Inside Llewyn Davis

Originaltitel
Inside Llewyn Davis
Land
Jahr
2013
Laufzeit
105 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Simon Staake / 2. Dezember 2013

Folk & FluppeLlewyn Davis (Oscar Isaac) ist ein Folksänger in New York Anfang der 1960er. Leider ist der Folkboom noch nicht so recht angelaufen und so schlägt sich Llewyn mehr schlecht als recht mit Gigs im Gaslight Café durch und schläft auf der Couch von Freunden und Bekannten. Eine Neuigkeit von Jean (Carey Mulligan), der Frau des mit ihm befreundeten Folkies Jim (Justin Timberlake) bringt Llewyn dazu, sich mehr um seine Finanzen zu kümmern. Als ein Besuch bei seinem Herausgeber Mel nichts einbringt, entscheidet Llewyn sich dazu, nach Chicago zu reisen, um dort im bekannten Folkclub „Gate of Horn“ bei Impressario Bud Grossman (F. Murray Abraham) vorzuspielen...


Seit mehreren Jahren sind die Coen-Brüder dabei, Filme nach einem Erzählmuster zu verfassen, das der Amerikaner „shaggy dog story" nennt, Streunergeschichten. Soll heißen: Geschichten ohne einen wirklichen Plot oder eine großartige Entwicklung, und meist auch ohne Pointe oder ein dramatisches Ende, sondern Geschichten, die sich von Anekdote zu Anekdote hangeln und dann einfach irgendwie auslaufen. Diese Formlosigkeit haben die Coens ja durchaus zur Kunstform erhoben, allen voran mit ihrem größten Kulthit „The Big Lebowski“, welcher zwar einen Krimiplot hat, der jedoch für den Film und sein Vergnügen völlig gleichgültig ist und genau so gleichgültig aufgelöst wird.

Ein Film ohne Plot, der nur von seinen mehr oder weniger skurrilen Figuren zusammengehalten wird, muss also nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein. Dazu gehört sicherlich auch der Coens vorletzter Streich, „A Serious Man“, in dem es ebenfalls keinen rechten Plot im klassischen Sinne gibt, dessen bitterböse Hiob-Metapher aber dennoch zu den besten Coen-Streifen der letzten Jahre gehört. Allerdings führt das Ganze manchmal auch zu einer gewissen Belanglosigkeit, wie etwa in „Burn After Reading“, der ultimativen Coen'schen Streunergeschichte ohne Auflösung. Die ließ dann wirklich ihr Publikum zum größten Teil ratlos zurück, Kerl & Katzebesonders da ein Teil desselben angesichts des Castings von George Clooney und Brad Pitt wohl von einer launigen Agentenfarce ausgegangen war, quasi „Ocean's Eleven“ mit Agenten. So manch ein Coen'scher Streuner ist also einer, den man gerne hineinlässt, bei anderen versperrt man lieber die Katzenklappe. „Inside Llewyn Davis“ gehört zur ersteren Sorte, ist ein sympathischer, etwas dreckiger und ungekämmter Streuner von einem Film, der mal hierhin, dann dorthin wandert, dem man dabei aber durchaus gerne zusieht.

Fast als Metakommentar kann man es verstehen, dass auch ein wirklicher Streuner hier eine wichtige Rolle spielt, nämlich die rotgestreifte Katze, mit der Llewyn den Großteil des Films im Schlepptau verbringt. Allein die Szenen, in der ihm die Katze eines befreundeten Ehepaars entwischt und wie er dann versucht sie wiederzubekommen sorgen für ein paar schöne Schmunzler. Streunergeschichten haben ja wie schon erwähnt kaum nennenswerten Plot oder Plotentwicklung, weswegen es auch Sinn macht, dass die Geschichte von Llewyn Davis im Kreis läuft. Wortwörtlich. Erste und letzte Szene des Films sind identisch, aber erst am Ende des Films finden wir heraus, warum Llewyn nach einem Auftritt in einem Folkclub auf der Straße dahinter verprügelt wird.

Aber eigentlich ist das auch egal, so wie alle Abenteuer des Llewyn Davis relativ egal sind. Wie in diversen der oben genannten Coen-Filme geht es um nichts, oder um nicht viel, aber das macht die diversen Vignetten und Miniabenteuer, die der Film seinem Antihelden aufbürdet, nicht weniger amüsant und/oder merkwürdig und/oder sehenswert. Klar, ab und zu mal wandert „Inside Llewyn Davis“ wirklich etwas ziellos umher, besonders bei seinem Abstecher nach Chicago mit dem enigmatischen Johnny Five (Garret Hedlund) und Roland Turner (John Goodman), bei denen Llewyn als Anhalter mitfährt. Andererseits gibt es während dieser etwas langwierigen (und letztlich typisch im Sand verlaufenden) Sequenz auch eine der schönsten Momente des Films zu sehen. Die vorher von Llewyn zurückgelassene Katze rennt ihm vors Auto Lew & Jimund schleppt sich dann inmitten von Nebel und Schneeflocken in den Wald, vermutlich um dort zu sterben. Eine Szene, die inmitten der Absurditäten um sie herum heraussticht, dabei aber in der Tradition der Coen-Brüder stehen, die ja auch den größten Jux mit ein bisschen Tragik würzen (oder umgekehrt).

Hier müssen wir nun auch noch mal eine unglaubliche Auslassung ansprechen, denn obwohl der Autor dieser Zeilen damals „O Brother, Where Art Thou“ in höchsten Tönen lobte, so verlor er doch keine einzige Zeile über den grandiosen Soundtrack, welcher mittlerweile legendärer und bekannter ist als der dazugehörige Film. Der Soundtrack gewann nicht nur drei Grammys und verkaufte allein in den USA fast acht Millionen Exemplare, er trat auch eine Riesenwelle neuen Interesses an alter Roots-Musik los. Ähnliches wird dem Soundtrack zu „Inside Llewyn Davis“ wohl nicht gelingen, aber zumindest wollen wir diesmal die Musik entsprechend würdigen. T-Bone Burnett, wie schon bei „O Brother“ für die Koordination des Soundtracks zuständig, hat auch hier im Folkgenre ganze Arbeit geleistet. Arbeit, die allerdings nicht denkbar wäre ohne die Leistung von Oscar Isaac, der seine Filmsongs selbst mit Inbrunst und viel Seele singt. Isaac ist ja bisher nicht großartig aufgefallen, man erinnert sich an ihn als Carey Mulligans glücklosen Ehemann in „Drive“, aber mit dieser Rolle dürfte er sich ein bedeutenderes Profil erarbeiten. Carey & Mulligan

Apropos Carey Mulligan: Die gibt hier ein Antidot zu ihren üblichen sanften Engeln und verblüfft als zwar immer noch Engelsgesicht, diesmal aber mit bitterböser und vulgärer Giftzunge. Und Justin Timberlake als braver Folkie mit Sozialpädagogenvollbart sieht man so ja auch nicht alle Tage. Adam Driver und Stark Sands als weitere Folkies fügen sich nathlos in die Reihe von Coen'schen Figuren ein, die den deadpan-Humor verkörpern. Angesichts der Spielfreude des Ensembles ist es daher auch nicht so richtig schlimm, dass alle Figuren hier bewusst schwammig bleiben, allen voran der Titelheld. Also nicht falsch verstehen: Inside Llewyn Davis ist nur der Titel von Llewyns gefloppter LP, nicht ein Versprechen der Analyse der Hauptfigur des Films. Auch wenn man sich manchmal schon ein wenig gewünscht hätte, der Film würde seine diversen angerissenen Plotstränge (Akron, Ohio etwa) weiter ausführen oder zu einem Ergebnis führen. Aber, sie wissen schon: Streunergeschichte.

Und irgendwie haben es die Coen-Brüder doch wieder geschafft, dass man sie und ihre vermaledeiten Streuner ins Herz schließt. Nein, „Inside Llewyn Davis“ ist kein großer oder wichtiger Film und will dies auch gar nicht sein. Nein, eine irgendwie wichtige Geschichte wird hier nicht erzählt. Aber ja, nichtsdestotrotz will man sich das ansehen und ist über die 105 Minuten des Ganzen auch ziemlich gut unterhalten. Nicht mehr, nicht weniger. Ach so: Und die alten Folkplatten holt man nach diesem Film natürlich auch wieder hervor. Da soll also keiner sagen, eine Streunergeschichte hätte keine Konsequenzen.

Bilder: Copyright

8
8/10

Also acht Augen würde ich schon vergeben... ansonsten kann ich der Rezension voll zustimmen: ein ruhiger, mäandernder Film über einen Loser, den man gerne mal in den Hintern treten möchte, der einem in seiner Art aber auch im Laufe des Films immer mehr ans Herz wächst.
Klassisch Coen ist die häufige leichte Skurrilität vieler Szenen, die auch toll 'in Szene gesetzt' sind. Ach ja, und die Musik spielt zu Recht eine wichtige Rolle (fast alle Songs werden komplett gespielt).
Es hängt viel am - mir völlig unbekannten - Hauptdarsteller, und der macht seine Sache (und seine Songs) richtig gut.
Kurzum: ein guter, richtig guter Film. Wird die Welt nicht bewegen, aber zeigt, was gutes amerikanisches Kinos, das sich eine Portion Skurrilität bewahrt und dennoch die großen kleinen amerikanischen Geschichten erzählt, heute in der Lage ist.

Permalink

8
8/10

Da kann ich McJ nur vollkommen zustimmen.

Ganz toll auf den Punkt gebracht. Meine Erfahrung mit dem Film war etwas kurios und der allererste Eindruck nicht optimal. Kam fast etwas enttäuscht aus dem Kino, da ich mir von einem Coen-Film immer viel erwarte. Im Gespräch über den Film habe ich dann aber immer mehr Dinge aufgezählt, die ich richtig gut fand und habe die Feinheiten, die den Film ausmachen, erst richtig wahrgenommen. Großartig gefilmt, toller Soundtrack und die Schauspieler und Figuren sind ebenso ein Traum. Anschauen!

Permalink

10
10/10

Entspannte, entschleunigtes Erzählen über ein Arschloch, welches einem am Ende doch irgenwie ans Herz gewachsen ist mit einem fantastischen John Goodman im Mittelteil. Farbreduzierte Bilder vermitteln eine tolle Atmosphäre im eiskalten Greenwich Village zu Beginn der 60-er Jahre. Die Coens reihen kleine, feine Beobachtungen am Rande zu eingem großen Erzählbogen über einen talentierten Folkmusiker, dem die ganz große Begabung irgendwie fehlt.

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