MOH (121): 14. Oscars 1942 - "Das goldene Tor"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hatte uns Bette Davis verzaubert, nun darf eine andere Hollywood-Ikone ihren Charme spielen lassen – ist dabei aber ein bisschen auf sich allein gestellt.
Das goldene Tor
Was macht einen großen Star aus? Vor allem die Fähigkeit, selbst einen eher durchschnittlichen Film im Alleingang auf ein höheres Niveau zu heben. Genau das gelingt Olivia de Havilland in "Das goldene Tor". Die Romanze zwischen der von ihr gespielten Emmy und ihrem Herzensmann Georges ist über weite Strecken nicht besonders clever geschrieben oder inszeniert. Doch Havilland verleiht ihrer Figur eine charismatische Naivität, der man sich nur schwer entziehen kann – und macht den Film so am Ende unterhaltsamer, als man es zunächst erwarten würde.
Schwieriger als zunächst erwartet gestaltet sich auf jeden Fall der Plan des rumänischen Gigolos Georges Iscovescu (Charles Boyer, "Hölle, wo ist dein Sieg?", "Ruhelose Liebe"), einfach über die Grenze von Mexiko in die USA auszuwandern. Gestrandet in einem trostlosen Grenzstädtchen wartet er gemeinsam mit anderen Ausreisewilligen im heruntergekommenen Hotel Esperanza gefühlt nun schon ewig auf ein Visum. Bei einem zufälligen Treffen mit seiner ehemaligen Tanzpartnerin Anita (Paulette Goddard, "Der große Diktator") erfährt Georges jedoch, dass eine Hochzeit mit einer Amerikanerin diesen Prozess deutlich beschleunigen könnte. Das "Opfer“ ist schnell gefunden: die schüchterne, sich nach einer Beziehung sehnende Lehrerin Emmy (Olivia de Havilland, "Unter Piratenflagge", "Vom Winde verweht"). Ahnungslos läuft diese dann auch direkt in die Liebesfalle, doch ein misstrauischer Inspektor (Walter Abel) und Emmys ganz eigener Charme bringen Georges’ Plan schon bald gehörig ins Wanken.
Das Cleverste am Drehbuch von "Das goldene Tor" ist dessen Beginn. Hier schmuggelt sich Georges in die Paramount-Filmstudios, um einem der dortigen Regisseure für einen kleinen Obolus seine Geschichte, also die des Filmes, anzubieten. Was der Film dann als Ausgangspunkt für die in einer langen Rückblende erzählte Hauptstory nutzt. Der Clou an dem Beginn: Der Regisseur, mit dem Georges dort spricht, ist Mitchell Leisen, der tatsächliche Regisseur von "Das goldene Tor". Und wem das noch nicht genug Meta ist: Georges trifft Leisen am Filmset eines Streifens, den Leisen tatsächlich in dem Jahr inszenierte ("Ich wollte Flügel"). Und wir werden Zeuge einer echten Szene dieses Filmes, die so tatsächlich auch gedreht wurde – inklusive der Original-Schauspielerin (Veronica Lake) daraus. Was für ein wundervoller kleiner Gimmick.
So etwas Kreatives erklärt sich dann vielleicht auch mit der Tatsache, dass einer der Drehbuchautoren ein gewisser Billy Wilder ("Boulevard der Dämmerung", "Das Appartement") war. Der hat allerdings in Interviews nur zu gerne darauf verwiesen, dass er nur mäßig positive Erinnerungen an diesen Film hat. Wilder und seine Drehbuchkollegen kollidierten nämlich vor allem mit dem Ego des Hauptdarstellers Charles Boyer, der gegen Ideen des Autorenteams Sturm lief. Allen voran bei einer geplanten Szene, in der Boyer sich auf ironische Art mit einer Kakerlake unterhalten sollte – was Boyer weder clever noch zuträglich für das eigene Image als eleganter Gentleman befand.
Boyer rebellierte und die Szene wurde schließlich gestrichen. Was man schon ein wenig nachvollziehen kann, wenn man andere Werke dieses Schauspielers gesehen hat. Ich hatte mich ja sowohl bei "Hölle, wo ist dein Sieg?" als auch "Ruhelose Liebe" an der etwas zu polierten Art von Boyer gestört. Was vor allem an dessen oft einfach einen Ticken stark betont wirkendem französischem Akzent liegt (zu seiner Verteidigung: Boyer war Franzose, aber gefühlt säuselt er diesen einfach stets zu romantisierend daher). Im Film wird der Akzent übrigens mit einem längeren Aufenthalt der Figur in Frankreich begründet. Für Boyers perfektes Image war es vermutlich schon Risiko genug, dass er hier zu Beginn niedere Motive für sein Interesse an Emmy hat, da brauchte es nicht noch ein Zwiegespräch mit einer Kakerlake.
In gewisser Weise ist Boyer auch hier wieder eher ein kleiner Schwachpunkt. Wobei das aber auch an einem Drehbuch liegt, das ihm nicht gerade die cleversten Manipulationskünste zugesteht. In Kombination mit Boyers etwas künstlichem Spiel ist es so jetzt nicht wirklich große Unterhaltung, ihm beim Werben um Emmy zuzuschauen. Wobei das glücklicherweise relativ schnell erfolgreich ist und der Film sich dann mehr darauf konzentriert, daraus Stück für Stück eine echte Romanze zu basteln. Auch die gewinnt aber erst langsam an Charme dazu und wird dazu von ein paar weiteren Immigrationsschicksalen im Hotel Esperanza flankiert, die jetzt auch nur semi-überzeugend daherkommen. Da wird doch viel mit Klischees und nur manchmal erfolgreichem Humor jongliert, sodass der Versuch, der Sehnsucht nach dem American Dream etwas Tiefgründiges abzugewinnen, nicht so richtig überzeugend gelingt. Dafür kommt der Film dort dann doch einfach etwas zu simpel daher.
Simpel ist ein gutes Stichwort, denn man macht es sich hier manchmal schon sehr einfach. Was man schon an vielen kleinen Dingen sieht, wie dem allzu symbolischen Namen des Hotels (Esperanza = Hoffnung) oder der Tatsache, dass man an die Grenze einfach einen Typen mit Sombrero setzt, damit das irgendwie nach Mexiko aussieht. Wie überhaupt jeder Mexikaner hier einen Sombrero aufhat, was weder heute noch damals in dieser Masse der Fall war. Spannender fallen da schon die amerikanischen Nebenfiguren aus. Unser Inspektor (der irgendwie Tommy-Lee-Jones-Vibes versprüht) bringt eine interessante Mischung aus Sarkasmus und Entschlossenheit mit, und die etwas unberechenbare Anita (gespielt von Paulette Goddard, der damaligen Ehefrau von Charlie Chaplin) ein paar durchaus nette Schattierungen. Da gelingt es dem Film dann auch mal, ein paar interessante Spannungsmomente einzubauen – auch wenn diese Figuren zu wenig Leinwandzeit haben, um dem Film wirklich richtig ihren Stempel aufdrücken zu können.
So richtig packend ist das alles also nur bedingt, weswegen am Ende (wie so oft in dem Genre) es vor allem der Chemie zwischen unserem Liebespaar obliegt, hier Boden wiedergutzumachen. Dabei mag Georges zwar eine Nummer zu glatt daherkommen, doch das wird von einer schlichtweg großartigen Olivia de Havilland locker aufgefangen. Die spielt Emmy mit einer so ansteckenden Fröhlichkeit und Naivität, dass man kaum anders kann, als diese ins Herz zu schließen. Und das ist hier viel mehr als nur der „Die ist irgendwie niedlich“-Faktor, sondern hat tatsächlich etwas mit Schauspielkunst zu tun.
Wie Havilland immer mal wieder geschickt innehält, ihre Figur kurz reflektieren und uns spüren lässt, dass sie sehr wohl bei Georges skeptisch ist, aber dann doch zu romantisch veranlagt ist, um nicht ins Risiko zu gehen, ist wirklich großartig gespielt. Hier haben wir eine Figur, die zwar naiv handelt, aber nicht dumm oder uninteressant ist. Angetrieben von der Hoffnung auf die große Liebe registriert sie zwar die Warnflaggen, entscheidet sich aber bewusst dagegen, sich von diesen der Chance auf einen möglichen Traum berauben zu lassen. All das vermittelt de Havilland ohne Worte, sondern nur über Blicke und Gesten. Diese Mischung aus Komplexität und kindlicher Naivität macht sie aber nicht nur für uns, sondern im weiteren Verlauf der Handlung auch für Georges interessant, da sich niemand diesem Charme entziehen kann. Womit der Film seine größte Stärke genau in dem Bereich hat, der für die Geschichte entscheidend ist: die Glaubwürdigkeit des Liebesplots und das Interesse an deren Ausgang.
Dazu gesellen sich dann in der zweiten Hälfte auch noch häufiger ein paar nette Dialoge und ganz niedliche Momente, was einen insgesamt, trotz vorhersehbarem Ablauf, doch ganz gut am Ball hält. Auch wenn man sich wünschte, dass unser rumänischer Gigolo sich vielleicht doch als eine etwas komplexere Figur entpuppen würde. Dass dies am Ende nicht so ist, liegt aber auch ein bisschen an Billy Wilders Sinn für Rache. Der meinte im Interview einmal, dass er und seine Drehbuchkollegen so angepisst von Boyer waren, dass sie dessen Figur auf den letzten Seiten so viel Dialog wie möglich zusammenstrichen. Irgendwie eine witzige Aktion, aber jetzt natürlich für den Film nicht gerade förderlich. Überhaupt kommt der Schluss, bei dem man vor dem Happy End für das Publikum schnell noch eine Extra-Dosis übertriebenes Melodrama injiziert, etwas unrund daher. Dank de Havilland kann man aber auch das irgendwie verzeihen und so mit "Das goldene Tor" durchaus einen netten Abend verbringen. Im Gegensatz zu Wilder, der so frustriert von dieser Filmproduktion war, dass er sich danach entschloss, doch in Zukunft lieber selbst Regie führen zu wollen. Womit der Film dann bei aller Harmlosigkeit am Ende doch einen wichtigen Beitrag für die Filmgeschichte geleistet hat.
"Das goldene Tor" steht aktuell als Blu-ray Import auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Leider war weit und breit kein Trailer aufzufinden - eine auf spanisch synchronisierte Szene (kein französischer Akzent) muss heute leider genügen (in diesem Fall die Szene, in der die "Eroberung" stattfindet).
Ausblick
In unserer nächsten Folge ist die größte Stärke diesmal eine Nebenfigur – was leider für einen richtig gelungen Filmabend am Ende nicht genügen wird.
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