Zeuge der Anklage

MOH (131): 15. Oscars 1943 - "Zeuge der Anklage"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 28. Oktober 2025

In unserer letzten Folge war Gary Cooper der wohl größte Lichtblick in einem sonst eher enttäuschenden Film. Ähnlich fällt das heutige Fazit aus, nur dass diesmal Cary Grant die Rolle des Lichtblicks einnimmt.

Zeuge der Anklage

Originaltitel
The Talk of the Town
Land
Jahr
1942
Laufzeit
118 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
6
6/10

Dass eine beeindruckende Cast noch keinen wirklich guten Film garantiert, haben wir in dieser Oscar-Reihe ja unter anderem schon im Fall von "Die Nacht vor der Hochzeit" gelernt. Die Screwball-Komödie war trotz einer traumhaften Besetzung (Cary Grant, James Stewart, Katharine Hepburn) nie so wirklich vom Fleck gekommen. Ähnliches lässt sich auch im heutigen Fall konstatieren. Auch in "Zeuge der Anklage" sorgt ein charismatischer Cary Grant zwar immer wieder mal für ein kleines Grinsen, doch die eher steif als locker daherkommende Geschichte, der weder bei den komödiantischen noch den dramatischen Momenten so richtige Punktlandungen gelingen, steht hier gefühlt viel zu oft mit dem Fuß auf dem Bremspedal.

Auslöser für das teils auf Komödie und teils auf Drama ausgelegte Katz-und-Maus-Spiel des Filmes ist dabei der Brand einer Wollfabrik, bei der ein Vorarbeiter ums Leben kommt. Beschuldigt, das Feuer gelegt zu haben, wird der immer wieder als politischer Aktivist aufgetretene Arbeiter Leopold Dilg (Cary Grant, "Verdacht", "Die schreckliche Wahrheit"), der die Zustände vor Ort angeprangert hatte. Die Todesstrafe in Aussicht, gelingt dem verzweifelten Dilg während seines Prozesses, der nicht wirklich fair geführt wurde, aber die Flucht. Mit einem verletzten Knöchel kann sich Dilg gerade noch in das Ferienhaus der Lehrerin Nora Shelly (Jean Arthur, "Lebenskünstler", "Mr. Deeds geht in die Stadt") retten, die über den neuen Gast nicht gerade „amused“ ist. Vor allem, da sie doch gerade den berühmten Strafrechtsprofessor Michael Lightcap (Ronald Colman, "Arrowsmith", "Flucht aus Paris") als Besuch erwartet, der hier in den nächsten Wochen in Ruhe an seinem neuesten Buch arbeiten möchte. Das mit der Ruhe wird Lightcap für die nächsten Tage aber ziemlich sicher vergessen können, doch dazu wird auch seine idealistische Meinung über das amerikanische Justizsystem schon bald ins Wanken geraten.
 


So ein bisschen die Krux an der Geschichte ist hier, dass eigentlich zwei drinstecken. Einmal ein klassisches Katz-und-Maus-Versteckspiel, bei dem Nora Leopold erstmal physisch vor ihrem Gast verstecken und später zumindest dessen wahre Identität verheimlichen muss. Wobei der Humor dabei vor allem darauf fußt, dass Leopold die Sache erstaunlich entspannt sieht und jetzt nicht gerade viel Lust auf seine Undercover-Rolle hat – sehr zum Leidwesen seiner Gastgeberin, die immer wieder dessen gewollten Leichtsinn ausbaden muss. Das reicht dem Film aber nicht, der gerade hinten raus auch noch etwas über das amerikanische Justizsystem sagen möchte und darum hier und da auch noch ernsthaftere Töne anschlägt. So dürfen dann, zum Beispiel bei einer Partie Schach, unser idealistischer Strafrechtsprofessor und unser desillusionierter Angeklagter auch über dessen Stärken und Schwächen diskutieren.

Das erklärt dann auch, warum diese Geschichte von Anfang an irgendwie sehr konstruiert wirkt, wenn ein anscheinend unschuldiger Angeklagter „zufällig“ auf die größte Ikone des amerikanischen Strafrechts trifft. Mit der nötigen Leichtigkeit kriegt man aber auch so etwas vermittelt, nur leider geht die dem Film von Anfang an ab. Obwohl dort der Fokus eigentlich rein auf den komödiantischen Aspekten liegt, wirkt das Aufsetzen des Settings hier schon sehr hölzern. Das hat weniger etwas mit den Schauspielern, sondern mehr mit einem behäbigen Drehbuch und einer nicht wirklich lockeren Inszenierung zu tun. Regisseur George Stevens ("Alice Adams") kriegt nie einen wirklich natürlichen Flow hin, und beim Schnitt sitzt das Timing bei den sowieso schon eher mittelprächtigen Gags nicht wirklich. Echte Überraschungsmomente fehlen, und das Geschehen wirkt teils eher gezwungen auf Humor getrimmt. Nichts könnte das besser verdeutlichen als der manchmal etwas schrille und penetrant auf banalen Humor abgestimmte Soundtrack, der gefühlt eher in einen „Dick-und-Doof“-Streifen gepasst hätte, aber eben so gar nicht zu diesem mehr ernsthafter angehauchten Setting.
 


Wenn es im zweiten Teil dann etwas ernster zugeht, sieht es auch nur bedingt besser aus. Hier und da haben die über das Justizsystem geführten Diskussionen zwischen Leonard und Michael zwar durchaus Potenzial, werden aber immer dann abgebrochen, wenn es gerade interessant wird. Meistens dann auch durch eher simplen Humor, weil man ja doch auch eine Komödie sein will. Diese Mischung aus beiden Welten will aber halt nie so richtig gut funktionieren, weil auch die Entwicklung der Figuren am Ende wieder zu viel auf sehr erzwungen wirkenden Zufällen beruht und einfach grundsätzlich nie ein wirkliches Tempo aufkommt. Mit knapp zwei Stunden fällt der Film dann auch mindestens 20 Minuten zu lang aus.

Ein wenig tut es einem um die Cast leid, denn die hat immer wieder so ihre Momente. Vielen wird heute nur der Name Cary Grant etwas sagen, aber sowohl Jean Arthur als auch Ronald Colman waren damals große Stars und sind uns in dieser Reihe ja auch schon mehrfach über den Weg gelaufen. Solche Star-Power war für damals eher ungewöhnlich, und zumindest Grant kann man nicht wirklich einen Vorwurf machen. Der versprüht eine Menge Charme, der vor allem immer dann ansteckend ist, wenn er mal wieder Nora hat gnadenlos auflaufen lassen. Dann kommt da dieses ironisch-arrogante Schulbub-Grinsen, bei dem man nicht weiß, ob man ihm jetzt eine reinhauen oder ihn umarmen sollte. So hält Grant diesen Film immer noch über Wasser, und auch Arthur und Colman, letzterer mit seiner berühmten kultiviert-wohlklingenden Stimme ideal besetzt, haben so ihre Momente. Richtig viel können sie aber gegen die Art und Weise, wie ihre Leistungen hier genutzt werden, nicht ausrichten. Es reicht aber zumindest, um das Publikum noch halbwegs bei Laune zu halten. 
 


Wirklich in Erinnerung bleiben hier aber nur ein paar wenige kleine Freuden. Wie zum Beispiel der kurze Auftritt eines unglaublich jungen Lloyd Bridges ("Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug", "Hot Shots"). Oder die letzte Szene des Filmes, die auf einmal genau jene Lockerheit ausstrahlt, die man vorher so schmerzlich vermisst hatte. Und eben jenes Grinsen von Cary Grant. All das reicht am Schluss aber nur für ein geradeso halbwegs ordentliches aber eben nicht wirklich erfüllendes Filmerlebnis. Aber glücklicherweise hat gerade Grant ja noch öfters die Gelegenheit bekommen, dieses Grinsen unter besseren Regisseuren in besseren Geschichten zu platzieren.
 

"Zeuge der Anklage" ist aktuell als DVD-Import auf Amazon in Deutschland verfügbar.
 


Moderner Trailer des Films.
 


Szene: Nora muss verhindern, dass der Professor die Wahrheit über Leopold erfährt.
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge bekommt zumindest Ronald Colman die Gelegenheit, seinen Namen schnell wieder mit einem deutlich besseren Film in ein schöneres Licht zu rücken.

Bilder: Copyright

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