Rian Johnson ist dieser Tage ja wieder in allerlei Munde – allerdings nicht unbedingt in einem Sinne, der ihm zwangsläufig gefallen dürfte. Denn im Rahmen des Fanservicebuffets „Der Aufstieg Skywalkers“ wird auch sein kontroverser Mittelteil der neuen Star Wars-Trilogie „Die letzten Jedi“ immer noch und wieder diskutiert. Schlussendlich dreht sich diese Diskussion dann oft bei der Sternenkriegerfangemeinde um eine Frage: War bzw. ist Johnson der Richtige für ihre heilige Saga? Dabei könnte man das Ganze auch getrost umdrehen und fragen: Ist diese neue Star Wars-Vermarktungskamp...äh, Entschuldigung, Trilogie überhaupt wert, von Rian Johnson inszeniert zu werden? Denn Johnson ist ja anders als Überfanboy J.J. Abrams durchaus für mehr bekannt als Marketingcoups und Mimikrie und hat mit so coolen Dingern wie „Brick“, „Die Brüder Bloom“ und „Looper“ ziemlich beeindruckende und Spaß machende Genrehybride abgeliefert, an die er jetzt nathlos mit „Knives Out – Mord ist Familiensache“ anknüpft. Genug also des unerquicklichen Geschwätzes um Johnsons Rolle im Sternenkrieg (die ihn schließlich fast fünf Jahre Karriere gekostet haben) und bitte mehr Lobpreisungen für den Einfallsreichtum und die Inszenierungskunst Johnsons, der direkt an den ersten Tagen des Jahres 2020 einen sicheren Kandidaten für die Best-Of-Listen am Jahresende abliefert...
Aufregung in der mondänen Thrombey-Residenz: Familienpatriarch Harlan (Christopher Plummer), erfolgreicher Autor von Krimis, hat offenkundig Selbstmord begangen. Aber etwas hakt bei diesem Fall, was wiederum den renommierten Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) auf den Plan ruft, der zusammen mit Lieutenant Elliot (LaKeith Stanfield) die Ermittlungen aufnimmt. Zudem sich bald herausstellt, dass diverse Familienmitglieder wie Tochter Linda (Jamie Lee Curtis) samt Ehemann Richard (Don Johnson) und Sohn Ransom (Chris Evans), Sohn Walt (Michael Shannon) oder Schwiegertochter Joni (Toni Colette) mit ihrer Tochter Meg (Katherine Langford) eventuell durchaus von einem verfrühten Ableben von Harlan profitieren könnten. Und dann ist da ja auch noch seine persönliche Krankenschwester Marta (Ana de Armas), die von Blanc zu seiner Assistentin in seinen Ermittlungen auserkoren wird. Aber hat sie vielleicht – wie so gut alle hier – auch etwas zu verbergen?
Man kann es an dieser knappen Beschreibung samt illustrer Cast-Liste schon erkennen: Johnson hat sich des Genres des sogenannten Sessel-Detektivfilms angenommen, in der der Ermittler meistens an einem oder sehr wenigen Orten durch Befragung einer Reihe von möglicher Verdächtiger und gemächliche Spurensuche irgendwann den Schuldigen ausmacht. Bekannteste Vertreter dieses Genres sind zwei von Agatha Christies bekanntesten literarischen Helden, Miss Marple und Hercules Poirot. Und an letzteren soll Daniel Craigs Benoit Blanc mit seinem französich klingenden Namen natürlich erinnern, auch wenn Blanc nicht aus Belgien, sondern hier dem Cajun Country von Louisiana entstammt und Craig mit diebischer Freude in der Originalfassung jeden Vokal langzieht wie Südstaatenmelasse. Überhaupt erlaubt sich der Bond-müde Craig ja seit ein paar Jahren den Spaß, flamboyante Nebenfiguren mit ulkigem Akzent zu bestreiten – siehe sein Sprengstoffexperte Joe Bang in Steven Soderberghs „Logan Lucky“. Des ist eine wahre Freude, Craig hier zuzuschauen und dessen Spaß bei der Rolle überträgt sich auch auf den Zuschauer. Gleiches gilt für Chris Evans, der nach den ernsthaft-heroischen Captain America-Abenteuern der letzten Jahre hier launig mal einen echten Kotzbrocken raushängen lässt. Die andere große Entdeckung hier ist die Kolumbianerin Ana de Almas, die ja schon seit Jahren in kleineren Rollen in etwa „War Dogs“ oder „Blade Runner 2049“ zu sehen war und sich hier zum ersten Mal ins Zentrum spielt. Und der Rest der mit bekannten Namen vollgestopften Truppe macht das Beste aus ihren nicht immer mehr als in groben Strichen gezeichneten Figuren.
Zum Plot soll und muss aus Spoiler-technischen Gründen dann schon nichts (oder fast nichts) mehr verraten werden, da „Knives Out“ schon recht bald die ersten Erhüllungen raushaut und danach dann auch nicht mehr auf die Bremse tritt, was die mit diversen Überraschungen gespickte Geschichte betrifft. Falls es mal Action gibt, wird die gezielt am Mainstream vorbei inszeniert so dass man mit – Zitat Filmfigur „die dümmste Verfolgunsjagd, die ich je gesehen habe“ endet. Zwischendrin und drumherum gilt dank der ausgefeilten Geschichte und ihrer stilsicheren, oftmals auch humorigen Umsetzung und dem enormen Spielspaß des Ensembles: Dies ist totale Unterhaltung!
Johnsons Film ist nicht zeigefinger-erhoben moralisch, aber in seiner politischen Attitüde ganz im Hier und Jetzt verankert und zudem sehr intelligent. Johnsons Skript zeigt, wie man geschickt Trump'sche Antieinwandererpolemik und ihre Vertreter karikieren kann, in dem man diese sich selbst in ihrer Arroganz und selbstgerechten Dummheit überführen lässt. Wenn Johnson etwa Don Johnsons schleimigen Richard Drysdale über legale und illegale Einwanderer schwdronieren lässt und er inmitten seines Gequatsches den gerade leergefressenen Kuchenteller geistesabwesend, aber ganz selbstverständlich Marta reicht (die ja ganz eindeutig keine Haushaltshilfe ist), dann ist die bornierte und selbstgerechte Mentalität der reichen Thrombeys/Drysdales ohne großen Kommentar perfekt eingefangen. Und wie sich die diversen Familienmitglieder ständig darin irren, aus welchem Land die angeblich „wie ein Familienmitglied“ behandelte Marta eigentlich kommt und dabei halb Mittel- und Südamerika druchgehen ist zum Thema Ignoranz eigentlich auch schon alles gesagt. Diese Beobachtungen und Spitzen baut Johnson elegant und wie selbstverständlich ein, so dass sie den Krimi- und Ermittlungsplot nicht überstrahlen, aber kongenial ebenfalls ein Sitten- und Klassenporträt aufzeigen.
Zum geschickten Spiel mit den Genrekonventionen, die Johnsons Werk als Autor und Regisseur auszeichnet gehört auch , wie er diese unterläuft, um dann am Ende doch zum erwarteten Endpunkt zu kommen. Während im klassichen Sessel-Detektivfilm die Figuren ihre Alibis bzw. eigenen Versionen der Ereignisse von sich geben, die der bzw. die Detektivin dann am Schluss entlarvt und korrigiert, inszeniert Johnson sein Spiel mit gezinkten Karten von Anfang an als genau das: Während die verschiedenen Familienmitglieder ihre Erinnerungen an den Vorabend von Harlans Selbstmord und seine Geburtstagsfeier preisgeben, hört der Zuschauer ihre geschönten und manchmal auch gelogenen Geschichten, sieht währenddessen aber die unschönere Wahrheit. Man ist als Zuschauer zumindest zeitweise dem jovialen Benoit Blanc ein gutes Stück voraus, was auch einen großen Teil des Spaßes hier ausmacht. Das führt dann zu feinen visuellen Gags, wenn etwa der Hund ein mögliches Beweisstück als Spielzeug anschleppt, was vom palavernden Detektiv aber gar nicht gemerkt wird. Und natürlich hat Johnson für den Schlussteil noch einen ganzen Sack voll kleinerer und größerer Überraschungen und Schmankerl parat, die selbst Genrekenner das ein oder andere Mal kalt erwischen dürften.
Man muss kein Fan der Vorbilder dieses Mordsspaßes sein, um „Knives Out“ zu genießen – aber das kann natürlich helfen. Letztlich ist dieser Film aber ein Film für alle, die sich einen launigen, rundum zufrieden stellenden und intelligenten Filmabend wünschen. „Knives Out“ ist – mit Verlaub – richtig geile Unterhaltung. Da lassen wir dann auch jegliches Filmkritikmesser zu Hause. Das einzige was hier wetzt, sind hoffentlich ordentlich Zuschauer, um sich dieses frühe Highlight des Kinojahrs nicht entgehen zu lassen.
PS: Wer kann, möge sich den Film in seiner Originalfassung anschauen, nicht nur um Craigs fabulösen Akzent zu genießen, sondern auch weil ein Detail der Auflösung nur in der englischen Sprachfassung Sinn macht und die deutschen Synchronautoren vor gehörige Probleme stellen sollte.
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