
Es war schon eine ziemlich spannende Frage, womit die Coen-Brüder als Nächstes herauskommen würden. Deren doppelten Schlenker Richtung Mainstream mit den allgemein nur lauwarm aufgenommenen Komödien "Ein (un)möglicher Härtefall" und "Ladykillers" sorgte bei nicht wenigen Jüngern schon für die gruselige Vermutung, die beiden allgemein so hochverehrten Filmemacher hätten womöglich ihren Biss verloren. Aber dann folgte der mit Oscars überhäufte Paukenschlag "No Country for Old Men" und hinterließ - nicht zuletzt ob der bitterbösen Konsequenz, mit der dort eine reichlich deprimierende Geschichte erzählt wurde - genauso offene Münder wie sich beruhigt zurück lehnende Fans. Aber wie geht es nun weiter? Die prominente Besetzungsliste und der Plot von "Burn after Reading" ließen eher wieder leichte Kost vermuten und die Namen Clooney und Pitt sorgten dann auch für den kommerziell erfolgreichsten Start eines Coen-Films in den USA plus zum allerersten Mal auch für Platz Eins der Kinocharts. Aber es darf Entwarnung gegeben werden: Die Hatz auf die Memoiren eines ehemaligen CIA-Agenten entpuppt sich als äußerst skurrile und bitterböse Parodie, nicht zuletzt auf die eigenen Werke der beiden Regisseure.
Weil es im Grunde nämlich gar keine Jagd nach irgendwelchen wahnsinnig bedeutenden Dokumenten ist, der wir hier beiwohnen dürfen. Weil die sich ständig verfolgt wähnenden Figuren meist eben gar nicht verfolgt werden und von niemandem auch nur annähernd so wichtig genommen werden wie sie es selbst glauben. Und weil das ganze Geschehen letztendlich keinerlei Sinn ergibt, beschränken wir uns statt der klassischen Inhaltsangabe auch lieber auf ein paar Personenbeschreibungen. Der stillos entlassene CIA-Agent Osborne "Ozzy" Cox (John Malkovich) ist sauer und möchte sich am ehemaligen Arbeitgeber mit einem "Enthüllungsbuch" rächen. Seine Frau Gemahlin (Tilda Swinton) hat sich mittlerweile anders orientiert und strebt eine ernsthafte Beziehung mit dem Regierungsbeamten Harry Pfarrer (George Clooney) an. Dieser denkt jedoch nicht ernsthaft an eine Scheidung, sondern trifft sich lieber mit weiteren Frauen. Unter anderem mit der nur mittelmäßig attraktiven Angestellten eines Fitness-Studios Linda Litzke (Frances McDormand), die trotz dieses Erfolgserlebnisses weiter um die Finanzierung diverser Schönheitsoperationen kämpft. In ihrer Not greift sie sogar zum Strohhalm einer CD mit zumindest geheim und wichtig aussehenden Dokumenten, die jemand in ihrem Studio hat fallen lassen. Es sind die Aufzeichnungen von Osborne Cox und Lindas hoch motivierter, aber leider nicht besonders heller Kollege Chad (Brad Pitt) überzeugt sie schließlich davon, dass sich damit doch irgendwie Geld verdienen lassen müsste. Allerdings sind die Aufzeichnungen von Cox so banal, dass nicht einmal die Russen daran ernsthaftes Interesse zeigen. Was aber nicht bedeutet, dass sie nicht auf Umwegen das Leben unserer illustren Charaktere ganz gewaltig durcheinander bringen werden.
Mit großer Lust zelebrieren die natürlich auch erneut als Drehbuchautoren fungierenden Coen-Brüder hier die Zerlegung ihrer eigenen cleveren Plotstrukturen. Wo noch bei Klassikern wie "Fargo" verschiedenste Handlungsstränge und winzigste Details am Ende kunstvoll zusammengeführt und verwoben wurden, da endet jetzt alles im Chaos oder besser: Im Nichts. Die Tatsache, dass auch diesmal nur der Zuschauer über die ganzen absurden Verstrickungen Bescheid weiß, während die Figuren nur einen äußerst beschränkten Blickwinkel auf das Geschehen besitzen, ist dabei die Ursache für das große Vergnügen auf Publikumsseite.
Und so lachen wir fast am heftigsten in den beiden herrlichen Szenen, in denen ein braver Angestellter versucht, dem um Fassung ringenden CIA-Boss zu erklären, was denn jetzt schon wieder Schlimmes passiert ist. "Was lernen wir daraus?" fragt der von J.K. Simmons göttlich gespielte Chef am Ende und gibt sich die Antwort gleich selbst: "Dass wir das nicht wieder tun sollten". Auf die Frage was sie denn nun aber eigentlich getan haben, wissen die beiden dann jedoch keinerlei Antwort.
Das ist nicht mehr nur skurril oder absurd, das ist schon ganz schön nahe am Nihilismus und streift eigentlich bereits die Grenzen dessen, was man dem "normalen" Kinopublikum an Nicht-Plot zumuten kann. Nicht wenige dürften leicht verstört (oder gar verärgert?) aus der Vorstellung laufen, aber für all diejenigen, die die Karriere der Coens aufmerksam verfolgt haben, ist "Burn after Reading" die folgerichtige Weiterentwicklung ihres Werkes. Welches damit dann an einer Art Endpunkt angelangt sein dürfte, zumindest was den Bereich der leichtfüßigen bis zynischen Gauner-Komödie anbelangt.
Wenn die Coens damit trotzdem durchkommen und zwar über den Kreis der Eingeweihten hinaus, dann verdanken sie das am Ende wohl doch der prominenten Darstellerriege, die sich hier ausnahmslos in Hochform präsentiert. George Clooney persifliert aufs Köstlichste sein Image als Frauenheld und Charmeur und hat keinerlei Scheu mal einen sexsüchtigen, eitlen Selbstdarsteller zu geben, der beim ersten Anzeichen von ernsthafter Gefahr bereits in grenzenlose Panik gerät. Frances McDormand verleiht der guten Linda Litzke einen Hauch von Tragik und John Malkovich hat als frustrierter Choleriker Osborne Cox seine vielleicht beste Rolle seit Jahren. Die Schau stiehlt aber dann doch allen Brad Pitt, dessen Rolle nominell eigentlich gar nicht so besonders groß ist. Mit sichtlicher Freude an der Darstellung des reichlich tumben, aber stets optimistischen Fitnesstrainers Chad wirkt Herr Pitt nicht nur erstaunlich jung, sondern zieht auch eine Show an bescheuerten Gesten und Gesichtsausdrücken ab, dass es nur so ein Genuss ist.
Im Grunde ist "Burn after Reading" nicht mehr als eine feine Stilübung und eine kleine Unverschämtheit in Richtung Erwartungshaltung des Publikums, das mit einer wenigstens einigermaßen plausiblen Geschichte rechnet. Dies wird jedoch von allen Beteiligten mit einer derartigen Freude dargeboten, dass es einfach nur allerbeste Laune macht. Und das ergibt dann einen wirklich erfreulichen neuen Film aus dem Hause Coen.
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