MOH (97): 12. Oscars 1940 - "Opfer einer großen Liebe"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge sind wir dem berühmten James Stewart nach Washington gefolgt, nun treffen wir in "Opfer einer großen Liebe" auf gleich drei legendäre Namen. Doch gegen ein schwächelndes Drehbuch können selbst Bette Davis, Humphrey Bogart und ein späterer US-Präsident nicht viel ausrichten.
Opfer einer großen Liebe

Bette Davis und Humphrey Bogart – beim Blick auf die Besetzung von "Opfer einer großen Liebe" freut sich das Cineastenherz ja eigentlich. Doch leider entpuppt sich Bogart hier am Ende nur als unspektakuläre Randnotiz – genau wie das dramaturgische Potenzial der Geschichte. Für ein wirklich bewegendes Melodrama müsste man mit seinen Hauptfiguren nämlich wirklich mitfühlen können, und genau dieses Gefühl schafft der sich in unnötige Romanzen verstrickende Film leider viel zu selten – trotz einer wie immer äußerst charismatischen Bette Davis.
Judith Traherne (Bette Davis, "Jezebel – Die boshafte Lady"), reiche Erbin eines Pferderennstalls, genießt ihr Leben in vollen Zügen: Partys, Pferderennen und ein paar harmlose Flirts. Doch immer häufiger auftretende Sehstörungen trüben ihren Alltag, und spätestens nach einem Reitunfall wächst vor allem bei ihrer Freundin Ann (Geraldine Fitzgerald) die Sorge um ihren Gesundheitszustand. Der eigentlich seine Praxis aufgeben wollende Gehirnspezialist Dr. Frederick Steele (George Brent, "Die 42. Straße") setzt eine Untersuchung an und kommt zu einem niederschmetternden Urteil: ein unheilbarer Gehirntumor und nur noch wenige Monate Lebenszeit. Aus Mitgefühl verschweigt Frederick ihr jedoch die fatale Diagnose – und beginnt sich darüber hinaus in seine Patientin zu verlieben. Die wiederum fühlt sich wie neugeboren und ignoriert die Avancen ihres Stallburschen Michael (Humphrey Bogart, "Sackgasse", "Casablanca") sowie des Lebemannes Alex (Ronald Reagan), um lieber ebenfalls Gefühle für Frederick zu entwickeln. Doch wie lange kann dieser noch gute Miene zum bösen Spiel machen?

Es gibt ein wiederkehrendes Motiv in dem Film, das man schon fast als symbolisch für dessen Hauptproblem sehen kann. Wenn Judith aufgrund ihrer Sehstörung immer wieder daran scheitert, ihre Zigarette anzuzünden, steht das sinnbildlich für ein Werk, bei dem der Funke nie so richtig überspringen will. Was vor allem daran liegt, dass "Opfer einer großen Liebe" nur selten wirklich tiefergehendes Interesse am Innenleben der Figuren zeigt und so nie eine tiefe emotionale Verbindung zu diesen etablieren kann. Das beginnt schon mit der Hauptfigur, die die meiste Zeit über ihre eigene Diagnose im Dunkeln gelassen wird, darum nur wenige spannende Momente innerer Unsicherheit spendiert bekommt und eigentlich bis kurz vor Schluss gar keine große Entwicklung durchmacht.
Nachdem Frederick Judith die falsche positive Diagnose überbringt, fühlt diese sich zwar ihrer Aussage nach wie neugeboren – auf dem Bildschirm zu sehen ist davon aber leider nichts. Judiths Leben besteht weiterhin aus Partys und Pferderennen. Womit wir bei einem generellen Problem des Drehbuchs wären, das mehr auf "tell" statt "show" setzt. Das wird vor allem dann deutlich, wenn gleich mehrere Männer hier immer wieder kundtun, wie verliebt sie in Judith sind – man das aber im Alltag nie wirklich überzeugend fühlbar macht. Am offensichtlichsten ist dies bei unserem guten Doktor, der seine Patientin erst nüchtern und distanziert berät, dann aber von einem Moment auf den anderen plötzlich komplett hin und weg von ihr ist. Warum das so ist, kann man angesichts des bisher Gesehenen nur spekulieren.

Als ein wenig unglücklich entpuppt sich auch das Grundkonstrukt der Geschichte. Eigentlich birgt die schicksalshafte Diagnose von Judith ja jede Menge dramaturgisches Potenzial. Doch dadurch, dass die Hauptfigur lange Zeit darüber im Dunkeln gelassen wird und deren Leben erst mal weiter vor sich hinplätschert, nutzt der Film dieses Potenzial gar nicht. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn er sich stattdessen auf die mindestens genauso spannenden inneren Konflikte ihres Umfelds konzentrieren würde – allen voran auf Frederick und Ann. Doch abgesehen von ein paar wenigen Momenten des inneren Ringens, ob man jetzt Judith die Wahrheit sagt oder nicht, kommt hier auch nicht viel. Stattdessen nutzt man die Zeit lieber, um rund um Judith einige romantische Verwicklungen zu starten und eher banale Liebesbekundungen einzustreuen.
Das ist ärgerlich, denn in den Momenten, in denen die wirklich interessanten Konflikte auf den Tisch kommen, kann der Film tatsächlich einiges an Intensität aufbauen. Gerade die Szenen innerer Unsicherheit bringt die wie immer hochcharismatische Davis überzeugend auf die Leinwand – auch wenn ihre Tendenz, sich immer wieder dramatisch von anderen Figuren wegzudrehen, manchmal etwas zu theatralisch wirkt. Ähnlich verhält es sich mit Ann, deren Betroffenheit von der zauberhaften Geraldine Fitzgerald ziemlich überzeugend transportiert wird. Doch insgesamt ist das alles einfach zu wenig – und wird zudem oft dadurch konterkariert, dass sich die Figuren manchmal so verhalten, wie es das Drehbuch gerade für nützlich erachtet.

Ein wenig mehr Freude bereitet immerhin die ordentliche Inszenierung und vor allem wirklich exzellente Kameraarbeit von Ernest Haller, dem damaligen Chefkameramann von Warner Brothers. Optisch ist das hier eine lecker ausschauende Hochglanzproduktion, auch wenn Haller seine vermutlich berühmteste Arbeit ("Vom Winde verweht") erst ein paar Monate später abliefern sollte. Neugierig machen aus historischer Sicht auch noch die Auftritte von Humphrey Bogart und Ronald Reagan, die am Ende jedoch eher enttäuschend ausfallen. Bogart spielt zwar überzeugend den harten Jungen, bekommt aber viel zu wenig zu tun, um irgendeinen echten Einfluss auf die Geschichte zu haben. Der jugendliche Ronald Reagan wiederum bleibt blass und wirkt gerade beim Versuch einen Betrunkenen zu spielen schauspielerisch doch deutlich überfordert.
So steckt in "Opfer einer großen Liebe" zwar noch genug Drama, um halbwegs zu unterhalten, und zumindest am Ende wird auch unsere Hauptfigur innerlich endlich richtig gefordert. Es fehlt aber lange Zeit einfach ein echtes Interesse der Geschichte an den inneren Konflikten der Figuren, um einen emotional wirklich fesseln zu können. Und trotz ihrer starken Präsenz muss ich auch sagen, dass ich die Meinung vieler Kritikerkolleginnen und -kollegen nicht teile, dass dies eine von Davis’ stärksten Rollen ist. Dafür sollte man doch lieber einen Blick auf das grandiose "Alles über Eva" werfen. "Opfer einer großen Liebe" wiederum lebt am Ende mehr vom Glanz seiner Besetzungsliste als von einer wirklich berührenden Geschichte.
"Opfer einer großen Liebe" ist aktuell als DVD und digital auf Prime Video (nur deutscher Ton) auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Unser Doktor überbringt keine guten Nachrichten
Kurzer Blooper mit Humphrey Bogart
Trailer des Films
Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir auf einen Film, der seine Marketingkampagne vor allem auf einen einzigen Slogan fokussiert: "Garbo laughs".
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