Wem die Stunde schlägt

MOH (137): 16. Oscars 1944 - "Wem die Stunde schlägt"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 9. Dezember 2025

In unserer letzten Folge hatten wir es mal wieder mit dem beliebten Oscar-Genre des Biopics zu tun – und auch heute riecht die knapp drei Stunden dauernde Literaturverfilmung "Wem die Stunde schlägt" schon nach sehr klassischem Oscar-Stoff.

Wem die Stunde schlägt

Originaltitel
For Whom the Bell Tolls
Land
Jahr
1943
Laufzeit
170 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Motion Picture"
Bewertung
8
8/10

Ohne Ernest Hemingway hätte es den berühmten Song "As Time Goes By" in "Casablanca" wohl nie gegeben. Um das zu verstehen, ist ein Blick auf unseren heutigen Oscar-Beitrag nötig: die Verfilmung des berühmten Hemingway-Romans "Wem die Stunde schlägt" aus dem Jahr 1943. Laut eigener Aussage hatte Hemingway schon beim Schreiben des Romans an Ingrid Bergman als perfekte Besetzung für die weibliche Hauptfigur gedacht – wohl aber kaum daran, dass eine der berühmtesten Filmszenen der Filmgeschichte durch diese Idee beeinflusst werden könnte. Weniger stark fallen aber erst einmal die Folgen von Hemingways Schauspielvorlieben für "Wem die Stunde schlägt" selbst aus, denn Bergman kann in dem Film jetzt nur bedingt ihr großes Schauspieltalent zeigen. Stattdessen lebt die fast dreistündige Literaturverfilmung, die vor der politischen Sprengkraft der Buchvorlage doch deutlich zurückschreckt, nach etwas schleppendem Beginn von einer spannenden Inszenierung und interessanten Nebenfiguren.

Im Roman verarbeitete Ernest Hemingway seine eigenen Erlebnisse während des Spanischen Bürgerkriegs, den er Ende der 1930er-Jahre in einer Mischung aus Korrespondent und Aktivist vor Ort begleitete. Inspiriert davon präsentieren uns Buch und Film den amerikanischen „Guerilla-Touristen“ Robert Jordan (Gary Cooper, "Bengali", "Mr. Deeds geht in die Stadt"), der im Geist der Demokratie die Rebellentruppen vor Ort unterstützen möchte. Dazu erhält Jordan den Auftrag, für einen bevorstehenden Angriff eine strategisch wichtige Brücke zu sprengen und sich dafür die Unterstützung einer lokalen Rebellengruppe zu sichern. Deren Anführer Pablo (Akim Tamiroff) scheint aber, ganz im Gegensatz zu seiner Frau Pilar (Katina Paxinou), inzwischen weniger an Idealen als mehr am eigenen Leben und Wohlbefinden zu hängen. Das sorgt schnell für erste Konflikte innerhalb der Gruppe, der sich nach einem Massaker an der eigenen Familie auch die gerade einmal neunzehnjährige Maria (Ingrid Bergman) angeschlossen hat. Für Robert tut sich hier ein Minenfeld auf, da er schon bald nicht mehr weiß, wem er denn überhaupt vertrauen kann. Offensichtlicher ist dagegen, in wen sich der gute Robert schon bald verlieben wird.
 


"Wem die Stunde schlägt" war nicht die erste Verfilmung eines Romans, mit dem Ernest Hemingway eigene Kriegserlebnisse verarbeitete. Bereits 1934 hatte "In einem anderen Land", ebenfalls mit Gary Cooper in der Hauptrolle, sich eine Oscar-Nominierung für den besten Film sichern können. Es war also naheliegend, dass der riesige Romanerfolg von "Wem die Stunde schlägt" damals auch direkt zu einer Hollywoodverfilmung führen würde. Was aber noch lange nicht bedeutete, dass Hollywood dem neuen Stern am Literaturhimmel (Hemingways Pulitzer- und Nobelpreis sollten ja erst in den 1950er-Jahren folgen) gleich jeden Wunsch von den Lippen ablesen würde. Da hatte Hemingway im Vorfeld noch so leidenschaftlich für Gary Cooper und die junge Schwedin Ingrid Bergman die Werbetrommel rühren können, vorerst wurde lediglich Cooper für die Hauptrolle engagiert. Für die Rolle der Maria entschied man sich dagegen bei Paramount Pictures erst einmal für die deutsche Schauspielerin und Ballerina Vera Zorina.

Aber Hemingway war natürlich ein zäher Hund. Wohl auch dank seines Nachdrucks „erkannte“ Paramount Pictures nach wenigen Drehtagen, dass Zorina nicht den nötigen Glamour für die Rolle mitbrachte und feuerte die Deutsche. Das wiederum machte den Weg frei für Bergman, bedeutete gleichzeitig aber auch das Ende des Hollywoodtraums für Zorina – was trotz Bergmans Legendenstatus hier ja auch mal ruhig erwähnt werden sollte. Bergman wiederum kam gerade frisch von den Dreharbeiten zu "Casablanca“, einem Film, den sie damals als eher unbedeutend einschätzte und auch später nie als Lieblingsfilm bezeichnen würde. Ganz anders war ihre Begeisterung aber für die nun anstehende Hemingway-Produktion, für die sich Bergman ohne große Diskussionen auch die Haare kürzen ließ. Eine Entscheidung mit Folgen, denn dieser neue Look rettete sozusagen ein Stück Filmgeschichte. Der "Casablanca“-Komponist Max Steiner hätte nämlich zu gerne das dortige Klavierstück "As Time Goes By“ mit einem eigenen Werk ersetzt, doch Bergmans Frisur-Update verhinderte einen geplanten Nachdreh. 
 


Diese kleine Filmanekdote beiseite, haben wir es hier mit einem Werk zu tun, das einem ja schon alleine aufgrund der Laufzeit (170 Minuten!) das Wort "Epos" ins Gesicht schreien müsste. Noch dazu, weil einem passend zur Länge sowohl eine Overtüre als auch eine mit Musik untermalte Intermission serviert wird (wo mir eigentlich ja immer das Herz aufgeht). Und doch fühlt sich gerade die erste Hälfte des Films nicht wirklich episch an, weil das Szenario selbst einfach etwas zu fake daherkommt. Das beginnt schon mit der Musikwahl für die Overtüre, die mit ihren "Lawrence von Arabien"-Vibes orientalische Assoziationen weckt – die darauf erscheinende spanische Berglandschaft aber mal so gar nicht stimmungsmäßig trifft. Dass die meisten einheimischen Figuren hier mit allen möglichen Akzenten sprechen, aber garantiert keinem Spanischen, stärkt auch nicht gerade die Glaubwürdigkeit (viele der Darstellerinnen und Darsteller scheinen vorher zum Üben eher in eine mexikanische Taqueria gegangen zu sein). Als am irritierendsten entpuppt sich aber das Make-up, denn hier hat man im wahrsten Sinne des Wortes eindeutig zu dick aufgetragen. Aber irgendwie musste man sein eher natürlich-blasses Ensemble halt als braungebrannte Rebellen verkaufen. Erschwerend kommt hinzu, dass "Wem die Stunde schlägt" in Technicolor produziert wurde und man hier schlichtweg wohl zu wenig Erfahrung bezüglich eines realistischen Make-ups hatte.

Es gibt aber auch einen inhaltlichen Grund, der "Wem die Stunde schlägt" am Anfang eher klein wirken lässt. Ein Grund, der aber glücklicherweise schon bald in einen Vorteil umschlägt. Unser Abenteuer spielt nämlich gefühlt die meiste Zeit in einer Höhle und lässt seine Figuren nur hier und da mal frische Luft schnappen. Viel Raum für epische Naturaufnahmen, die beim klassischen Aspect Ratio der 1940er-Jahre ja sowieso weniger eindrücklich als im heutigen Breitbildformat wirken, bleibt da logischerweise nicht. Doch das ist gar nicht schlimm, denn am Ende stehen hier vor allem die Spannungen innerhalb der Gruppe im Vordergrund – und dafür ist ein enges Setting ja eher förderlich. Wie man es von Hemingway erwarten würde, hängt dabei ordentlich Testosteron in der Luft, wird gesoffen, geraucht und heißblütig diskutiert. Wenn man sich nach einer Weile an die Akzente und das Make-up gewöhnt hat, ist das dann auch tatsächlich richtig interessant. Gerade weil die Figuren charakterlich so unterschiedlich sind, entwickelt sich eine spannende Dynamik zwischen diesen, und mit dem kaum berechenbaren Pablo fühlt es sich jederzeit so an, als könnte die Situation gleich komplett eskalieren.
 


Zu großen Gewaltausbrüchen kommt es zwar lange nicht, und doch ist das Thema Gewalt und die Verrohung der Menschen im Krieg sehr präsent. Nicht nur in der traumatischen Vorgeschichte von Maria, sondern vor allem auch bei Pilars Schilderung von früheren Kriegserlebnissen. Hier liefert der Film seine wohl emotional eindrücklichste Sequenz, die ziemlich deutlich macht, dass in diesem Krieg niemand eine weiße Weste trägt. Hier hat man Hemingways Menschenbild aus dem Roman eindrücklich auf die Leinwand gebracht, schreckt aber leider davor zurück, die tatsächlichen Ereignisse genauer zu benennen. Aus Sorge vor der Reaktion aus Europa (und der heimischen katholischen Kirche) wird im Gegensatz zum Buch im Film so zum Beispiel nie das Franco-Regime direkt erwähnt. Was dann doch etwas feige wirkt, auch wenn wohl jeder damals gewusst haben dürfte, was hier genau gemeint ist.

Und wie ist es um Hemingways Wunsch-Leinwandpaar bestellt? Nun, Gary Cooper gibt wie immer überzeugend den nüchtern-toughen Helden, doch irgendwie würde man sich zumindest ab und zu bei ihm etwas mehr Emotion wünschen – gerade was die nur bedingt überzeugende Liebesgeschichte mit Maria angeht. Die kommt sehr lange Zeit auch eher etwas naiv daher, da Maria sich lange vor allem auf das Dahinschmachten und leicht verschreckt Wirken konzentriert. Offensichtlich hat sich dabei auch Regisseur Sam Wood den Wunsch des Studios nach "mehr Glamour" zu Herzen genommen, denn kaum eine Gelegenheit wird verpasst, deren (zugegebenermaßen attraktives) Gesicht in Großformat abzulichten. Mit ordentlich Make-up und perfekten Zähnen wirkt diese aber nicht gerade wie die Überlebende eines Kriegsmassakers, die in einer abgeschiedenen Berghöhle wohnt. Auch hier braucht es also ein bisschen Anlaufzeit, um mit der Figur warm zu werden, doch wenn später deren düsteres Geheimnis gelüftet wird, gewinnt Maria deutlich an Kontur. Auch wenn Bergmans Leistung dabei lediglich als routiniert beschrieben werden kann.
 


Glücklicherweise stechen dafür die Nebenfiguren deutlicher hervor. Mit Pilar gelingt dem Film eine unglaublich starke und faszinierende Frauenfigur. Pablos moralischer Kompass ist wiederum so wundervoll "flexibel", dass jede Szene mit ihm zu einem kleinen Pulverfass wird. Sowohl Akim Tamiroff als auch Katina Paxinou gewannen in dem Jahr dann auch bei den Golden Globes, die 1944 zum ersten Mal verliehen wurden, jeweils den Award für den besten Nebendarsteller beziehungsweise die beste Nebendarstellerin. Paxinou wurde bei den Oscars dazu ebenfalls in dieser Kategorie ausgezeichnet – was den einzigen Oscar-Gewinn des Filmes bei insgesamt neun Nominierungen bedeutete.

Wenn aber noch jemand hier einen Oscar verdient gehabt hätte, dann wäre das Regisseur Sam Wood ("Unsere kleine Stadt", "Fräulein Kitty"). Erst vor Kurzem hatte ich mich ja noch beschwert, dass Wood in dieser Oscar-Reihe bisher nur selten das gewisse Etwas auf dem Regiestuhl abgeliefert hatte. Nun straft er mich eindrucksvoll Lügen, denn seine packende Inszenierung macht den halbstündigen Schlussakt rund um die Brückensprengung zu einem wirklichen Spannungsfest. Hier entwickelt der Film genau die epochale Wucht, die man vorher doch vermisst hatte. Das ist so mitreißend, dass der Film, trotz des Auf und Abs der ersten Hälfte, bei mir noch eine richtig gute Bewertung abstaubt. Dazu erinnert dann auch noch der wundervolle letzte Dialog zwischen Robert und Maria etwas an das berühmte Ende von "Casablanca", was angesichts der bereits angesprochenen Verbindung zu dem Film alles irgendwie sehr rund wirken lässt. Und es ist ja in dieser Reihe ja auch nicht mehr lange hin, bis dann auch Bogart Bergman tief in die Augen schauen darf.

"Wem die Stunde schlägt" ist aktuell als DVD und Blu-ray auf Amazon in Deutschland verfügbar. 


Trailer des Films.
 


Szene: Unsere spanische Rebellen stehen unter Beschuss.
 


Interview:Ingrid Bergmann über ein Treffen mit Hemingway und einen sehr schüchternen Gary Cooper.
 


As Time Goes By: Danke Ernest!
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge geht es wieder deutlich fröhlicher zu – aber damit ist bei einem Film von Ernst Lubitsch ja immer zu rechnen.

Bilder: Copyright

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