett in die Irre führen, denn dieser reißerische Titel lässt kaum vermuten, dass uns hier ein sehr ruhiges und nur langsam an Dramatik gewinnendes Melodrama erwartet. Ein gemächliches Tempo, das sich tatsächlich als das große Plus eines Films entpuppt, der auf angenehme Weise Wert auf überzeugende Charakter- und Konfliktentwicklung legt. Und neben einer ziemlich stimmungsvollen Inszenierung auch noch eine wie immer gut aufgelegte Bette Davis mitbringt.
Genau diese Bette Davis ("Opfer einer großen Liebe", "Jezebel – Die boshafte Lady") gibt in "Hölle, wo ist dein Sieg?" die Gouvernante Henriette Deluzy-Desportes, die im Paris des 19. Jahrhunderts eine Anstellung im Haushalt des Herzogs von Praslin (Charles Boyer, "Ruhelose Liebe") antritt. Schnell entwickelt Henriette eine enge und liebevolle Beziehung zu dessen Kindern und gewinnt so das Vertrauen des Herzogs. Dessen Beziehung mit der krankhaft eifersüchtigen Herzogin von Praslin (Barbara O'Neil, "Vom Winde verweht") ist nicht gerade von Glücksmomenten geprägt, und so beginnt dieser, mehr als nur professionelles Interesse an seiner Angestellten zu entwickeln – was die Launen der Herzogin nicht gerade verbessert. Die angespannte Atmosphäre spitzt sich schon bald zu und Henriette realisiert, dass es einiger Navigationskünste bedarf, um die Situation nicht vollkommen eskalieren zu lassen. Gar nicht so einfach, wenn man ebenfalls Gefühle für den eigenen Chef entwickelt.

Im deutschen Fernsehen lief "All This, and Heaven Too" (so der englische Originaltitel) auch schon mal unter dem Titel "Das Glück in der Glaskugel" – was zwar immer noch unnötig kreativ ist, aber dem Kern des Films eher gerecht wird. Der nutzt nämlich gleich mehrmals eine Schneekugel als Symbol, um zu zeigen, dass Henriette sich in einer Art Glasgefängnis befindet. Sie ist stets unter Beobachtung und der Bedrohung ausgesetzt, dass von außen jederzeit etwas passieren kann, was alles durcheinanderwirbelt. Irgendwie hatte Hollywood zu dieser Zeit eine Vorliebe für diese Metapher entwickelt – schon in "Fräulein Kitty" tauchte die Schneekugel auf, und ein Jahr später rollte sie aus der toten Hand eines gewissen Charles Foster Kane. Was diese berühmte Szene für mich fast schon wieder ein wenig entwertet – da scheint man schlicht auf einen zu der Zeit aktuellen Trend aufgesprungen zu sein.
Doch bevor ich, mal wieder, abdrifte, lieber zurück zum Film. Der englische Titel "All This, and Heaven Too" klingt ja auch eher nach seichter Romanze, doch davon sind wir hier zum Glück meilenweit entfernt. Stattdessen wird das Szenario auf erwachsene Art und Weise mit viel Bedacht aufgebaut. Man lässt Henriette so nicht gleich zu Beginn sehnsuchtsvoll dahinschmelzen, sondern erst mal um professionelle Distanz bemüht sein. Sie erkennt die Gefahr, die von der Herzogin ausgeht, versucht gegenzusteuern und sich aus allem herauszuhalten. Doch alle Versuche, sich mit der Herzogin zu arrangieren, scheitern – während gleichzeitig die eigenen Gefühle für den Herzog wachsen. Eigentlich bis zum Schluss versucht Henriette irgendwie noch dieses fragile Situation vor der Eskalation zu bewahren, aber genau das wird mit jeder Minute zunehmend schwerer. Ist aber wiederum für uns faszinierend anzuschauen, da leise eine sehr nachvollziehbare Charakterentwicklung stattfindet – und man so eine echte Bindung zu dieser Figur und ein Verständnis für deren Dilemma entwickelt.

Der Reiz des Filmes liegt eben gerade in dieser stillen Spannung und der dichten Atmosphäre – bei der man mehr als einmal eine Stecknadel fallen hören könnte. Besonders, wenn Herzog, Herzogin und Henriette gemeinsam im Raum sind, wird vor allem viel über Blicke kommuniziert. Konflikte, Allianzen, innere Spannungen – manches wird offen ausgesprochen, anderes schwingt aber einfach nur clever im Subtext mit. Weil, bis auf die Herzogin, hier halt so keiner richtig aus seiner Haut kann. Überhaupt ist das Drehbuch einfach clever geschrieben, führt Konflikte und Motive ein, die dann später wieder aufgenommen und weiterentwickelt werden. Vielleicht liegt es auch daran, dass hier nicht gleich ein Haufen von Autoren daran mitgewirkt hat, sondern Drehbuchautor Casey Robinson alleine die Romanvorlage von Rachel Field adaptieren durfte.
Natürlich gibt es auch in der ersten Hälfte schon ein paar melodramatischere Momente, insbesondere rund um die Krankheit eines der Kinder. Aber erstens spielen alle Kinder durchweg überzeugend, und zweitens findet der Film stets einen Weg, nicht völlig ins Klischee abzurutschen – durch leise, nachdenkliche Szenen, die immer wieder als cleveres Gegengewicht eingestreut werden. Als emotionaler Anker steht dem Film dabei Bette Davis zur Verfügung, die hier eine für sie eher untypische Rolle spielt. Oft war sie, wenn nicht direkt böse, so doch irgendwo in moralischen Grauzonen unterwegs – hier dagegen ist der moralische Kompass ihrer Figur vollkommen intakt. Und trotzdem wird ihre Figur nie langweilig, weil Davis es versteht, allein mit Blicken, Timing und feiner Dialogführung das innere Ringen ihrer Figur spürbar zu machen. Sie ist fast eine Idealbesetzung, da sie sowohl Zerbrechlichkeit als auch innere Stärke kommunizieren kann, was es glaubwürdig erscheinen lässt, dass ihre Figur in diesem Haifischbecken überhaupt so lange durchhält.

Aber da ich Bette Davis ohnehin in der nächsten Folge unserer Oscar-Reihe ausführlich loben werde, widmen wir uns lieber der zweiten verdienten Lobeshymne: Regisseur Anatole Litvak. Heute ist Litvak kaum jemandem noch bekannt, was angesichts seines Talents echt schade ist. Litvak floh einst vor den Nazis aus Deutschland und war einer der ersten, der in Hollywood offen vor diesen warnte – unter anderem mit dem Film "Confessions of a Nazi Spy", den wir hier kürzlich schon mal erwähnt hatten. In "Hölle, wo ist dein Sieg?" legt er nun eine wirklich tolle Inszenierung hin. Mit jeder Menge perfekt getimter Kamerafahrten und spannungsgeladener Bilder, die oft mit einem Schuss Symbolik daherkommen, wie etwa ein dunkler Korridor, der Herzog und Herzogin voneinander trennt. Dazu hat Litvak einfach ein feines Gespür für Schauspielerführung und weiß genau, wann er das Tempo anziehen und wann er es drosseln muss. Zusammen mit der stimmigen Ausstattung entsteht so eine intensive Atmosphäre – die Belohnung dafür war unter anderem auch die Oscar-Nominierung für die beste Kameraarbeit.
Ein bisschen Wasser müssen wir dann aber doch noch in den Wein gießen – und das betrifft vor allem unser Herzogspaar. Charles Boyer macht seine Sache zwar ordentlich, doch sein (echter) französischer Akzent lenkt gelegentlich ab. Und macht seine Figur unabsichtlich noch etwas glatter als sie sowieso schon ist – da hätte man sich mehr Tiefe, Ecken und Kanten gewünscht. Und Barbara O'Neil, die im Vorjahr noch Scarlett O’Haras Mutter in "Vom Winde verweht" gespielt hatte, neigt in manchen Szenen zur unnötigen Theatralik. Ihre Figur rutscht dadurch im weiteren Verlauf zu sehr in Richtung Karikatur ab – schade, denn auch hier hätte ein wenig mehr psychologische Komplexität gutgetan. Dass man die Geschichte dann auch noch – ein weiterer Trend bei damaligen großen Hollywood-Produktionen – als große Rückblende erzählt, wirkt auch unnötig.

Aber auch wenn hier sicher noch Potenzial zur Verbesserung vorhanden ist, ist "Hölle, wo ist dein Sieg?" am Ende ein erstaunlich kurzweiliges und spannendes Melodrama – eben weil es lieber auf echte Konflikte als künstlich aufgebauschtes Drama setzt. Und da sowohl die Inszenierung als auch Bette Davis’ Leistung noch heute absolut sehenswert sind, sollte man sich vom deutschen Verleihtitel hier bitte nicht abschrecken lassen – diese filmische Zeitreise lohnt sich.
"Hölle, wo ist dein Sieg?" ist aktuell als Import-DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer zum Film
Szene: Herzog und Gouvernante - Liebe kann verrückt machen
Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir schon wieder auf Bette Davis – in einer Rolle, die einen noch mehr mit der Zunge schnalzen lässt.
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