MOH (120): 14. Oscars 1942 - "Die kleinen Füchse"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge stand mit "Citizen Kane" eines der großen Meisterwerke der Kinogeschichte auf dem Speiseplan, doch auch heute erwartet uns Gourmet-Kino – vor allem dank einer wieder mal großartigen Bette Davis.
Die kleinen Füchse

Wenn zu Beginn der Credits von "Die kleinen Füchse" die Namen Bette Davis, William Wyler und Gregg Toland über die Leinwand flimmern, dann stellt sich bei mir unweigerlich Vorfreude ein. Nicht nur, weil hier ein begnadeter Kameramann, ein berühmter Regisseur und eine Hollywood-Ikone angekündigt werden, sondern auch, weil mich gerade die letzte Zusammenarbeit von Davis und Wyler ("Das Geheimnis von Malampur") ziemlich begeistert hatte. Und wir alle werden nicht enttäuscht, denn sowohl Davis als auch Wyler zeigen sich hier in absoluter Höchstform und servieren uns gerade in der letzten halben Stunde einen cineastischen Leckerbissen, dessen düstere Auslegung des American Dream in einem wirklich packenden Finale mündet.
"Die kleinen Füchse" – das klingt ja irgendwie niedlich. Bezieht sich hier aber auf ein Bibelzitat, bei dem eben jene Füchse symbolisch für zerstörerische Kräfte stehen, die von innen langsam eine Gesellschaft aushöhlen und das Gute an der Entfaltung hindern. Anfang des 20. Jahrhunderts ist damit die Habgier der Südstaatenfamilie Hubbard gemeint, deren Brüder Ben (Charles Dingle) und Oscar (Carl Benton Reid) mit einer Beteiligung an einer Baumwollspinnerei das große Geld wittern. Für die notwendigen finanziellen Mittel ist man aber auf das Ersparte des herzkranken Schwagers Horace (Herbert Marshall, "Der Auslandskorrespondent") angewiesen, der aktuell Entspannung im fernen Chicago sucht. Dessen Ehefrau Regina (Bette Davis, "Jezebel – Die boshafte Lady", "Hölle, wo ist dein Sieg?") möchte sich auch ein Stück vom Kuchen sichern und lockt mit unfreiwilliger Hilfe ihrer Tochter Alexandra (Teresa Wright) diesen zurück in die Heimat. Doch zum Leidwesen vieler scheint Horace das Prinzip von Profit um jeden Preis inzwischen eher skeptisch zu sehen – aber diese Flausen wird man ihm ja sicher austreiben können, oder nicht?

In "Die kleinen Füchse" steckt weit mehr als nur ein kleiner Funken Kapitalismuskritik. Regina, Ben und Oscar interpretieren den American Dream hier sehr deutlich vor allem als Chance, sich selbst auf Kosten anderer zu bereichern. Dass man für so eine Plantage zum Beispiel lokale Arbeiter zu einem Hungerlohn einstellt, versteht sich von selbst. Keine sympathische Truppe, aber die Direktheit, mit welcher der kühle Business-Talk hier betrieben wird, hat irgendwie zugleich etwas Erfrischendes wie Faszinierendes. Zumal bei Regina noch eine weitere Ebene hinzukommt. Als Frau möchte sie sich nämlich auch gegenüber dem Patriarchat behaupten, was der Figur einen ziemlich modernen Anstrich verleiht. Sympathischer macht es sie aber nicht, denn für die neue moralische Integrität ihres Mannes hat sie nur Verachtung übrig.
Das ist ja schon mal eine ziemlich interessante Grundkonstellation, die wir in dieser Art bisher noch nicht in unserer Oscar-Reihe hatten. Allerdings braucht die Geschichte etwas, um ins Rollen zu kommen. Das Szenario wird anfangs ein klein wenig holprig etabliert und wirkt zunächst noch etwas zu abstrakt. Das lässt sich jedoch leicht verschmerzen, denn die beiden größten Stärken des Films laufen schon von Beginn an auf Betriebstemperatur. Da wäre zum einen Star-Regisseur William Wyler ("Ben Hur"), der schon in Werken wie "Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds" und "Das Geheimnis von Malampur" viele toll choreografierte Szenen geliefert hatte. Im Gegensatz zu letzterem Werk wirkt "Die kleinen Füchse" allerdings deutlich weniger „moody“ (trotz einer Art Femme fatale gibt es optisch hier jetzt kaum Film-Noir-Flair). Was auch daran liegt, dass ein Großteil der Geschichte hier im visuell eher unspektakulär eingerichteten Anwesen der Hubbards spielt.

Trotzdem ist aber nahezu jede Einstellung hier ein kleines Gedicht, denn Wyler positioniert seine Figuren immer so clever im Raum (im Fachjargon spricht man von "Blocking“), dass die Szenen oft nur so vor Spannung knistern. Bei jeder Einstellung spürt man dabei, dass sich hier genau Gedanken bezüglich ihrer Wirkung gemacht wurde. Diese visuelle Sorgfalt überrascht nicht angesichts der Tatsache, dass wie bei "Citizen Kane" auch hier wieder der großartige Kameramann Gregg Toland für die Bilder verantwortlich ist. Und mal wieder eindrucksvoll zeigt, dass man keine großen Schauwerte braucht, um fesselnde Bilder zu schaffen.
Im Mittelpunkt des stets perfekt platzierten Figurenkarussells steht Regina und damit die zweite große Stärke des Films. Langsam wird es ja fast langweilig, Bette Davis schon wieder in dieser Reihe in den Himmel zu loben. Doch hier ist sie gefühlt sogar noch mal einen Ticken besser als bei ihren vorherigen meist bereits schon unglaublich fesselnden Darbietungen. Davis spielt die Figur so kühl und durchtrieben, dass man seinen Blick einfach nicht von ihr abwenden kann. Und doch ist sie nie klischeehaft, sondern immer interessant, weil ihre Kälte von einer gewissen Verletzlichkeit durchzogen ist. Die Figur wirkt unglaublich komplex, obwohl die Dialogzeilen auf dem Papier das gar nicht so richtig hergeben, Davis aber eben locker mit Mimik und Gestik nachschärft. Regina ist dabei wieder eine dieser typischen "dunkleren" Davis-Rollen, die kaum eine andere Schauspielerin ihrer Zeit freiwillig übernommen hätte, geschweige denn so brillant hätte spielen können.

Je weiter der Film voranschreitet, desto kühler und packender wird diese Regina – dank eines Drehbuchs, das in der zweiten Hälfte großartige prickelnd-böse Machtspielchen bereithält und Davis damit eine Steilvorlage gibt, die diese für eine absolut begeisternde Performance nutzt. Besonders die Dialoge zwischen Regina und Ben stechen dabei heraus. Beide sind zwar nur am eigenen Vorteil interessiert, bewundern aber insgeheim die Skrupellosigkeit des jeweils anderen, was zu einigen wundervollen, ironisch-bissigen Wortgefechten führt.
Glücklicherweise ruht sich der Film auf der schauspielerischen Meisterleistung seiner Hauptdarstellerin aber nicht aus. Während sich die „Füchse“ gegenseitig bekriegen, bekommen auch die bemitleidenswerten „Lämmer“ in diesem Ränkespiel ihre Aufmerksamkeit. Sozusagen als Gegenentwurf zu Regina agiert hier Oscars gutherzige, aber naive Ehefrau Birdie. Sie wird von niemandem ernst genommen, schon fast gemobbt und steht stellvertretend für den Rest des "einfachen Volkes", das bei dieser Auslegung des Kapitalismus unter die Räder gerät. Der Film greift genau das immer wieder geschickt auf und nutzt auch dafür wieder Blocking. Wenn unsere Business-Gang im Vordergrund Tacheles redet, sitzt still in der Ecke eine an den Rand gedrängte Birdie. Und wenn diese später dann auch noch mit der Frage konfrontiert wird, wieso sie ihren Mann eigentlich geheiratet hat mündet das in einem sehr berührenden und nachdenklich stimmenden Moment.

Ein wenig erinnerte diese Kapitalismuskritik dabei in ihrer Art an "Früchte des Zorns" und auch hier fragt man sich, wieso die Zensurbehörde damals nicht einschritt. Denn alles, was damals auch nur entfernt einen Hauch Kommunismus versprühte, kam normalerweise auf einen strengen Prüfstand. In diesen Fall wurde das Drehbuch aber durchgewunken, was gerade angesichts der brillanten letzten halben Stunde ein großes Glück ist. Hier fallen alle Masken, und gerade Wyler und Davis drehen mal so richtig auf. Hier schaffen es nicht nur Worte, sondern sogar das einfache Nichtstun einer Figur (wer den Film sieht, weiß genau, welche Szene gemeint ist), einem einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen. Und dann findet der Film im Gegensatz zu "Das Geheimnis von Malampur" auch noch das perfekte Schlussbild.
Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann sind es am Ende nur ein paar nicht so ganz funktionierende Nebenfiguren. Vor allem ist es schade, dass ein Handlungsstrang rund um Reginas Tochter nie so richtig Fahrt aufnimmt. Deren eigentlich durchaus interessant angelegter Coming-of-Age-Subplot scheitert an einer Schauspielerin, die dieser Aufgabe schlicht nicht gewachsen ist. Ebenso wie Dan Duryea der Darstellung von Oscars Sohn Leo, der einfach zu theatralisch-naiv gespielt wird. Das bedeutet dann ein paar kleinere Abzüge in der B-Note, ein packendes Filmerlebnis bleibt "Die kleinen Füchse" aber trotzdem. Und der größte Wermutstropfen besteht hier dann auch vor allem darin, dass Wyler und Davis danach nie wieder zusammengearbeitet haben.
"Die kleinen Füchse" ist aktuell als Import-Blu-ray auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films.
Szene: Die Business-Gang feiert, im Vordergrund sitzt teilnahmlos Birdie. Es lohnt sich mal auf das Blocking der Szene zu achten und wer hier alles einen Drink serviert bekommt – und wer nicht. Einfach tolles Storytelling.
Ausblick
In unserer nächsten Folge glänzt wieder die weibliche Hauptrolle, auch wenn diese einen deutlich schwächeren Film über die Ziellinie tragen muss.
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