MOH (116): 14. Oscars 1942 - "Verdacht"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge haben wir die teils etwas ungeschickten Schwankungen zwischen Komödie und Drama in "Blüten im Staub" kritisiert. In Alfred Hitchcocks "Verdacht" wird dieses Zusammenspiel zweier verschiedener Genres ebenfalls wieder eine Rolle spielen – glücklicherweise aber in einem deutlich besseren Film münden.
Verdacht

Regisseur Alfred Hitchcock ("Der Auslandskorrespondent") ist ja jetzt nicht unbedingt für seinen liebevollen Umgang mit seinem Schauspielpersonal bekannt. Zugegeben, seinen berühmten Ausspruch "Actors are cattle“ ("Schauspieler sind Vieh“) sollte man nicht zu ernst nehmen – der war eher ein Ergebnis seines verschrobenen Humors. Was sich auch dadurch zeigt, dass er seine Aussage Jahre später mit einem gewissen Augenzwinkern verschlimmbesserte („Ich habe nie gesagt, dass Schauspieler Vieh sind. Ich habe gesagt, sie sollten wie Vieh behandelt werden“). So richtig angenehm dürfte die Zusammenarbeit für viele Darsteller mit dem für seinen autokratischen Perfektionismus bekannten Master of Suspense aber wohl nicht gewesen sein – wenn man nicht gerade zu seinen wenigen Lieblingen gehörte. Einer davon war ohne Zweifel Cary Grant. Mit „Verdacht“ begegnen wir heute nun dem ersten von insgesamt fünf gemeinsamen Filmen der beiden – eine Partnerschaft, die später mit "Der unsichtbare Dritte“ ihren absoluten Höhepunkt finden sollte.
Genau dieser Cary Grant ist in "Verdacht“ dann auch in wirklich bestechender Spiellaune. Und das in einem Film, der für Hitchcock-Verhältnisse lange Zeit überraschend romantisch und leichtfüßig daherkommt. Aber Hitchcock wäre nicht Hitchcock, wenn nicht auch hier bald erste dunkle Wolken am Horizont aufziehen würden. Doch so richtig meisterhaft fällt diese Mischung aus Romantik und Thriller in "Verdacht“ am Ende leider nicht ganz aus – was auch, aber nicht nur, mit dem Druck der damaligen Moralwächter zu tun hat.

Mal wieder wählt Hitchcock als Setting dabei seine alte Heimat aus und lässt „Verdacht“ an der englischen Küste spielen. Dort begegnet die schüchterne Lina McLaidlaw (Joan Fontaine, "Rebecca“), eine junge Frau aus wohlhabendem Hause, auf einer Zugfahrt dem charmanten Lebemann Johnnie Aysgarth (Cary Grant, "Die Nacht vor der Hochzeit“, "Die schreckliche Wahrheit“). Trotz der Skepsis ihrer Familie heiratet Lina Johnnie, der sich zwar weiterhin als charmant, aber auch impulsiv und unzuverlässig herausstellt. Vor allem zum lieben Geld scheint der gute Johnnie ein "interessantes“ und sehr kreatives Verhältnis zu haben. Während sein Freund Beaky (Nigel Bruce) aber treu an Johnnies lauteren Charakter glaubt, wächst in Lina allmählich der Zweifel. Vor allem aber drängt sich immer mehr eine beunruhigende Frage auf: Ist der gute Johnnie wirklich nur ein sorgloser Hallodri oder verfolgt er etwa ganz gezielt dunklere Pläne?
Nur wenige Schauspieler in der langen Historie Hollywoods haben so lässig den charismatischen Frauenhelden geben können wie Cary Grant. Und noch viel weniger versprühten dabei die gleiche Aura von Raffinesse, die aus Grants Figuren immer mehr als "einfach nur" den eleganten Gentleman machte. Irgendwie verbarg sich gefühlt hinter dessen stets hellwachen Augen immer noch eine weitere Komplexitätsebene, und genau das macht Grant in "Verdacht" dann auch zum perfekten Leading Man. Grant spielt Johnnie einerseits wundervoll charismatisch, als scheinbar nie erwachsen werden wollendes Kind, das sich mit Witz und Charme aus jeder Lage irgendwie herausplaudert. Doch dann, immer mal wieder, wird dieses liebevolle Hochstapler-Flair wie eine Maske kurz abgezogen, um eine deutlich kühlere und unberechenbarere Seite preiszugeben.

Am deutlichsten tritt diese andere Seite von Johnnie in einem Zwiegespräch mit Lina auf einer Treppe zu Tage. Und doch ist es bezeichnend, dass es nur wenige Minuten braucht, bis Johnnies Charme uns wieder greift und man als Zuschauer diesen kleinen emotionalen Aussetzer schon fast wieder vergessen hat. Das macht es dann auch sehr einfach, nachzuvollziehen, warum Lina trotz zahlreicher Hinweise nicht frühzeitig die Reißleine zieht und stattdessen stets lieber an das Gute in ihrem neuen Ehemann glaubt – uns als Publikum geht es nämlich genauso. So ist die größte Stärke von "Verdacht" am Ende vor allem sein Casting. Etwas schade nur, dass nicht der phantastische Grant, sondern Joan Fontaine mit dem Oscar ausgezeichnet wurde – auch wenn Fontaine, deren Figur hier stets zwischen Skepsis und bedingungsloser Liebe hin- und hergerissen ist, unglaublich überzeugend auftritt. Ihr Oscar ist dabei gewissermaßen eine Rarität, denn außer ihr sollte keine andere Person je einen Schauspiel-Oscar für einen Hitchcock-Film erhalten.
Dass die Chemie zwischen Grant und Fontaine so gut funktioniert, nutzt der Film dann auch genüsslich aus – vor allem für eine (für Hitchcock) überraschend lockere erste Hälfte. Bis der Film in typischere Hitchcock-Gefilde steuert, dauert es dann schon ein Weilchen. So werden Freunde des steilen Spannungsbogens dann hier doch überraschend lange auf die Folter gestellt. Was vielleicht auch dem Einfluss von Drehbuchautor Samson Raphaelson geschuldet ist, der an vielen frühen Lubitsch-Komödien mitgewirkt hat und der Romanvorlage von Anthony Berkeley einige heitere Seiten entlockt. Alles ist dann lange auch so harmlos und unaufgeregt inszeniert und charmant gespielt, dass man sich schon fast in einer romantischen Komödie wähnt. Verstärkt wird das dann auch noch durch die Auftritte des herzigen, wenn auch leicht naiven Beaky (gespielt von Nigel Bruce, den viele als Dr. Watson aus den Sherlock-Holmes-Filmen mit Basil Rathbone kennen dürften).

Es grenzt jetzt schon fast ein wenig an Ironie, dass bei einem Hitchcock-Film ausgerechnet dieser locker-leichte Teil am besten gelungen ist. Weil natürlich geht es hier im späteren Verlauf in deutlich schattigere Storybereiche, doch so richtig packen kann einen der Master of Suspense hier nur bedingt. Das wiederum hat mehrere Gründe. Da wäre zum einen die Rückkehr zum englischen Setting. Hitchcock war ja immer noch stark mit seiner Heimat verwurzelt und ist erzählerisch in seinen frühen Filmen öfter wieder nach England zurückgekehrt. Leider wirken die Sets des englischen Luxusanwesens hier aber erstaunlich glatt, was Hitchcock einer seiner größten Stärken beraubt. Es mag ihm einfach nicht gelingen, hier so wirklich eine bedrückende oder mysteriöse Atmosphäre zu kreieren, was er Jahre später dann auch selbst an seinem Film kritisierte.
Ohne diese "optische Spannung" hat es aber auch die Thriller-Geschichte schwerer, im zweiten Teil zu zünden. Was auch daran liegt, dass die Storybeats etwas repetitiv daherkommen. Ist er jetzt böse – oder doch nicht? Mit dieser Frage wird zwar gespielt, aber eben immer auf ähnliche, eher oberflächliche Art und Weise. Es fehlt an der psychologischen Tiefe, die sonstige Hitchcock-Werke immer wieder auszeichnete und so besonders macht. Was dann genau der Punkt ist. Ja, "Verdacht" ist sehr kurzweiliges und richtig toll gespieltes Kino, das gewisse Etwas vermisst man hier aber. Gerade im Schlussdrittel hätte man sich dann einfach ein paar frische Impulse und vor allem etwas mehr Härte und Konsequenz bei der Story gewünscht.

Hitchcock allein kann man das aber wohl nicht ankreiden. Quentin Tarantino meinte ja einmal, Hitchcock sei einfach ein paar Jahre zu früh geboren und habe sich in seinen Filmen zu viel zurückhalten müssen. Zumindest für die Frühphase in Hollywood möchte ich ihm da beipflichten, denn die Moralvorstellungen der damaligen Zeit verbauen dem guten alten Hitch hier dann doch eindeutig, sein Ding komplett durchzuziehen. So weicht der deutlich düsterere Schluss des Buches dann auch einem Hollywood-Ende, das vor allem dem damaligen Moralcodex des Hays Code Rechnung trägt (und der Pflege des Images des Hauptdarstellers). Wobei Hitchcock noch das Schlimmste verhindern konnte, denn ein übereifriger Produzent schnitt aus dem Werk einst alle Szenen heraus, die auch nur andeuteten, dass Cary Grants Charakter etwas Böses wollte. Womit man dann de facto einen Kurzfilm vor sich liegen hatte.
So weit kam es dann glücklicherweise nicht, wirklich überzeugend fällt der Schluss von "Verdacht" aber auch nicht aus. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass Hitchcock die letzte Szene absichtlich so inszeniert hat, dass man noch mal ein klein wenig Interpretationsspielraum bekommt. Ende hin oder her, "Verdacht" ist schlussendlich ein unterhaltsamer, aber kein meisterhafter Hitchcock-Streifen, der aber zumindest durch seine erstaunliche Leichtigkeit aus dessen Schaffen etwas herausragt. Vermutlich noch wichtiger ist aber, dass dies der Startschuss für vier weitere Werke von Hitchcock mit Cary Grant war – und da kann man angesichts von Filmen wie "Der unsichtbare Dritte" ja schon mal dankbar für sein.
"Verdacht" ist aktuell als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films.
Ein Blick hinter die Kulissen des Films
Ausblick
In unserer nächsten Folge startet unser Film auch eher leichtfüßig, bevor man dann am Ende ebenfalls in deutlich ernstere Gefilde wechselt.
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