Hier ist er also. Der Film, auf den alle leidenschaftlichen Anhänger der Kino-Kunst in diesem Jahr gespannter gewartet haben als auf jeden anderen. Da kann Erwartungshaltungs-mäßig auch jeder neue Christopher-Nolan-Streifen einpacken - wenn nach 35 Jahren eines der größten Meisterwerke der Filmgeschichte fortgesetzt wird, dann ist jeder wahre Filmfreund ganz hibbelig vor Aufregung - und auch vor Nervosität, denn: Was, wenn sie es in den Sand gesetzt haben? "Blade Runner" ist ein heiliger Gral, nicht nur für das Science-Fiction-Kino (wer noch wissen muss, wieso, der sei auf unsere Gold-Rezension verwiesen), und von diesem überlebensgroßen Meilenstein eine Fortsetzung zu drehen ist ein bisschen, als würde man es wagen, noch ein neues Kapitel für die Bibel zu schreiben.
Die latenten Befürchtungen, die mit diesem Projekt verbunden waren, wurden immerhin etwas dadurch gemildert, dass Original-Schöpfer Ridley Scott (der diesmal lediglich als Produzent fungierte) die Inszenierung dem einzigen unter Hollywoods jüngerer Regie-Generation überließ, dem man das wirklich zutrauen konnte. Denis Villeneuve ("Incendies", "Prisoners", "Sicario") hatte sich spätestens mit seinem letzten Film, dem SciFi-Meisterwerk "Arrival" als würdig für diesen Job erwiesen. Und dass Original-Drehbuchautor Hampton Fancher trotz seiner inzwischen 79 Jahre auch wieder mit dabei war, ließ ebenfalls hoffen. Nun ist "Blade Runner 2049" endlich da, und durch die Kino-Gemeinde geht ein kollektives Aufatmen. Sie haben es nicht in den Satz gesetzt. Weit davon entfernt. "Blade Runner 2049" ist eine würdige Fortsetzung, ein Werk, das sich in keiner Weise vor seinem Vorgänger verstecken muss, und es verdient hat, von jetzt an im selben Atemzug mit seinem legendären Vorgänger genannt zu werden.
Zum Inhalt indes sollen wir hier ganz offiziell so gut wie gar nichts sagen. Die Bitte seitens der Macher, wirklich gar nichts über den Plot zu verraten, ging sogar so weit, dass die Journalisten bei Betreten des Kinosaals für die Pressevorführung von einer persönlichen Nachricht von Denis Villeneuve auf der Leinwand empfangen wurden, über die Details der Geschichte absolutes Stillschweigen zu bewahren. Also verraten wir auch nur das, was aus der (sehr dürren) offiziellen Inhaltsangabe hervorgeht und sich aus den drei "Prequel"-Kurzfilmen ableiten lässt, die im Vorhinein online veröffentlicht wurden und Ereignisse zwischen dem Ende des ersten und dem Beginn dieses zweiten Teils abdecken (der erste, "Nexus Dawn", findet sich hier, mit Links zu den beiden anderen).
Hauptfigur von "Blade Runner 2049", der dreißig Jahre nach dem Original spielt, ist der Polizist 'K' (Ryan Gosling), der wie sein historischer Vorgänger Rick Deckard als sogenannter Blade Runner entflohene Replikanten jagt, um sie "zur Ruhe zu setzen". Der Industrielle Niander Wallace (Jared Leto) hat inzwischen eine neue Generation von Replikanten geschaffen, die widerstandslos auf Befehle gehorchen und somit keine Gefahr mehr darstellen. Dadurch wurde die Technologie wieder erlaubt, nachdem die Herstellung von Replikanten infolge mehrerer gewalttätiger Aufstände der künstlichen Menschen zeitweise verboten worden war. Unter anderem sorgten die Replikanten 2022 selbst für den "großen Blackout", bei dem nahezu alle digital gespeicherten Daten auf der Welt verloren gegangen sind. Das macht nicht nur das Aufspüren der restlichen, im Verborgenen lebenden Replikanten der Vor-Blackout-Ära sehr schwierig, sondern verkompliziert auch enorm den neuen Auftrag von 'K'. Denn er stößt auf ein Geheimnis, das die Reste der Zivilisation in ihren Grundfesten erschüttern könnte, und dessen Lösung weit in der Vergangenheit liegt. In der Zeit eines gewissen, seit 30 Jahren verschollenen Rick Deckard...
Diese 30 Jahre sind nicht spurlos an der Welt vorbei gegangen, die schon in der damaligen Zukunftsvision des Originals ein Ort war, den jeder, der es sich leisten konnte, bereits in Richtung anderer Welten verlassen hatte. In "Blade Runner 2049" ist die Erde zu einer leblosen, von immer währendem Smog bedeckten Ödnis verkommen, wo ein Satz wie "Ich habe noch nie zuvor einen Baum gesehen" völlig normal zu sein scheint. Doch ebenso, wie Ridley Scott und sein Kameramann Jordan Cronenweth ihrer dystopischen Zukunftsvision anno dazumal einige der betörendsten und ästhetischsten Bilder abrangen, die das Kino jemals hervorgebracht hat, so schaffen es auch Villeneuve und sein skandalöserweise noch immer Oscar-ungekrönter Kameramann Roger Deakins, hier Szenerien und Panoramen zu entwickeln, die von ähnlich atemberaubender Schönheit und Eindringlichkeit sind.
"Blade Runner 2049" denkt die Welt seines Vorgängers dabei in absolut meisterhafter Weise weiter, die visuellen Referenzen an Motive und Ausstattungsdetails des Vorgängers sind so zahlreich, das man sie kaum erfassen kann. Das Ergebnis ist ein absolut außergewöhnliches visuelles Leinwand-Spektakel, die kunstvollsten und großartigsten Bilder, die man dieses Jahr im Kino sehen kann. Weniger als das wäre für eine "Blade Runner"-Fortsetzung auch schlicht nicht genug gewesen, und man merkt diesem Film in jeder einzelnen Sekunde an, wie alle Verantwortlichen von der Kamera über Ausstattung bis zum Set-Design sich geradezu dahin gepeitscht haben, über sich hinauszuwachsen, aus tiefster Ehrerbietung für das Original und in vollstem Bewusstsein, dass ihr Bestes für diesen Film gerade gut genug ist.
Doch nicht nur visuell ist "Blade Runner 2049" eine mehr als würdige Fortschreibung, auch auf inhaltlicher Ebene nimmt der Film die zentralen Themen und Motive seines Vorgängers kongenial auf und entwickelt sie weiter. Die Frage, was den Mensch eigentlich zum Menschen macht bzw. was einen künstlichen Menschen eigentlich noch von einem "echten" unterscheidet, wenn er oder sie doch genauso fühlt, ist hier von Beginn an präsent, nicht zufällig erstmals angedeutet in einer Szene auf einem Dach im Regen. Die Verlässlichkeit und Bedeutung von Identität durch Erinnerungen, die Frage, wann man einem Wesen so etwas wie eine eigene Seele zugesteht, und die unbedingte Sehnsucht wahrhaftig lebendig zu sein auch eines jeden künstlichen Wesens - all diese hochgradig philosophischen Motive setzt "Blade Runner 2049" aus seinem Vorgänger fort, auf teils betörende, teils tieftraurige, und immer sehr kluge Weise.
Der neue "Blade Runner" ist so kompromisslos in seiner Weiterführung von Stil, Motiven, Atmosphäre und Erzählweise des Originals, dass er sich auf geradezu spektakuläre Weise jeder Kommerzialisierung widersetzt. Wohl selten bis nie hat man einen Film gesehen, der derart teuer und aufwendig produziert wurde und sich keine Sekunde einem breiteren Publikum anbiedert, der seinen Zuschauern sogar auch nur eine einzige ausgedehnte Action-Sequenz verweigert. Es ist ein Film von Leuten, die das Original abgöttisch lieben, für Leute, die das Original abgöttisch lieben. Ein Blockbuster für denkende Menschen, nicht für die breite Masse. Und somit eine Multimillionendollar-Produktion, die es im Zweifelsfall billigend in Kauf zu nehmen scheint, an der Kinokasse genauso kolossal abzuschmieren, wie es das Original einstmals tat (bevor der Film dann erst im Nachhinein als das geniale Meisterwerk entdeckt und verstanden wurde, das er tatsächlich war).
Der unbedingte Wille von "Blade Runner 2049", eine nahezu perfekte Fortsetzung (im wahrsten Sinne des Wortes) seines Vorgängers zu sein, wird es Nicht-Kennern des Originals aber auch schwer bis unmöglich machen, einen Zugang zu diesem Film zu finden. Zu viel wird hier vorausgesetzt, zu viele Details könnten auf den unbedarften Zuschauer irritierend oder gar inhaltslos wirken, die das kenntnisreiche Publikum als Referenz an den ersten Film zu lesen weiß (Stichworte: enervierender Psycho-Test, lose Augäpfel, Origami-Tier). Gleichzeitig setzt er seine Informationen so spärlich, dass man trotz der beachtlichen Laufzeit von über zweieinhalb Stunden schon durchgehend sehr konzentriert bleiben muss, um der Geschichte wirklich folgen zu können.
Diese lange Laufzeit ist eindeutig auch der Tatsache geschuldet, dass Villeneuve und seine Crew sich streckenweise zu sehr in ihre eigene Schöpfung verlieben und so sehr in ihren großartigen Set-Entwürfen und -Ideen schwelgen, dass das Erzähltempo im Mittelteil arg zu schleifen beginnt - obwohl es dem Film wahrlich nicht an Erzählstoff fehlt. Ganz frei von Schwächen ist "Blade Runner 2049" also nicht, die Augenfälligste von allen ist Jared Leto als Replikanten-Schöpfer und Quasi-Weltbeherrscher Niander Wallace. Mit einem saftigen Gott-Komplex und einem deutlichen Hang zu egomanischen Monologen augestattet, bleiben seine Szenen eigentlich nur als schwerfällig und etwas zu prätentiös in Erinnerung.
Und trotzdem: "Blade Runner 2049" ist so ziemlich der beste Film geworden, den man sich erhoffen konnte. Ein überwältigendes, monumentales Werk von herausragender handwerklicher und inhaltlicher Brillanz, ein Film mit einem so unbedingten Eigenanspruch an die eigene Kunstfertigkeit und Erhabenheit, wie man ihn heutzutage in Hollywood wohl wirklich nur noch zustande bringt, wenn man sich ganz bewusst in Fußstapfen dieses Ausmaßes bewegt. Kann man sich vorstellen, dass auch in 30 Jahren noch über diesen Film gesprochen wird, und hätte er das verdient? Schlicht und ergreifend: Ja.
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