Der Spinnenkopf

Originaltitel
Spiderhead
Land
Jahr
2022
Laufzeit
106 min
Release Date
Streaming
Bewertung
4
4/10
von Matthias Kastl / 19. Juni 2022

Nach etwa einem Drittel von „Der Spinnenkopf“ äußert die Hauptfigur Jeff laut den Verdacht, dass irgendetwas sich hier nicht richtig anfühlen würde. Da möchte man als Zuschauer am liebsten kurz abklatschen, denn das denkt man sich schon die ganze Zeit. Regisseur Joseph Kosinski und Hauptdarsteller Miles Teller mögen gerade an der Kinokasse mit „Top Gun: Maverick“ für Furore sorgen, doch mit dieser halbgaren Mischung aus Drogendrama und Sci-Fi-Thriller drohen sie direkt wieder jede Menge Sympathien zu verspielen. Weder clever noch unterhaltsam umgesetzt schleppt der Film uninteressante Figuren durch eine Story, deren abgedrehtes Ausgangsszenario eine  deutlich kreativere Herangehensweise gebraucht hätte.

Eigentlich ist ja alles für einen wilden Ritt angerichtet. In einem stylisch eingerichteten Rehabilitationszentrum für Strafgefangene mitten am Meer unterzieht der kumpelhaft auftretende Leiter Steve Abnesto (Chris Hemsworth, „Avengers: Endgame“, „Tyler Rake: Extraction“) seine Schäfchen einem sehr eigenwilligen Spezialprogramm. Den Gefangenen werden dabei unterschiedliche Drogen verabreicht, deren weitreichende Folgen von Steve und dessen jungem Assistenten Verlaine (Mark Paguio) gewissenhaft protokolliert und studiert werden. Auf Knopfdruck wird so zum Beispiel sexuelles Verlangen zwischen Jeff (Miles Teller, „Whiplash“) und Heather (Tess Haubrich) erzeugt, was angenehmer klingen mag als es nachher ist. Vor allem, da Jeff noch immer den Verlust einer alten Liebe beklagt und sich eigentlich eher zur Mitgefangenen Lizzy (Jurnee Smollett-Bell, „Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn“) hingezogen fühlt. Irgendwann dämmert es Jeff allerdings, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann und er beginnt sich zu fragen, was Steve und seine mysteriösen Hintermänner mit diesen merkwürdigen Experimenten eigentlich genau beabsichtigen.

 

Wir wiederum möchten hier gerne die Frage stellen, was eigentlich die Macher dieses Films beabsichtigten. Angeblich ein Herzensprojekt der Drehbuchautoren Rhett Reese and Paul Wernick („Deadpool“) dauerte die Entwicklung des auf einer Kurzgeschichte bestehenden Stoffes ganze zehn Jahre. Das Ergebnis wirkt allerdings wie liebloser Einheitsbrei, den Netflix uns leider viel zu oft in letzter Zeit auf die Speisekarte setzt. Das Grundszenario hat dabei durchaus seinen Reiz, von tiefsinnigen moralischen Fragen bis hin zu einem abgedrehten Sci-Fi-Trip wäre hier so viel möglich gewesen. Stattdessen bekommen wir aber einen uninspiriert wirkenden Thriller, der alle interessanten Ecken und Kanten glattbügelt, um auch ja keine Zielgruppe zu verschrecken.  

Während in der literarischen Vorlage Jeff für den brutalen Mord an einem Freund einsitzt, hat man sich das zum Beispiel für den Film nicht getraut. Stattdessen entscheidet man sich für eine Vorgeschichte, bei der die Sympathien des Publikums für Jeff deutlich weniger stark aufs Spiel gesetzt werden. Den gleichen Trick wendet man auch bei dessen Love-Interest Lizzy an, die in der Kurzgeschichte gar nicht erst vorkommt und hier für die nötige Romantik sorgen soll.

Lizzys wahrer Grund für den Aufenthalt im Gefängnis soll am Ende für einen großen emotionalen Twist sorgen, hinterlässt aber soviel irritierende Fragen, dass diese Enthüllung gleich mal direkt verpufft. Mit dem hölzernen Versuch möglichst nicht zu unsympathische Protagonisten zu schaffen stellt man sich hier selbst ein Bein, auch weil gefühlt alle anderen Insassen des Gefängnisses von einem ganz anderen Kaliber zu sein scheinen. Was angesichts der eher tragischen als skrupellosen Vorgeschichten von Jeff und Lizzy schon die Frage aufwirft, warum die zwei in der Kantine mit Mehrfachmördern am Tisch sitzen.

 

Aber selbst wenn man das sehr konstruiert wirkende Szenario schluckt, was die Macher schlussendlich daraus basteln ist einfach uninspiriert. Tiefgründige moralische Fragen werden nicht wirklich aufgegriffen, auch wenn die Geschichte sie geradezu auf dem Servierteller präsentiert. So muss Jeff zum Beispiel, angelehnt an das berühmte Stanford-Experiment, darüber entscheiden, welche Drogen seine Mitgefangenen erhalten. Doch daraus entstehen dann lediglich viele banale und zu einfach aufgelöste Konflikte und nicht etwa ein packendes moralisches Dilemma. Dem wären die Figuren vermutlich auch intellektuell gar nicht erst gewachsen, denn gerade Jeff kommt doch ziemlich plump daher. Mehrfach wird er durch die Verabreichung der Drogen zum Sex mit Mithäftlingen „gezwungen“. Doch es braucht tatsächlich noch ein weiteres Ereignis, bis er den Schluss zieht, dass dies ja schon irgendwie ein merkwürdiges Rehabilitationsprogramm ist. Ehrlich, das fällt dir erst jetzt auf?

Die mangelnde Reflexion von Jeff ist leider der Todesstoß für die Figur und das blasse Spiel von Miles Teller ihr letzter Sargnagel. Nicht viel besser geht es den meisten Nebenfiguren. Vor allem Jurnee Smollett-Bell und Mark Paguio scheitern daran ihren oberflächlich angelegten Charakteren irgendwie Leben einzuhauchen. Womit wir dann auch zu dem bekanntesten Namen des Ensembles kommen und einem klassischen Fall von Fehlbesetzung. Chris Hemsworth ist ein verdammt charismatischer Schauspieler, vor allem wenn er den coolen Kumpeltyp gibt, der um den ein oder anderen sarkastischen Spruch nicht verlegen ist. Und genau so spielt Hemsworth Steve dann auch. Das ist auch für sich genommen nett anzuschauen und angesichts der restlichen Charaktere freut man sich zumindest etwas Charisma auf dem Bildschirm zu sehen. Aber es passt halt so gar nicht in diesen Film. Sein Bösewicht hat weder etwas Bedrohliches noch tiefgründig Faszinierendes. Stattdessen würde man sich nicht wundern, wenn Steve im nächsten Moment aus dem Raum gehen würde, um mal eben mit paar Kumpels eine Runde zu surfen.

Dass die Gefangenen freien Zugang zu allen Bereichen haben, wo blöderweise auch streng geheime Dokumente zu finden sind, spricht dazu noch eher für die Faulheit der Drehbuchautoren als den Intellekt unseres Gefängnisleiters. Auch dieser Figur fehlt am Ende einfach die nötige Portion Intelligenz, um sie in diesem Szenario glaubhaft als großes bedrohliches Mastermind erscheinen zu lassen. Und wenn sich Steve und Jeff nach einem dramatischen Ereignis gemeinsam mit Drogen das Hirn freipusten, dann hat das eher was von einer verplanten Kiffer-WG als einem packenden Duell zwischen cleverem Antagonisten und mutigem Held. Hätte man komplett auf die Humorschiene gesetzt, hätte die Figur des Steve vielleicht prima funktionieren können. Aber da der Rest des Films sich so unglaublich ernst nimmt, wirkt unser launiger Sunnyboy-Bösewicht einfach komplett fehl am Platze. Und das Ganze wie ein billiger Versuch einfach nur das Marketingpotential des Films zu erhöhen.

Um es auf den Punkt zu bringen, dem "Spinnenkopf" fehlt vor allem eine klare und kompromisslos umgesetzte kreative Vision. Gerade wenn man sieht, was Regisseur Kosinski aus einer relativ simplen Prämisse wie bei „Top Gun: Maverick“ rausgeholt hat, ist dessen eher biedere Inszenierung eine weitere große Enttäuschung. Wenigstens das Setdesign ist gelungen, aber Kosinski schafft es nicht, dass sich darin eine packende Atmosphäre bildet. Im Gegenteil, während der Film lange Zeit wenigstens „nur“ eintönig daherkommt, wirkt das Ende sowohl vom Drehbuch als auch der Inszenierung her wie ein billiges B-Movie.

Nur einmal trifft „Der Spinnenkopf“ tatsächlich ins Schwarze. So wünscht sich einer der Protagonisten eine Droge mit der man Dinge vergessen könnte. Dem stimmen wir nur zu gerne zu und wüssten auch schon für welche 106 Minuten Lebenszeit wir diese nutzen könnten.

Bilder: Copyright

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