Dass "Donnie Darko" ein unbedingt sehenswerter Film ist, steht außer Frage. Dies jedoch ausreichend und verständlich darzulegen, ist gar nicht so einfach. Denn das Regiedebüt von Richard Kelly ist ein derart eigenwilliges Machwerk, dass sich selbst der erfahrene Film-Schreiberling bei der Frage, worum es in dem Film geht, in die allseits bekannte Floskel "Das kann man nicht erklären, das muss man gesehen haben" zu flüchten neigt. Oder wer kann noch folgen wenn man von einem Film hört, in dem ein gestörter Teenager Halluzinationen von einem überdimensionierten Hasen hat, der ihm das Ende der Welt voraussagt? Eben.
Ja, "Donnie Darko" ist durchgeknallt, mit Leib und Seele. Die eigenwillige Wahrnehmung, die der Film mit jedem kleinsten Aspekt seiner Inszenierung unterstreicht, harmoniert diesbezüglich nicht nur brillant mit dem Grundton der Geschichte selbst, sondern auch mit dem Geisteszustand ihres Protagonisten. Denn auch Donnie ist durchgeknallt, oder wird zumindest von allen dafür gehalten: Ein von Schizophrenie geplagter Jugendlicher in psychiatrischer Behandlung, der noch dazu schlafwandelt und generell so dreinblickt, als könne er im nächsten Moment aus seiner Lethargie ausbrechen und einen überraschend anfallen, hat es sicherlich auch schwer, normal zu wirken. An sich hat Donnie mit den normalen Querelen eines Teenagers zu kämpfen: Streit mit den Geschwistern, Streit mit den Eltern, nervige Lehrer in der Schule, und eine neue Liebe in Gestalt seiner Mitschülerin Joanie James - die seine Merkwürdigkeit sogar zu schätzen weiß: "You're weird …. That was a compliment."
Soweit ist noch alles halbwegs normal, doch der Haupthandlungsstrang von "Donnie Darko" bewegt sich weit jenseits eines gewöhnlichen Teenie-Dramas: Eines Nachts stürzt eine scheinbar aus dem Nichts aufgetauchte Flugzeugturbine in das Haus der Darkos und hätte Donnie erschlagen - wenn der in seinem Bett gelegen hätte. Zeitgleich hat der Schlafwandler jedoch eine Begegnung mit einem Mann in einem bizarren Hasenkostüm, der ihm das Ende der Welt in 28 Tagen prophezeit. Die erste in einer Reihe merkwürdiger Begegnungen und Ereignisse, die aus Donnie erst einen Saboteur, dann einen Schulrebellen, dann einen Mörder, und dann sogar einen Zeitreisenden machen. Oder wie, oder was?
Wenn die Handlung von "Donnie Darko" ihren Schluss erreicht hat und die Verwirrung bei den meisten Zuschauern damit auf dem Höhepunkt angelangt ist, hängen mehr Fragen über den Sinn und Zusammenhang des Ganzen in der Luft, als überhaupt erklärt werden können. Konsequent verweigert Regisseur Richard Kelly jeden offensichtlichen Hinweis auf die Hintergründe seiner verwirrenden Story, als lege er viel mehr Wert darauf, den Zuschauer mit einem großen Fragezeichen im Kopf zu entlassen - auf das der noch für Tage über den Film nachgrüble. Was in diesem Falle auch gelingt, doch vor allem bleibt "Donnie Darko" für seine eigensinnige, unglaublich beeindruckende Inszenierung in Erinnerung, die einen der verstörend schönsten Filme der letzten Zeit entstehen lässt (irgendwo zwischen "American Beauty" und "Fight Club", auch wenn ein Vergleich in beiden Fällen natürlich unmöglich ist).
Da macht es dann auch schnell nichts mehr, dass die Handlung ein großes Rätsel bleibt und man kaum in der Lage ist, einen Sinn in das Gesehene zu bringen. Von der ersten Minute an fesselt Kelly sein Publikum mit Einstellungen von kühler und einfacher Schönheit, erzeugt im Handumdrehen eine markante, eigenwillige Bildsprache und kann mit einem genial-simplen Trick das allgemeine Gefühl der Merkwürdigkeit noch unterstreichen: Ohne erkennbaren Grund spielt "Donnie Darko" im Jahre 1988 (der Präsidentenwahlkampf zwischen Michael Dukakis und George Bush senior bildet den Hintergrund für einige Szenen), und wirkt schon aufgrund dieser scheinbar beliebigen und dezent umgesetzten Platzierung seltsam befremdlich. Dieses Setting gestattet auch eine Zusammenstellung balladesker Synthi-Pop-Hits der 80er Jahre auf dem Soundtrack (z.B. "Head over heels" von Tears for Fears, "Love will tear us apart" von Joy Division oder The Church's "Under the milky way", sowie eine schlicht brillante Coverversion von "Mad world"), welche auf ihre eigene Art den einmaligen Stil von "Donnie Darko" mitprägen.
In der Hauptrolle glänzt hier Nachwuchs-Talent Jack Gyllenhaal mit einer Vorstellung, die in ihrer ruhigen, irritierenden Intensität der Grundstimmung des Films bis aufs Haar gleicht, so dass man hier wahrlich von einer "Verkörperung" Donnie Darkos durch den Hauptdarsteller reden kann. Berechtigterweise ist Gyllenhaal (hier begleitet von seiner Schwester Maggie, die auch im Film seine Schwester spielt und letztes Jahr in "Secretary" ihre eigene erste beeindruckende Hauptrolle ablieferte) einer der vielversprechendsten Jungstars in den USA, der demnächst in den neuen Filmen von Roland Emmerich und John Madden ("Shakespeare in Love") mitspielt - auch wenn seine bisher besten Rollen in Deutschland entweder kaum Beachtung fanden ("Moonlight Mile") oder gar nicht erst veröffentlicht wurden (wie die Independent-Perle "The Good Girl" mit Jennifer Aniston). Auch das restliche Ensemble kann durch die Bank überzeugen, und beweist dabei mit seiner namhaften Besetzung den Ausnahmestatus von "Donnie Darko" (Independent-Filme, die in solcher Anzahl prominente Namen anlocken, sind eigentlich immer von besonderer Qualität): Mary McDonnell ("Der mit dem Wolf tanzt") als Donnies Mutter, "Dirty Dancing"-Legende Patrick Swayze in einer mutigen Nebenrolle als New Age-Moralprediger mit dunklem Geheimnis, Altstar Katharine Ross ("Die Reifeprüfung") als Psychiaterin, und Noah Wyle, Dr. Carter aus "Emergency Room", als Lehrer an der Seite von Drew Barrymore, die als ausführende Produzentin zudem die treibende Kraft hinter dem Projekt war und Richard Kelly dessen Verwirklichung überhaupt ermöglichte.
Im amerikanischen Kino floppte "Donnie Darko" zunächst trotzdem, weshalb er es gar nicht erst auf deutsche Leinwände schaffte. Über Video und DVD entwickelte sich der Film aber langsam zu einem echten Untergrund-Hit, und hat es in den User-Charts auf der "Internet Movie Database" bereits unter die Top 100 der besten Filme aller Zeiten geschafft; und nachdem die auch hierzulande kleine, aber enthusiastische Fangemeinde sich lange mit mühsam organisierten DVD-Importen begnügen musste, ist "Donnie Darko" nun auch endlich in einer deutschen Ausgabe erhältlich, bei deren "Collector's Edition" sich der Verleih angemessener Weise richtig Mühe gegeben hat. In einer schmucken Metallbox kommt das Doppel-DVD-Set daher, das mit einem interessanten und ausführlichen Booklet erfreut und alle Extras bietet, die bei der weniger aufwändigen Produktion eines solchen Indie-Films verfügbar waren (dies ist natürlich kein "Herr der Ringe", wo ganze Kameracrews nur für die Dokumentation der Dreharbeiten abgestellt wurden, ergo ist das MakingOf- und Interview-Material auch eher spärlich). Neben diversen Bildergallerien (u.a. von einer Graffiti-Ausstellung mit Werken, die vom Film inspiriert wurden, auch zu sehen unter www.theymademedoit.com) und 20 entfallenen Szenen, die einigen Charakteren des Films mehr Tiefe verleihen, ist das Highlight der Audiokommentar von Regisseur Richard Kelly und Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal, die viel Interessantes über Dreharbeiten, Inszenierung und mögliche Deutungsmöglichkeiten der Geschichte zu sagen haben.
Für die gibt es mehrere mögliche, und sogar eine vom Regisseur intendierte Erklärung, welche das für begeisterte Darko-Fans interessanteste Extra verrät: eine Zusammenfassung des Buches "The Philosophy of Time Travel", das im Film eine wichtige Rolle spielt. Dieses bringt dann einen nach wie vor nicht einfach zu durchschauenden, aber in sich zumindest halbwegs logischen Erklärungsansatz, der die merkwürdigen Ereignisse der Filmhandlung weitestgehend aufschlüsselt. Diese hoch komplizierte Theorie um Zeitreisen, Auserwählte und Paralleluniversen ist allerdings nach wie vor eine recht verwirrende Angelegenheit, so dass der Film durch ihr beabsichtigtes Auslassen (und somit das Vermeiden anstrengender Hirnakrobatik seitens der Zuschauer) auf jeden Fall gewonnen hat, gerade weil er mit seiner Offenheit zu eigenen Interpretationen einlädt.
Anstatt sich diesen Anregungen hinzugeben, kann man sich aber auch ebenso gut zurücklehnen und den Film mit seiner fesselnden, einzigartigen Atmosphäre und unbeschreiblichen Mixtur aus Drama, Komödie, Sozialkritik, Horrorfilm, Teenager-Portrait und Science Fiction einfach nur wirken lassen. Denn wirken, das tut er. Richard Kelly den Stempel des offiziellen Erben von Regie-Großmeister David Lynch aufzudrücken ist angesichts von "Donnie Darko" ganz sicher keine Übertreibung: Eine der innovativsten und beeindruckendsten unentdeckten Filmperlen der letzten Jahre, wiederholtes Ansehen unbedingt empfehlenswert.
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