MOH (106): 13. Oscars 1941 - "Fräulein Kitty"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hatten wir uns den Sorgen von Seemännern gewidmet, heute stehen die Irrungen und Wirrungen einer selbstbewussten jungen Frau auf dem Plan. Unser "Fräulein Kitty" ist dabei auch Zeugnis der erfolgreichen schauspielerischen Emanzipation von Ginger Rogers, deren Name bisher untrennbar mit dem ihres Tanzpartners Fred Astaire verbunden war.
Fräulein Kitty

Die schwindende Bedeutung von Filmstars wurde in den vergangenen Jahren ja häufig thematisiert – in einer Ära, in der große Marken-IPs deren Glanz zunehmend überstrahlen. Nie größer war deren Ruhm wohl im Golden Age Hollywoods der 1930er- und 1940er-Jahre, als diese zu unvergesslichen Ikonen ihrer Zeit wurden. Einer der größten Stars dieser Ära war Ginger Rogers, die heute vor allem in ihrer Rolle als kongeniale Tanzpartnerin von Fred Astaire in Erinnerung geblieben ist. Dabei geht oft unter, dass Rogers in den 1940er-Jahren auch ohne ihren Tanzpartner zu einer der bestbezahlten Schauspielerinnen der Traumfabrik aufstieg. Startpunkt für diesen Solo-Erfolg war das eher leichte Drama "Fräulein Kitty" aus dem Jahr 1940, mit dem Rogers nicht nur einen großen Hit an der Kinokasse landete, sondern auch den Oscar für die beste Hauptrolle gewann. Und das völlig verdient, denn Rogers ist hier wirklich großartig – und die mit Abstand größte Stärke eines Films, der zwar sonst ganz nett daherkommt, aber auch erzählerisch etwas ziellos durch seine Geschichte driftet.
Mittendrin in dieser Geschichte: die junge Kitty Foyle (Ginger Rogers, "Scheidung auf amerikanisch", "Bühneneingang"). Aus einer einfachen Mittelschichtsfamilie Philadelphias stammend, träumt die ambitionierte Kitty von einem erfüllten Leben. Am liebsten an der Seite des aus der Oberschicht stammenden Wynnewood "Wyn" Strafford VI (Dennis Morgan), in den sie sich schon in Jugendjahren verliebt. Der findet sich zwar auch zu Kitty hingezogen, doch gesellschaftliche Zwänge lassen ihn zögern, hier ein echtes Commitment einzugehen. Die enttäuschte Kitty geht darum erst mal auf Abstand und lernt derweil den sympathischen Kinderarzt Mark (James Craig) kennen. Doch als dann Wyn wieder in ihr Leben tritt, brechen alte Gefühle wieder aus und stellen Kitty vor eine schwierige Entscheidung.

Ehrlich gesagt: So richtig mitreißend ist die große Frage, für wen sich Kitty hier am Ende entscheiden wird, eigentlich nicht. Das liegt weniger an ihr als vielmehr an den beiden männlichen Gegenstücken, die zwar nicht unsympathisch daherkommen, aber mit Kitty jeweils "nur" ein halbwegs ordentliches Chemie-Level erreichen. Das Drehbuch macht aus dem gegenseitigen Beschnuppern der jeweiligen Parteien jetzt auch nicht gerade ein Feuerwerk – meist bleibt es beim eher harmlosen Flirten. Dabei bekommt Kitty die schon etwas klischeehafte Auswahl aus dem eher dominanter auftretenden und finanziell gut gepolsterten Wyn sowie dem eher braven Kinderarzt Mark, für den Gemeinwohl vor Geldverdienen steht, vorgesetzt. Doch da gerade die Figur des Mark eher farblos-naiv dahin stagniert, geht er lange nie wirklich als ernstzunehmende Alternative für Kitty durch. Was ein bisschen blöd ist, da uns das Skript Kittys Wahl zwischen diesen zwei Männern – beziehungsweise zwei Lebensmodellen – im weiteren Verlauf der Handlung als großen inneren Konflikt verkaufen will.
Warum die Beziehung zwischen Kitty und Wyn so holprig verläuft, wird auch nur semi-überzeugend kommuniziert. Zwar wird immer mal wieder auf gesellschaftliche Zwänge und vor allem die konservativen Erwartungen von Wyns Familie angespielt, doch die Familie selbst taucht erst relativ spät in der Geschichte wirklich auf – zu spät, um dem auf Wyn lastenden Druck glaubhaft Gewicht zu verleihen. Stattdessen plätschert die Geschichte so ein bisschen dahin, hangelt sich vom kleineren Konflikt zum nächsten Flirt und profitiert in Sachen Erzähltempo jetzt auch nicht gerade davon, dass uns all das in der Form von mehreren Rückblenden erzählt wird. Etwas mehr Pfeffer hätte dem Ganzen gutgetan – wobei hier natürlich wieder mal der berüchtigte Hays Code zumindest seine Finger im Spiel hatte. Als moralische Leitplanken gedacht sorgten dessen Vorgaben dafür, dass die Filmemacher einige Passagen des als Vorlage dienenden Romans entschärfen mussten – eine im Buch vorkommende Abtreibung fiel so komplett unter den Tisch.

Und doch – ich kann nicht leugnen, dass "Fräulein Kitty" mir Spaß gemacht hat. Das liegt unter anderem an ein paar hübschen Inszenierungsideen von Regisseur Sam Wood ("Auf Wiedersehen, Mr. Chips"), etwa wenn Kitty mit ihrem eigenen Spiegelbild diskutiert. Vor allem aber schleicht sich nach und nach ein angenehm schnippischer Humor ein, der immer mal wieder ein kleines Grinsen provoziert. Und ja, sogar kleine Ausflüge in tiefsinnigere Gewässer gelingen vereinzelt – zum Beispiel, wenn Kitty dem armen Mark auf höfliche Weise beizubringen versucht, dass sie eher auf den wilderen Typ Mann steht. Davon hätte es natürlich gern mehr geben dürfen, aber es reicht immerhin, um dem Film hin und wieder zumindest einen Hauch von Substanz zu verleihen.
Die mit Abstand effektivste Waffe des Films ist aber seine Hauptdarstellerin. Ginger Rogers ist schlichtweg großartig. Ich mochte sie schon bei ihren bisherigen Auftritten mit Fred Astaire – aber da war nicht zu erahnen, welche facettenreiche Schauspielerin hier auf der Bühne das Tanzbein schwingt. Rogers sah die eher limitierenden Rollen an der Seite von Astaire wohl ähnlich, weshalb sie Ende der 1930er gezielt nach Rollen mit mehr Tiefe suchte und ihre Erfolgs-Partnerschaft mit Astaire erst mal auf Eis legte. In "Fräulein Kitty" tanzt sie tatsächlich kein einziges Mal – obwohl man das ja problemlos in die Story hätte integrieren können. Stattdessen glänzt sie mit perfektem Timing bei den Dialogen und nutzt kurze Blicke und kleine Gesten wundervoll, um ihre eher oberflächlich angelegte Figur zum Leben zu erwecken. Vor allem aber merkt man Rogers eine unglaubliche Spielfreude an, jetzt da sie alleine im Rampenlicht steht. Dass die damals knapp 30-jährige Rogers, optisch nicht gerade überzeugend, in einer Sequenz sogar sich selbst als Teenager spielt, könnte merkwürdig wirken, macht dank ihres leidenschaftlichen Einsatzes aber einfach nur Spaß. Und so wächst einem diese Figur, trotz ihrer "Ich will doch lieber den Typen mit dem vielen Geld"-Einstellung, ans Herz. Und das ist dann doch ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir es hier mit einer richtig guten Schauspielerin zu tun haben.

So mag die Story nur dahin tuckern, die Nebenfiguren emotional keine Bäume ausreißen und das Finale dann auch noch lieber eine wichtige moralische Botschaft loswerden, als auf charakterliche Stringenz zu setzen – man hat trotzdem Spaß. Das amerikanische Publikum damals auch, denn der Film war ein großer Erfolg an der Kinokasse und sorgte dafür, dass Rogers zur bestbezahlten Schauspielerin der 1940er Jahre aufstieg. Wie so oft war es dann Hollywoods Vorliebe für junge Schauspielerinnen, die Rogers’ Stern in den 1950er Jahren zum Sinken brachte – und diese in Richtung Theater ziehen ließ. Vorher allerdings durfte sie 1949 noch ein letztes Mal mit Fred Astaire in "Tänzer vom Broadway" über die Leinwand wirbeln. Ein schöner Schlusspunkt für eine Schauspielerin, die sich im Laufe ihrer Karriere als deutlich vielseitiger erwies, als man ihr es zunächst zugetraut hatte.
"Fräulein Kitty" ist als Import-DVD aktuell auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films
Ginger Rogers erhält ihren Oscar
Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir auf eine weitere "Grand Dame" aus Hollywoods Golden Age: die sogenannte "Königin von Warner Brothers".
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