100 Mann und ein Mädchen

MOH (83): 10. Oscars 1938 - "100 Mann und ein Mädchen"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 26. November 2024

In unserer letzten Folge befand sich das Leben unserer Figuren ja im wahrsten Sinne des Wortes  in einer “Sackgasse“. Heute dagegen ist eine ordentliche Portion Optimismus angesagt, wenn ein junges Mädchen einer Gruppe arbeitsloser Musiker einen neuen Job und neues Selbstbewusstsein verschafft.

100 Mann und ein Mädchen

Originaltitel
One Hundred Men and a Girl
Land
Jahr
1937
Laufzeit
84 min
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
8
8/10

Das Schicksal von Hollywoods ältestem Filmstudio ist untrennbar mit einem Namen verbunden, der heute nur noch wenigen Menschen etwas sagen dürfte. Anfang der 1930er Jahre hatte sich Universal Pictures zwar mit Filmen wie “Dracula“, "Frankenstein“ oder “Die Mumie“ eine kleine Nische im Horror-Genre geschaffen, doch schon kurz darauf geriet das Studio durch Schwierigkeiten bei der aufwendigen Produktion von “Showboat“ in große finanzielle Nöte. Die Rettung kam unverhofft – durch ein kleines Mädchen mit einer großen Stimme. Im Jahr 1936 entpuppte sich “Drei süße Mädels“ als überraschender Hit und die dort spielende und singende Deanna Durbin wurde zum Star. Ausgestattet mit einem 5-Jahres-Vertrag lieferte Durbin dem Studio in den kommenden Jahren dringend benötigte Kassenerfolge. Einen weiteren davon haben wir heute nun vor uns liegen, und im Gegensatz zum etwas unrunden “Drei süße Mädels“ bietet “100 Mann und ein Mädchen“ diesmal über weite Strecken Feel-Good-Kino der richtig guten Sorte.

Bei den 100 Männern handelt es sich in diesem Fall um eine Gruppe erfolgloser Berufsmusiker. Einer davon ist der Posaunist Jon Caldwell (Adolphe Menjou, “The Front Page“, “Ein Stern geht auf“), der unermüdlich versucht, im Orchester des berühmten Dirigenten Leopold Stokowski (gespielt von sich selbst) einen Platz zu ergattern – und seinen 99 Kollegen wenn möglich ebenfalls. Seine stets energiegeladene Tochter Patsy (Deanna Durbin) kann dessen Verzweiflung schon bald nicht mehr ertragen und möchte helfen. Eines Tages sieht sie ihre große Chance, als sie durch Zufall für die reiche Ehefrau (Alice Brady, “Chicago“, “Scheidung auf amerikanisch“) des Medienmoguls John Frost (Eugene Pallette) ein Ständchen singen darf. Deren dann nicht ganz ernst gemeintes Hilfsangebot nimmt die leichtgläubige Patsy aber etwas zu wörtlich und ist schon bald überzeugt, nicht nur ihrem Vater, sondern auch dessen 99 Kollegen einen Auftritt mit dem berühmten Stokowski organisieren zu können.
 


“100 Mann und ein Mädchen“ könnte man gut als ein Frank Capra Film ("Lady für einen Tag", "Mr. Deeds geht in die Stadt") ohne Frank Capra bezeichnen. Man scheint sich nämlich hier dessen Kochbuch für Filmkomödien ausgeliehen zu haben, so eng hält man sich an dessen bewährten Rezepte. Ein wenig Gesellschaftskritik, eine unerschütterliche Portion Optimismus, liebevoll geschriebene Nebenfiguren mit kleinen Macken und zum Abschluss natürlich ein fast märchenhaftes Finale – so bastelt man sich erfolgreich einen Feel-Good-Streifen. Statt Capra sitzt hier aber Henry Koster auf dem Regiestuhl, der bereits in “Drei süße Mädels“ Deanna Durbin in Szene setzen durfte. Nicht übernommen wurde aber das Autorenteam des Vorgängers und das ist dann vermutlich auch einer der Gründe für den deutlichen Qualitätsschub.

Im Gegensatz zu “Drei süße Mädels“ kommt die Handlung hier viel flüssiger daher, wirken Durbins Gesangseinlagen weniger erzwungen und funktioniert der Humor deutlich konstanter. Eine der größten Stärken (und oft ein sehr gutes Zeichen für einen Film) ist dabei die Liebe und Aufmerksamkeit, mit der man charmante Nebenfiguren erschafft. Wofür sinnbildlich ein eigentlich unbedeutender Taxifahrer steht, der manche Dialoge aufgreift, um spontan kleine Gesangseinlagen daraus zu basteln. Eine liebevolle kleine Macke, die nicht wirklich die Handlung vorantreibt aber einfach auf charmante Weise den Film einen kleinen Ticken schöner macht (und wer hat sich nicht schon mal dabei ertappt, alleine auf einer Autofahrt gut gelaunt irgendeinen Unsinn zu trällern).
 


Der Film hat einige solcher netter Charaktermomente, wenn unsere aus armem Haus stammende Hauptfigur zum Beispiel während einer Gesangseinlage bei einer High-Society-Party mal kurz verstohlen auf das Buffet blickt. Diese kleinen Momente funktionieren auch dank einer wirklich blendend aufgelegten Schauspieltruppe richtig gut. In “Bühneneingang“ hatte Adolphe Menjou hier ja vor kurzem noch den schmierigen Theaterproduzenten gegeben, jetzt schlüpft er genauso mühelos wie charmant in die Rolle des liebevollen Familienvaters, der aufopferungsvoll seiner Tochter ein besseres Leben bieten möchte. Hier stimmt die Chemie auch weil man ebenfalls nette kleine Momente zwischen beiden generiert, wenn Vater und Tochter sich zum Beispiel selbst im größten Trubel kurz lächelnd zublinzeln. Auch die ebenfalls verzweifelt nach einem Job suchenden Berufskollegen von Jon werden mit viel Empathie von ihren Darstellern portraitiert. Dabei nutzt der Film diese zwar hin und wieder für ein paar kleine Gags, macht sich aber nie auf deren Rücken über sie witzig. Hier wird stets mit und nicht über Figuren gelacht.

Ein kleiner Coup gelang den Produzenten mit der Verpflichtung des damaligen Stardirigenten Leopold Stokowski. Der darf sich selbst spielen, was aber nicht nur dessen musikalischen Auftritt überzeugend ausfallen lässt. Als arroganter aber irgendwie dann doch leicht verschmitzt daherkommender Antagonist ist Stokowski schlichtweg großartig. Er versprüht eine unglaubliche Aura und gerade das Zusammenspiel mit Deanna Durbin funktioniert exzellent – beide sind auf ihre Art schlagfertig, was stets zu einem sehr genüsslichen Schlagabtausch führt, den beide Figuren mit einem gewissen Augenzwinkern genießen. Das sorgt ebenfalls für eine angenehme Leichtigkeit und so freut man sich hier über jeden auftauchenden Konflikt.
 


Für Stokowski sollte dies nicht der einzige Auftritt in Hollywood bleiben – für das berühmte Disney-Werk "Fantasia" stand er mit dem Philadelphia Orchester im Jahr 1940 ebenfalls vor der Kamera.  Sowohl die Musikeinlagen von Stokowski als auch die von Durbin sind dabei stets passend in die Handlung integriert und jetzt auch nicht so zahlreich, dass weniger musikalische Zuschauerinnen und Zuschauer sich davon gestört fühlen dürften. Womit dann auch ein großes Lob an Regisseur Koster rausgehen muss, der meist einen schönen Flow für den Film findet und hier und da auch durchaus ein paar kreative Ideen in Sachen Inszenierung einfliessen lässt. Das zeigt sich vor allem im großen Finale, das trotz der großen Portion Kitsch genau die richtige Note trifft, um das Publikum mit einem breiten Grinsen und dem (vorübergehenden) Glauben an Märchen zu entlassen.

Angesichts soviel Lob stellt sich die Frage, ob wir hier wieder einen vergessenen Klassiker entdeckt haben. Soweit würde ich dann doch nicht gehen, da der Film leider eine Schwäche aus "Drei süße Mädels" übernimmt. Durbin agiert nämlich auch hier wieder phasenweise so aufgedreht, dass es schon mal etwas nervig werden kann. Eigentlich gut geschriebene Dialoge werden teils schrill und zu schnell präsentiert, was natürlich irgendwie zu dem aufgedrehten Charakter passt, aber dann doch schon sehr anstrengend sein kann. Das ist besonders schade, da Durbin in ruhigeren Momenten ein wirklich gutes komödiantisches Timing an den Tag legt.
 


Gerade dank dem wundervollen Ende ist das jetzt nicht tragisch aber eben ein klein wenig ärgerlich. Spaß hat man hier aber trotzdem jede Menge und mit gerade einmal 84 Minuten Laufzeit findet man auch genau die richtige Länge für diese simple aber unterhaltsame Geschichte. Womit die Liste an Komödien aus unserer Oscar-Reihe, mit denen man an düsteren Winterabenden seine Laune aufpeppen kann, um einen weiteren Eintrag gewachsen ist (ebenfalls hierfür empfehlenswert: "Bad Girl", "Ein Butler in Amerika"). Und das nebenbei noch ein Filmstudio gerettet wurde ("E.T.", "Der weiße Hai" und die "Fast & Furious"-Reihe bedanken sich) ist ja auch eine schöne Sache. 

"100 Mann und ein Mädchen" ist aktuell als DVD-Import auf Amazon verfügbar.

 


Trailer zu "100 Mann und ein Mädchen" (Fake, aber besser als nichts)


Ausschnitt: Die Gründung des Orchesters


Ausblick
In unserer nächsten Folge geht es deutlich ernsthafter und auch historischer zu, wenn wir auf den Oscar-Gewinner der 10. Academy-Awards treffen.

Bilder: Copyright

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