
"Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich" sagt ein amerikanisches Sprichwort, und Wes Anderson, der Sonderling im Maßanzug, tritt jetzt den Beweis an. "Der fantastische Mr. Fox" ist ganz was Anderes - und doch unverkennbar und hundert Prozent Anderson. Dass sich irgendwas ändern musste, war spätestens beim letzten Film klar. "The Darjeeling Limited" spaltete - auch hier bei Filmszene - die Meinungen. Für die einen war der Film der endgültige Beweis, dass sich Andersons Kreativität auf nur eine einzige, immer gleiche Geschichte mit immer gleichen Figuren bezieht und er sich wirklich nur noch selbst wiederholt. Für die anderen - und dazu ist auch der Rezensent zu zählen - war das Indienabenteuer dagegen ein Höhepunkt von Andersons bisherigem Schaffen, wurden doch hier noch mal alle Andersonschen Topoi zusammengeführt: die lakonischen und neurotischen Kinder auf der Suche nach Vaterfiguren und Familienzusammenhalt, der Kitsch, der Einsatz von geborgter Film- und Popmusik, in der er einem Quentin Tarantino in Nichts nachsteht. Aber es war auch klar: Nochmal genau dieselbe Geschichte, wieder vorgetragen von seinem Stamm-Ensemble, das konnte es nicht sein.
Also hat Anderson tatsächlich mal was wirklich anderes gemacht, nämlich seinen ersten Animationsfilm mit sprechenden Tieren. Wer aber jetzt an lustige Abenteuer der Marke Pixar oder Dreamworks denkt, liegt natürlich komplett falsch. Denn Anderson kann natürlich nicht aus seiner Haut und so ist auch "Der fantastische Mr. Fox", geschrieben zusammen mit Regiekollege und Kumpel Noah Baumbach ("Der Tintenfisch und der Wal", "Greenberg") vollgestopft mit Andersons Obsessionen, seiner Vorliebe für Cordanzüge, für die Musik der Beach Boys, für bunte Nostalgie, die sich hier in der gewollt unperfekten Stop-Motion-Technik niederschlägt.
Auch daher ist man natürlich, wenn man an die makellosen Oberflächen eines "Wall-E" denkt, hier sehr gut beraten, nicht mit den falschen Erwartungen heranzugehen. Gerade in schnellen Szenen sehen die ruckelnden Puppen doch ziemlich falsch aus. Dafür hat diese Technik aus der filmischen Urzeit andere Vorteile: Selten haben Tierfiguren eine so ausdrucksstarke Gestik und vor allem Mimik gehabt. Anhand dutzender Puppen wird hier den tierischen Protagonisten so viel Leben eingehaucht, dass es an ein kleines Wunder grenzt. Und wenn sich das Auge erst mal an die knallbunte Retrowelt hier gewöhnt hat - wofür man zweifellos zwei, drei Minuten braucht - ist man voll drin und fühlt sich fast so heimisch wie auf Pandora.
Was ebenfalls neu und anders ist: Anderson hat sich zum ersten Mal anstatt eines Originaldrehbuchs an die Adaptation einer fremden Vorlage gemacht und sich dafür das zumindest im englischsprachigen Raum sehr bekannte Kinderbuch "Der fantastische Mr. Fox" von Roald Dahl ausgesucht. Dahls schwarzer und hintersinniger Humor war ja auch in Kinderbüchern wie "Charlie und die Schokoladenfabrik" oder "Matilda" zu finden, wurde in deren Verfilmungen aber meist abgemildert.
Dahl-Puristen sollten hier auch vorsichtig sein, denn gefiltert und abgeändert durch Andersons Sensibilität hat der Film mit dem Buch kaum mehr als die Grundlage gemeinsam: Herr Fuchs (im Original gesprochen von George Clooney) hat seiner Frau (Meryl Streep) während ihrer Schwangerschaft versprochen, die immer gefährlicheren Raubzüge auf den umlegenden Höfen der Bauern Bean, Boggins und Bunce zu unterlassen. Mittlerweile ist Sohn Ash (Jason Schwartzman) ein rebellischer Teenager und Herr Fuchs langweilt sich im Ruhestand als Schreiber einer Zeitungskolumne. Zeitgleich mit der Ankunft von Ashs Cousin Kristofferson (Eric Anderson) beginnt Fuchs, Pläne für seinen Rückzug vom Rückzug zu schmieden. Sein Masterplan sieht vor, alle drei Bauernhöfe zu berauben. Und während die ersten Beutezüge erfolgreich sind, wird die Lage bald ernster. Seine Frau beginnt, Verdacht zu schöpfen und die Bauern rüsten auf, um des Fuchses habhaft zu werden. Bald sind nicht nur seine Familie, sondern alle Waldbewohner in Gefahr und der fantastische Herr Fuchs muss seine ganze Cleverness aufbieten, um sie aus der brenzligen Lage zu befreien.
Nicht nur aufgrund der für ihre Augen wohl merkwürdigen Stop-Motion-Technik ist der Film nichts für die ganz Jungen, die auch mit den teils sehr ernsten, sogar philosophischen Dialogen nichts werden anfangen können. Sagen wir es so: Ein "Shrek"-ähnliches Feuerwerk an Popkulturwitzen ist hier nicht zu erwarten, sowas interessiert Anderson ja auch gar nicht. Stattdessen gibt es hier eine sehr individualisierte, verschrobene Welt voller liebevoller Details. Und die eigentlich altbackene Technik erweist sich, wie bereits erwähnt, als wahrer Trumpf für die Ausdruckskraft des "Schauspiels" der tierischen Protagonisten. Gerade die Emotionen von Herrn und Frau Fuchs werden in den Großaufnahmen völlig überzeugend dargestellt.
Dazu kommt noch die tolle Leistung der Synchronsprecher, für deren Würdigung allein es sich schon lohnt, sich den Film im Original anzusehen. George Clooney hat ja sowieso die vielleicht beste Phase seiner Karriere erreicht und fügt seiner Glanzleistung in "Up In The Air" und dem amüsanten Chargieren im spinnerten "Männer, die auf Ziegen starren" nun eine weitere Paraderolle hinzu. Sein Herr Fuchs ist wie auch sein Ryan Bingham ein "smooth operator", man darf also durchaus getrost von Typecasting sprechen. Aber Clooney bringt den unerschütterlichen Optimismus bis hin zur puren Egozentrik in auch den schlechtestmöglichen Situationen eben so gut rüber wie niemand anders. Meryl Streep ist ebenfalls bemerkenswert und scheint überhaupt im Herbst ihrer Karriere soviel Spaß zu haben wie selten zuvor. Den mauligen Teenager gibt niemand besser als Jason Schwartzman, und natürlich sind auch Bill Murray und Owen Wilson hier wieder dabei. Auch Klaus Daimler alias Willem Dafoe ist mit von der Partie als derangierte Psychopathenratte, zugegeben kein sehr weiter Sprung von Dafoes typischen Rollen. Anderson hat also wieder sein Ensemble um sich gescharrt, mit überzeugendem Ergebnis.
Tribut zollen muss man auch hier wieder dem enormen Ideenreichtum des Regisseurs. Damit kann er ja beizeiten eine Geschichte ausfransen, wie etwa im wenig stringenten "Die Tiefseetaucher", und auch "Der fantastische Mr. Fox" kann, wie eigentlich alle Andersonfilme, eine gewisse Episodenhaftigkeit nicht vermeiden. Aber es sind hier zweifellos so viele nette Ideen versammelt, dass man über den einen oder anderen etwas hastigen Übergang hinwegsieht.
Das fängt schon mit der Darstellung der tierischen Protagonisten an, die anders ist als in jedem anderen Film mit sprechenden Tieren. Zum einen sind die Tiere hier komplett vermenschlicht, zum anderen baut Anderson immer wieder Erinnerungen ein, dass es sich eben doch um Tiere handelt. So bedankt sich Herr Fuchs distinguiert und höflich für das ihm von seiner Frau zubereitete Frühstück, nur um es dann in Raubtiermanier schmatzend innerhalb von Sekunden herunterzuschlingen, und als sich die Diskussion zwischen Fuchs und Familienanwalt Dachs (Bill Murray) erhitzt, stehen sie sich schließlich fauchend und in Drohgebärden gegenüber. Diese Momente passen gut in einen immer wieder durchaus ins Ernste umschlagenden Film, dessen Großteil durch eine Belagerungssituation geprägt wird. Ernst und Spaß, Wort- und Bildwitz, hier wechselt sich alles ab.
"Der fantastische Mr. Fox" ist das, was er im Titel verspricht: fantastisch. Bessere Unterhaltung findet man zurzeit nirgends. In knackige 80 Minuten hat Wes Anderson soviel an lustigen Ideen, interessanten Details und variierenden Stimmungen gepackt, dass der Film einer großen Wundertüte gleich kommt. Für jeden, der Andersons Filmen etwas abgewinnen kann, ist hier etwas dabei. Am nächsten kommt man vergleichsweise noch mit Nick Parks "Wallace and Gromit"-Universum und dessen ebenfalls genialem Mix aus Slapstick und hintergründigem Witz. "Der fantastische Mr. Fox" ist trotzdem ein Film wie kein anderer, und das ist hier ausdrücklich als Kompliment und Empfehlung gemeint. Schlaue Füchse lassen sich diesen Film jedenfalls nicht entgehen.
Neuen Kommentar hinzufügen