Unsere kleine Stadt

MOH (109): 13. Oscars 1941 - "Unsere kleine Stadt"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 27. Mai 2025

In unserer letzten Folge sorgte ein mörderisches Geheimnis für Spannung, nun wenden wir einen deutlich friedlicheren und vor allem melancholischeren Blick auf das Leben einer typischen amerikanischen Kleinstadt.

Unsere kleine Stadt

Originaltitel
Our Town
Land
Jahr
1940
Laufzeit
90 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
6
6/10

Eigentlich ist das ein ziemlich charmanter Ansatz, den "Unsere kleine Stadt" da im Jahr 1940 verfolgte. Um das amerikanische Kleinstadtleben in all seinen Höhen und Tiefen zu feiern, schickt man uns auf eine kleine nostalgische Zeitreise mit einem besonderen Kniff: Ein Erzähler führt uns nicht nur im Off, sondern auch tatsächlich "live vor Ort" durchs Geschehen – inklusive Interviews von Nebenfiguren und Einbeziehung des Publikums. Das sorgt für eine sehr frisch wirkende Erzählperspektive, mit der aber leider die zentrale Liebesgeschichte des Filmes nicht mithalten kann. Was sympathisch startet, entwickelt sich am Ende so immer mehr zu einer eher zähen Angelegenheit.

In der kleinen Stadt Grover’s Corners in New Hampshire zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebt die Gemeinschaft in ruhigem Einklang. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Familien: die Gibbs und die Webbs. George Gibbs (William Holden, "The Wild Bunch", "Network"), Sohn des Arztes Dr. Frank Gibbs (Thomas Mitchell, "Der lange Weg nach Cardiff", "Vom Winde verweht") und seiner Frau Julia (Fay Bainter, "Jezebel - Die Boshafte Lady"), entwickelt dabei Gefühle für Emily Webb (Martha Scott), die Tochter des Zeitungsverlegers Charles Webb (Guy Kibbee, "Die 42. Straße", "Lady für einen Tag") und dessen Frau Myrtle (Beulah Bondi). Mit einem kleinen Augenzwinkern und jeder Menge romantischer Nostalgie begleitet dabei ein Erzähler (Frank Craven) mit uns das Geschehen – und ermöglicht uns Einblicke in den Alltag dieser Figuren. Vor allem, was die Frage angeht, ob der schüchterne George seine Angebetete schon bald von sich überzeugen kann oder nicht.
 


Bevor wir für die ganz kreative Grundidee des Filmes hier aber nun die Traumfabrik feiern, sollte man der Vollständigkeit halber darauf hinweisen: Originalstoff ist das hier nicht. Wie so oft in dieser Zeit bediente man sich an einem Theaterstück – in diesem Fall bei Thornton Wilders 1938 erschienenem Stück "Our Town", das damals direkt mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Von der erfolgreichen Broadway-Produktion übernimmt man dann auch gleich Teile des Ensembles: Martha Scott spielt erneut die Emily und Frank Craven gibt wieder den Erzähler. Und genau dieser Erzähler ist dann auch der kreativste Aspekt des Filmes.

Denn genau dieser blickt mit uns gemeinsam auf die Vergangenheit des fiktiven Örtchens Grover’s Corners – allerdings nicht einfach nur als Stimme aus dem Off. Stattdessen schlendert unser Erzähler hier entspannt durch das Örtchen, kommentiert die Ereignisse und spricht sogar direkt mit damaligen Figuren – die sich teilweise auch direkt an das Publikum wenden. Aufgezogen ist das Ganze als eine Art Live-Theaterstück – bei dem hin und wieder die sogenannte "Vierte Wand" durchbrochen wird. Am offensichtlichsten, wenn aus dem Off auf einmal Fragen des Publikums den Film unterbrechen, was ein ziemlich charmanter Einfall ist. Ebenfalls charmant ist die Tatsache, zumindest aus heutiger Sicht, dass hier sozusagen aus der Vergangenheit ein Blick auf eine noch weiter zurückliegende Vergangenheit geworfen wird. Wenn unser Erzähler melancholisch über die automobilfreie Zeit von Grover’s Corners schwärmt, gleichzeitig aber die Hektik der (damaligen) Gegenwart beklagt, bekommt das aus heutiger Sicht irgendwie eine interessante Meta-Ebene. Wenn der mal wüsste, was heute auf den Straßen von Los Angeles los ist.
 


Klingt nach einem sehr charmanten Filmchen, doch die kreativen Stilmittel verlieren mit der Zeit nicht nur etwas an Frische, sondern werden im Laufe der Handlung leider auch deutlich zurückgefahren. Sie machen stattdessen Platz für die kleinen Geschichten im Örtchen, die am Anfang zwar irgendwie noch ganz niedlich daherkommen, in ihrer Banalität aber dann doch relativ schnell etwas zu langweilen beginnen. Das liegt sicher auch an der etwas altbackenen Inszenierung von Sam Wood ("Fräulein Kitty", "Auf Wiedersehen, Mr. Chips") und ziemlich hölzernen Dialogen. Wenn man sich in Grover’s Corners zum Beispiel ein Taschentuch reicht, wird das halt dann genau so gesagt: "Hier, ich gebe dir nun ein Taschentuch." Selbst so gute Charakterdarsteller wie Thomas Mitchell oder Guy Kibbee wirken da gnadenlos unterfordert und schaffen es nicht, irgendwie ihre Figuren mit Leben zu füllen. Dazu muss man bei der Botschaft des Filmes aus heutiger Sicht auch lieber wegschauen, denn hier werden extrem konservative Rollenbilder schon sehr romantisiert. Was aber natürlich dem Zeitgeist geschuldet ist.

Noch problematischer ist allerdings die zentrale Liebesgeschichte, die sich in der zweiten Hälfte zum Dreh- und Angelpunkt des Films entwickelt. Statt das ganze Dorf und seine Figuren in den Mittelpunkt zu rücken, fokussiert sich der Film zunehmend auf die Romanze zwischen George und Emily. Und die könnte langweiliger nicht ausfallen. Hier funkt es emotional zwischen den beiden mal so gar nicht – was angesichts der klischeehaften Dialoge aber auch nicht verwundert. Vor allem aber kann ein späterer Hollywoodstar, der mit dieser Rolle ironischerweise seinen großen Durchbruch feierte, überhaupt nicht überzeugen. William Holden sollte sich mit seinen Auftritten in "Boulevard der Dämmerung", "Die Brücke am Kwai" und "The Wild Bunch" im Film-Pantheon verewigen, doch von einer großen Schauspielzukunft ist hier nichts zu erahnen. Er spielt George so leblos und frei von jeglichem Charisma, dass einem dessen Liebesglück ziemlich egal ist. Etwas besser, aber auch nur durchschnittlich, fällt die Leistung von Martha Scott aus – und so avanciert dieser energiearme Flirt zu einer echten Storybremse.
 


Da zeitgleich die kreativen Stilmittel zurückgefahren werden, fühlt sich der Film gerade in der zweiten Hälfte schon sehr zäh an. Erst ganz am Ende kehrt noch einmal etwas Film-Magie zurück, bei dem der Streifen auf kreative Weise das Konzept des Jenseits aufgreift und eine ordentliche Portion Arthouse-Touch versprüht. Doch so kreativ dieser Schlussakkord auch gestaltet sein mag, da die zentrale Liebesbeziehung eben mal so gar nicht funktioniert, nimmt man das alles dann doch emotional sehr distanziert wahr. Das aufgesetzt und inkonsequent wirkende Happy End macht die Sache jetzt auch nicht gerade besser.

So bleibt uns ein Film, der zwar nette Ideen hat und auch ein paar niedliche Momente generiert, das zentrale emotionale Fundament aber einfach nicht gesetzt bekommt. Das sah die Academy damals aber anders und belohnte das Werk mit gleich sechs Oscar-Nominierungen – darunter beste Hauptdarstellerin, Szenenbild, Ton und Musik. Heute besteht der Reiz für ein modernes Publikum leider fast ausschließlich aus dem formalen Spiel mit der Erzählstruktur und der unfreiwilligen nostalgischen Metaebene des Films – doch so richtig unterhaltsam fällt dieser Zeitreise-Kitsch am Ende eben nicht aus. Und wenn man sich am Ende dann gemeinsam mit unserem Erzähler von dem kleinen Örtchen verabschiedet, erfolgt das ehrlich gesagt eher mit etwas Gleichgültigkeit als Wehmut.

"Unsere kleine Stadt" ist als DVD aktuell auf Amazon in Deutschland verfügbar (aber in keinem so guten Zustand). Wirklich zu empfehlen ist eigentlich nur die Bluray-Version von ClassicFlix - die aber aktuell (zumindest in Deutschland) nicht verfügbar ist.
 


In Ermangelung eines Originals hier ein moderner Trailer des Films.
 


Ein kleiner Einblick in den Film - inklusive eines Auftritts unseres Erzählers.


Vergleich der restaurierten Version zum Original.
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir auf eine Ikone des Stummfilms, die ein ganz besonderes Anliegen im Gepäck hat. 

Bilder: Copyright

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