The Gray Man

Land
Jahr
2022
Laufzeit
125 min
Release Date
Streaming
Bewertung
6
6/10
von Matthias Kastl / 21. Juli 2022

Lust auf ein kleines Trinkspiel? Jedes Mal, wenn in „The Gray Man“ die Kamera schwungvoll eine neue exotische Location (meist aus der Rubrik europäische Großstadt) präsentiert, darf man sich einen kleinen Schluck gönnen. Das dürfte dann aber auf jeden Fall ein kurzer Abend werden, denn das Regiepaar Anthony und Joe Russo („Avengers: Endgame“, „Cherry – Das Ende aller Unschuld“) hetzt sein Starensemble für ihr neues Netflix-Actionspektakel ganz schön durch die Weltgeschichte. An das große Vorbild “James Bond“ kommt dieser Spionage-Thriller, trotz all der netten Schauwerte, aber dann doch nicht einmal ansatzweise ran. Dafür versprüht der Film in vielen Bereichen einfach zu stark das Flair eines etwas zu protzig wirken wollenden B-Movies, dessen eigentlich tolles Schauspielensemble angesichts einer banalen Story und einer überschaubaren Zahl an coolen Charaktermomenten nur bedingt Fahrt aufnimmt.

Zugegeben, die Hauptfigur des Films ist natürlich an sich schon ein ziemlich nüchtern agierender Zeitgenosse. CIA-Agent Court Gentry (Ryan Gosling, „Blade Runner 2049“, „Drive“) erledigt seine Geheimaufträge, bei denen er im Rahmen eines Spezialprogramms böse Buben aus dem Verkehr zieht, stets eiskalt und leidenschaftslos. Als er eines Tages allerdings zusammen mit seiner Partnerin Dani (Ana de Armas, „James Bond 007 – Keine Zeit zu sterben“, „Knives Out“) einen seiner eigenen Kollegen ausschalten muss, beginnt Court zu ahnen, dass sein Boss Carmichael (Regé-Jean Page) wohl etwas vor ihm zu verbergen hat. Während Court auf der Suche nach der Wahrheit sich an seinen alten Mentor Fitzroy (Billy Bob Thornton, „Monster's Ball“, „Bad Santa“) wendet, setzt Carmichael im Gegenzug den leicht psychopathischen Agenten Lloyd Hansen (Chris Evans, „Captain America: The First Avenger“, „Snowpiercer“) auf seinen etwas zu neugierigen Angestellten an. Es entwickelt sich ein Wettlauf mit der Zeit, bei dem es Court und Dani schon bald mit ganzen Armeen von bis an die Zähne bewaffneten Gegnern zu tun haben.

 

Eigentlich sollte ein Geheimagent ja eher im Hintergrund agieren. Mit diesem verstaubten und viel zu realitätsnahen Bild können die Russo-Brüder allerdings wenig anfangen und präsentieren uns in “The Gray Man“ unter anderem minutenlange Massenschießereien in europäischen Großstädten. Hier wird geklotzt und nicht gekleckert, irgendwie müssen die 200 Millionen Euro Budget ja auch auf dem Bildschirm zu sehen sein. Und so wechseln unsere Protagonisten gefühlt im Minutenrhythmus die Landesgrenze, nur um an der nächsten Location gleich wieder in eine Action-Sequenz zu stolpern. Keine Frage, hier ist mächtig was los. Aber trotz ständig wechselnder Locations und opulent wirkender Action-Setpieces lässt einen das Geschehen am Ende doch merklich kalt.

Wer genauer hinschaut bemerkt nämlich ziemlich schnell, dass “The Gray Man“ eigentlich hinter der hippen Fassade doch eher hohl daherkommt. Das fängt schon bei den vielen Locations an. Deren Einsatz generiert natürlich schon etwas “James Bond“-Flair, allerdings besteht dieser öfter auch nur aus einem netten Kameraschwenk über die jeweilige Stadt, während die Darsteller danach lediglich in einem neutralen Studiosetting agieren.

Auch die zahlreichen Action-Sequenzen wirken oft wie eine kleine Mogelpackung. Denn trotz großem Budget ist man durch deren oft spektakuläre Art und hohe Anzahl oft darauf angewiesen, sich meist mit nicht ganz so überzeugendem CGI durchzumogeln. Mit einer hektischen Schnittfolge und gerne auch mal sehr viel Rauch im Hintergrund versucht man das wiederum zu kaschieren (Beispiel Flugzeugabsturz). Das sorgt aber eben leider auch dafür, dass diese Szenen teilweise undurchsichtig und so oft nur bedingt mitreißend wirken.

Statt Qualität setzt man den Fokus hier also eher auf Quantität. Bezeichnend dafür ist eine riesige Schießerei in der Prager Innenstadt, bei der man teilweise gar nicht mitbekommt wer jetzt hier eigentlich auf wen ballert. Und auch wenn man immer wieder versucht ein paar clevere Einfälle mit einzubauen, so richtig zünden wollen die meisten Kämpfe nicht so richtig. Glücklicherweise gibt es zumindest ein paar Ausnahmen. So ist zum Beispiel eine Verfolgungsjagd in einer Straßenbahn trotz CGI-Overkill schon ziemlich packend geraten. Auch wenn das alles natürlich komplett überdreht und abseits jeder Logik stattfindet, denn sollten europäische Straßenbahnen tatsächlich so schnell und robust sein, müsste man definitiv mal ein ernsthaftes Wörtchen mit den deutschen Verkehrsbetrieben wechseln.

So setzt „The Gray Man“ mehr auf visuellen Overkill als cleveres und spannungsgeladenes Action-Design. Generell sind die Russo-Brüder ja sehr starke Freunde des visuellen Spektakels und so lassen sie auch hier immer wieder schwungvoll Kameradrohnen durch die Settings sausen, um ja viele optische Reize zu setzen. Und ja, das funktioniert zu einem gewissen Grad auch und sorgt kurzweilig für kleine Adrenalinschübe. Problem ist aber, dass diese visuellen Einfälle oft einfach etwas zu beliebig wirken und die Story mit dieser Kreativität mal so gar nicht Schritt halten kann. Diese plätschert nämlich eher seicht dahin und hält so gut wie keine Überraschungen parat.

Glücklicherweise kann das zumindest zum Teil durch den natürlichen Charme der Darsteller ausgeglichen werden. Mit Gosling, Evans und Ana de Armas hat man sich ja gleich die Dienste von mehreren charismatischen Schwergewichten gesichert. Jede dieser Figuren hat auch einen durchaus interessanten Aspekt zu bieten. So sorgt der stoische Auftritt von Gosling für ein paar nette trockene Oneliner, ebenso wie dem selbstverliebt-psychopathisch aufspielenden Chris Evans gerade in den Duellen mit seinem Kontrahenten ein paar witzige Wortduelle vergönnt sind. Und Ana de Armas darf in einem kleinen Running Gag immer wieder das Leben ihres männlichen Kollegen retten.

Viel mehr als das gibt es ehrlicherweise aber für die drei auch nicht zu tun. Da die Story keinerlei Veränderungen für deren Figuren vorsieht, wirkt das alles nach einer gewissen Zeit dann doch auch etwas eintönig. Natürlich, dadurch dass es stets rumst und kracht und dank dem eingebauten Charme der Hauptdarsteller ist das alles irgendwie immer noch halbwegs unterhaltsam. Aber es ist einfach nicht von der Hand zu weisen, dass sich das alles wieder einmal nach einem sehr Algorithmus-gesteuerten und eher oberflächlichen Netflix-Spektakel anfühlt („Red Notice“ lässt grüßen). Einfach ein paar beliebte Darsteller in eine generische Handlung schmeißen, das wird schon.

Das Gefühl, dass dieser Film eher unmotiviert am Netflix-Reißbrett entstanden ist, wird auch durch die Besetzung der Nebenrollen noch einmal untermauert. So wurde Regé-Jean Page vollkommen unpassend mit der Rolle des Bösewichts betraut und vermutlich alleine wegen seiner Rolle im Netflix-Hit “Bridgerton“ für geeignet befunden. Und um die internationale Zielgruppe zu vergrößern verheizt man den indischen Superstar Dhanush mal eben in einer kleinen Nebenrolle, die zwar interessantes Potential bietet, am Ende aber lieblos abgefrühstückt wird. Ob da im Hintergrund vielleicht schon an die nächste internationale Franchise angedacht wird (siehe die Ausgliederung von Matthias Schweighöfers Rolle in „Army of the Dead“)?

So fühlt sich „The Gray Man“ wie ein weiterer eher misslungener Versuch von Netflix an, sich mit viel Geld seine eigene kleine Erfolgsreihe zu basteln. Doch für einen guten Film braucht es mehr als nur ein paar bekannte Gesichter und eine hippe Inszenierung. Zwar reicht all das immer noch irgendwie für einen zumindest halbwegs ordentlichen Filmabend, aber mit Begeisterung eine Fortsetzung herbeisehnen wird sich wohl keiner nach diesen zwei Stunden. Darum wünschen wir uns in Zukunft bitte weniger Reißbrett und mehr Vision von Netflix. Ob der Streaminganbieter angesichts sinkender Abozahlen dazu in Zukunft allerdings den Mut findet, ist wohl eher zu bezweifeln.

Bilder: Copyright

5
5/10

Also der einzige, der wirklich Spaß hatte, war wohl Chris Evans mit seiner Rolle als extravaganter Soziopath. Mit seiner auf erzwungen drolligen Rolle stellte er zwar alle anderen Figuren in den Schatten, er führte den Film jedoch auch auf die totale Klamaukschiene.
Was wiederum dazu führte, dass ich den Film überhaupt nicht mehr ernst nehmen konnte. Allein schon wegen der Prämisse, dass die Agenten unsichtbar und im Verborgenen agieren sollten, im Film aber die Welt mit der Zerstörung ganzer Stadtteile und Massenmorden in Atem gehalten wurde. Von Logik will ich gar nicht anfangen.

Ryan Gosling ist halt Ryan Gosling, aber ich mag ihn irgendwie und seine reduzierte Schauspielkunst passte zur Figur. Zusammen mit Ana de Armas, dem kühlen Humor und der sympathischen Bodyguard-Rückblende geht er noch als halbwegs gelungen aus der Nummer raus.

"Sechs" ist eine Melange aus James Bond, Jason Bourne, Ethan Hunt und John Wick und er wird im Gegensatz zu seinen Vorbildern nicht lange in Erinnerung bleiben. Schade Netflix, es bleibt bei der Formel, Filme zu finanzieren, die gerade eben noch das Prädikat "kann man sich anschauen" bekommen, nur damit man diese ein Mal anschaut. Das Genre muss aber nicht so plump und so dermaßen hohl sein!

Permalink

6
6/10

"The gray man" fügt der Agenten-Filmwelt aus meiner Sicht hauptsächlich bereits Bekanntes hinzu. Visuell trotz viel CGI für mich ganz okay, konnte er meine geringen Erwartungen aufgrund des überwiegend hohen Tempos leicht übertrumpfen.

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.