Mein Puls schlägt 30 über normal, meine Hände zittern leicht, ich bin nicht in der Lage, einen zusammenhängenden Satz zu artikulieren, mein zerebraler Kortex rutscht langsam an seinen angestammten Platz zurück, meine visuellen Nerven nehmen versuchsweise den normalen Betrieb wieder auf, und meine linke Gehirnhälfte versucht verzweifelt dem Strom an zu interpretierenden Bildern und Eindrücken Herr zu werden, der unaufhörlich von der rechten Gehirnhälfte herüberströmt. Ich habe so eben "Matrix" gesehen.
Neo: "Was ist die Matrix?"
Morpheus: "Leider kann man nicht erklären, was die Matrix ist."
Naja, so ein bißchen schon. Die Matrix ist eine virtuelle Realität, von Maschinen in unsere Gehirne gepflanzt um den Eindruck zu erwecken, daß wir am Ende des 20. Jahrhunderts leben, während wir in Wirklichkeit im Dauerkoma dahin vegetieren und als vollbiologische Energiezellen herhalten. Seid ihr mit mir? Wenn nicht, macht auch nichts. Thomas "Neo" Anderson schnallt es auch nicht sofort. Er ist ein Berufsprogrammierer, der des nachts ein Zweitleben als Monster-Hacker führt. Doch dann hackt sich jemand in seinen Computer, stellt die Frage "Was ist die Matrix?", erteilt ihm Befehle und auf einmal erhält er mysteriöse Telefonanrufe. Und bevor der gute Thomas so richtig kapiert, was überhaupt abgeht, wird er von geheimnisvollen Agenten beschattet, von einer Untergrundorganisation mehr oder weniger entführt und auf sehr direkte Weise mit etwas konfrontiert, was die Realität sein soll. Und die ist wahrlich nicht leicht zu verdauen.
Eine dreiviertel Stunde haben sowohl Neo als auch der Zuschauer Zeit, halbwegs zu kapieren, was es mit der Matrix auf sich hat. Wer dann noch nicht dahinter gestiegen ist, wird es wahrscheinlich nicht mehr raffen, aber das macht nichts. Denn jetzt geht es erst richtig los. Unter der Führung des Widerstands-Gurus Morpheus (Lawrence Fishburne) und seiner heißkalten rechten Hand Trinity (Carrie-Anne Moss) wird Neo auf seine Aufgabe vorbereitet. Denn Morpheus hält ihn für den Auserwählten, der laut Prophezeiung die Menschheit von der Plage der Maschinen befreien kann. Wer hier Parallelen zu Jesus Christus vermutet, liegt gar nicht falsch. Aber ist Neo wirklich der Auserwählte? Das Orakel sagt nein. Aber was wissen Orakel denn schon.
"Matrix" ist nicht umsonst zum ersten großen Blockbuster des Jahres avanciert. Es kommt selten genug vor, daß wir etwas wirklich neues zu sehen bekommen, aber hier ist es mal wieder so weit. Es ist zweitrangig, ob man der Story folgen kann, früher oder später hört man mit dem Denken sowieso auf, weil man sonst nicht mehr genug Hirnkapazität frei hätte, um die visuellen Eindrücke zu verarbeiten. "Matrix" kommt mit einer Bilderflut daher, die sich zwar aus bekannten Versatzstücken zusammensetzt, aber diese allesamt neue variiert. Kung-Fu wie aus dem besten Bruce Lee-Film und eine Zeitlupenverwendung die noch coooooler ist als die von John Woo, und alles getoppt von "flo-mo", einer Technik aus japanischen Animees. Dabei scheint ein Objekt in der Bewegung zu verharren, während die Kamera um es herum fährt. Zeit und Schwerkraft scheinen aufgehoben. Klar, als Zeichentrick kein Problem. Aber wie macht man das mit Keanu Reeves?
Wir beobachten Genies bei der Arbeit. Larry und Andy Wachowski, die Autoren und Regisseure von "Matrix", haben bisher erst einen Film gemacht, "Bound" (s. Rubrik "Videotip"). Jeder, der diesen Film gesehen hatte, konnte das zweite Werk der Wachowski-Brüder kaum abwarten. Hier ist es nun, und wenn "Bound" ein krasses Erlebnis war, dann muß man für "Matrix" langsam neue Begriffe suchen. Wen interessiert es denn noch großartig, daß Keanu Reeves eigentlich nur als Ikone herhält, daß Lawrence Fishburne als einziger in der Lage ist, so etwas wie Schauspielkunst zu zeigen, und daß die bösen Jungs (bzw. Programme) im üblichen und recht einfallslosen MiB-Dress daher kommen, wenn man sowieso kaum weiß, wo man hingucken soll?
Knallharte SciFi-Fans könnten etwas enttäuscht darüber sein, daß ein Film, dessen Anfang unser grundlegendes Verständnis von Realität in Frage stellt, sich in der zweiten Hälfte zu einem reinen Actionfilm entwickelt. Aber es geht hier letztendlich um das Erlebnis dieser anderen Realität, nicht um ihre Hintergrundgeschichte. Als geklärt ist, was die Matrix ist, läßt man die Matrix Matrix sein und gönnt sich ein bißchen Spaß mit ihr. Denn, wenn das nicht die Realität ist, dann kann man hier doch ein paar echt coole Sachen abziehen, oder?
Was soll man dazu noch sagen? Es ist innovativ, revolutionär, verwirrend, beeindruckend. Hintergründig, wenn man beim Gucken noch Denken kann, ein visuelles Nirvana, wenn man das nicht mehr schafft. Aber das Denken kann man nachholen. Etwa eine Stunde später. Aber solange sollte man die Post-Movie-Dröhnung schon auskosten. Wer weiß, wann sie das nächste Mal wiederkommt. Andererseits, das Ende ist erst der Anfang ...
F§$& STAR WARS, this is the Bomb, Baby!!!!
P.S.: "Bound"-Fans werden einen alten Bekannten wieder treffen. Und wer wirklich bis zum Schluß wartet, kriegt auch noch ein geheimes Passwort verraten ...
Originaltitel
The Matrix
Land
Jahr
1999
Laufzeit
124 min
Genre
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Warner Bros.
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