Lieber Nicolas Winding Refn,
du, wir müssen mal reden. Es ist noch gar nicht lange her, da warst du mein Held. „Drive“ benebelte mir die Sinne, ich hatte dessen unvergessliche Bilder vor den Augen und die ebenso unvergessliche Musik in den Ohren. Nicht alle fanden „Drive“ toll, aber ich habe und hätte den Film gegen alle Kritiken verteidigt. Wie du dort den Genrefilm frontal auf den Kunstfilm krachen ließst, das war grandios, da haben wir dann auch großzügig darüber hinweggesehen, was du bei Walter Hills „The Driver“ oder Michael Manns „Thief“ geliehen hast. Aber jetzt müssen wir reden, denn schon nach „Only God Forgives“ war unser Verhältnis in Schwierigkeiten und jetzt, nach „The Neon Demon“ wird es glaube ich Zeit, dass wir eine Ruhepause einlegen.
Nicolas, du bist mir ja 'ne Marke. Das sagen wir hier in Deutschland, wenn wir unsere Überraschung über das Verhalten von jemandem ausdrücken wollen, was angesichts deines neuen Films wirklich nötig ist. Du hältst dich selbst ja auch offenbar für eine Marke, aber im amerikanischen Sinne, brand und so. Hast du deswegen den ganzen Vorspann mit deinen Initialen unterlegt, quasi als Markenzeichen? Ein bisschen eitel, oder? Immerhin ist es nicht gelogen, denn nach Ansicht dieses Streifens ist es klar, dass dieser Film nur von dir stammen konnte. Aber die Frage ist ja mittlerweile, ob dieses Alleinstellungsmerkmal noch etwas positives ist. Wie bist du denn bloß auf diese Geschichte gekommen von der Landschönheit Jesse (Elle Fanning), die in den Neondämon Los Angeles kommt, um dort als Model Karriere zu machen, was ihr auch außergewöhnlich schnell gelingt und daher sowohl die Aufmerksamkeit der Visagistin Ruby (Jenna Malone) und die Eifersucht der Models Gigi (Bella Heathcote) und Sarah (Abbey Lee) auf sich zieht, mit blutigen Folgen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass soll eine Satire sein, was du uns hier auftischst (auftischst, haha, du verstehst? – kleiner Kannibalenwitz unter uns), aber meine Güte, ist das flach. Da hat gerade dein Landsmann Lars Von Trier angerufen, er möchte seine polemische US-“Satire“ zurück.
Lieber Nicolas, es wäre ungerecht dir als Filmemacher gegenüber, jetzt immer nur zu verlangen, dass du irgendwelche „Drive“-Kopien machst. Aber nach diesen letzten beiden Filmen kann ich nur sagen: Bitte mach „Drive“-Kopien, denn dieser Trip auf dem du da jetzt bist, der ist nicht bekömmlich, jedenfalls nicht für uns Zuschauer. Da hast du schon deinen letzten Film, „Only God Forgives“ mit unsympathischen Arschlöchern gefüllt, die sich gegenseitig schlimme Dinge antun, und nun ist „The Neon Demon" dasselbe in Grün bzw. in weiblich. Wer, sag mal, soll sich denn das bloß angucken wollen? Insbesondere, da du diesmal sowohl Tempo als auch Plot noch ein bisschen mehr heruntergefahren hast, so dass außer hübschen Bildern und feiner Musik nun wirklich gar nichts mehr übrig bleibt. Und wenn sich Arschlöcher in hochstilisierten Bildern schon schlimme Dinge antun sollen, dann sag ihnen doch, dass sie damit nicht anderthalb Stunden warten sollen. Wenn das schon sein muss, dann wenigstens ohne ausufernde Warteschleife.
Aber Nicolas, muss das denn wirklich sein? Musst du jetzt in jedem Film so richtig auf die Kacke hauen und begeistert über die Stränge des guten Geschmacks springen, all das unter dem Deckmantel der Kunst? Ich hätte ja gewarnt sein müssen, nicht nur angesichts der Gewaltausbrüche in „Drive“, sondern auch der in „Bronson“ oder „Valhalla Rising“. Aber jetzt mal im Ernst: Nachdem in deinem letzten Film Ryan Gosling seiner ausgeweideten Mutter den Uterus betatscht hat, hast du dir gesagt, dass du jetzt noch mal eine Schippe drauflegen musst, oder was? Nekrophilie und Kannibalismus, darunter machst du es nicht mehr? Nicht dass wir uns hier falsch verstehen, Nicolas, gegen Kannibalen habe ich nichts, so lange sie auf der Leinwand bleiben. Und Nekrophilie: Nicht so mein Ding, aber hey: ich kann mich ein bisschen anstrengen. Aber wie du diese Dinge einbaust, das ist schon bedenklich. Nicolas, magst du keine Lesben? Oder sind das für dich unergründliche Wesen? Weißt du, dass man früher Homosexualität nicht nur als Perversion, sondern auch als Geisteskrankheit betrachtet hat? Von daher ist es schon ein klein bisschen problematisch, dass für dich der Weg vom Lesbentum zur Nekrophilie nur ein Katzensprung ist. Eine Zurückweisung und man bespringt die nächstbeste Leiche? Machen das viele in deinem Bekanntenkreis so, oder nur die Lesben?
Was hält eigentlich deine Frau davon, dass ihr dieser Film gewidmet ist, sogar mit Herzchen? Hat sie denselben Humor wie du? Ansonsten wäre es schon bedenklich, dass ausgerechnet dieser Film dein Geschenk oder gar deine Liebeserklärung an deine Frau ist, wo doch Frauen hier nicht besonders gut wegkommen und ihnen ohne großes Trara so einiges angetan wird. Da wird eine offenbar Minderjährige von dem von Keanu Reeves extra eklig gespielten Motelmanager vergewaltigt, und ihre Schreckens- und Schmerzensschreie dienen dir lediglich als coole Audiokulisse für eines deiner schnieken „künstlerischen“ Tableaus. Nicht cool, Nicolas, nicht cool.
Apropos: die künstlerischen Tableaus. Klar, ich mag auch schöne Bilder, von denen du wieder einige geschaffen hast. Und dass dir Cliff Martinez auch wieder einen schönen Synthscore komponiert hat, sehr gut. Aber sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Film wie schon „Only God Forgives“ nicht nur unsagbar lahmarschig, sondern auch unsagbar leer ist. Nichts steht im Zentrum dieser Filme: keine erinnerungswürdige Figur, keine erkennbare Emotion, kein erkennbarer Sinn. Lieber Nicolas, ich könnte jetzt noch ein wenig weiter über „The Neon Demon“ reden, etwa über die eindeutigen Argento-Einflüsse. Meine Güte, die Blumentapete in Jesses Motelzimmer ist ja quasi 1:1 aus „Suspiria“ geklaut („die Irisse“ - schon klar, Nicolas). Aber dein Film erinnert nur in seinen Neonfarben und Bildkompositionen an den Argento zu seiner Hochzeit in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Der Rest erinnert dagegen an den Bodensatz von Argentos Alterswerk. In den letzten Jahren gab es nur zwei Filme, die mich angesichts ihrer Leere, Dummheit und Verschwendung so richtig sauer gemacht haben, nämlich Argentos „The Third Mother“ und „Giallo“. Aber nun Glückwunsch, Nicolas, mit „The Neon Demon“ hast du es auch geschafft, mich so richtig sauer zu machen.
Natürlich könnte ich jetzt angesichts der unbestritten eleganten Inszenierung, der zum Teil wieder sehr schönen Bilder und der wie schon erwähnt guten Musik jetzt noch ein paar Gnadenpunkte zusammenkratzen, wie noch bei „Only God Forgives“. Aber du bist ja Wiederholungstäter, Nicolas, und daher bist du nun eine Legende der Filmszene, als erster Regisseur, der sowohl in der raren Zehn-Augen- und der ebenso raren Ein-Augen-Kategorie vertreten ist. Das tut deinem Ego ja vielleicht ganz gut, oder NWR? Vielleicht kannst du ja in ein paar Jahren, wenn deine Filme wieder sehenswert oder wenigstens ansehbar sind, mal kurz Bescheid sagen, dann guck ich vielleicht mal wieder rein.
Bis dahin bleibe ich dir trotz allem freundschaftlich verbunden, dein
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