Die Legende von Beowulf ist der wichtigste überlieferte Text in altenglischer Sprache, nicht zuletzt deshalb, weil die 3182 Verse des Heldengedichts bereits ein Zehntel des gesamten noch existierenden Textguts in dieser Sprache ausmachen. Weil die englische Kultur aufgrund der vielen Eroberungen der Insel (und der einhergehenden Vernichtung bestehender Kulturgeschichte) nur auf ein sehr dünnes Mythen- und Sagengut zurückgreifen kann (nicht zuletzt dieser Umstand bewog auch Tolkien dazu, den "Herr der Ringe" zu schreiben), genießt "Beowulf" darum den Status eines der wichtigsten Texte der englischen Sprach- und Literaturgeschichte.
Wie dieser Hintergrund klar macht, ist für die Berühmtheit der Beowulf-Legende also eines vollkommen unerheblich: Die eigentliche Qualität der Geschichte. Und die ist sehr dürftig: "Beowulf" schildert die Abenteuer des gleichnamigen Helden, der ungefähr im 6. Jahrhundert nach Dänemark kommt, um für den dortigen König das Menschen verschlingende Monster Grendel zu töten. Streng genommen müsste man mit der Inhaltsangabe jetzt auch schon aufhören, weil die Handlung des ersten Drittels von "Die Legende von Beowulf" damit auch schon hinreichend beschrieben wäre und hier möglichst nicht gespoilert werden soll. Darum nur so viel: Die Original-Legende von Beowulf hat - nach dem Kampf gegen Grendel und seinen Auswirkungen - noch einen zweiten Teil, der gut 50 Jahre nach dem ersten spielt und inhaltlich mit diesem keine wirkliche Verbindung hat.
Diese größte der zahlreichen erzählerischen Schwächen der Beowulf-Heldensage war auch in den bisherigen Versuchen einer Filmadaption offensichtlich, die entweder den zweiten Teil komplett ignorierten oder den Stoff nur als Inspiration nahmen, um freimütig eine eigene Handlung zu dichten, wie zum Beispiel "Der 13. Krieger" (basierend auf einem Roman von Michael Crichton). Und gegen dieses entscheidende Manko kommt auch "Die Legende von Beowulf" nicht an, auch wenn sich illustre und viel versprechende Namen hinter dem Projekt verbergen: Das Drehbuch verfassten Comic-Ikone Neil Gaiman (der kürzlich für den großartigen "Sternwanderer" verantwortlich zeichnete) und Roger Avary, der noch immer von seinen Lorbeeren zehren kann, einen Teil von "Pulp Fiction" erdacht zu haben. Und umgesetzt wurde das Ganze von Robert Zemeckis, der für "Forrest Gump" schon einen Regie-Oscar bekommen hat und mit "Der Polarexpress" ein neues Animationsverfahren pionierte, das hier nun zum zweiten Mal ganz groß zum Einsatz kommt.
Richtig groß sogar, denn dieser Film kleckert nicht: "Die Legende von Beowulf" wird in manchen Städten in einer 3D-Version gezeigt und außerdem auch in einer besonderen Fassung in den gigantischen IMAX-Kinos. Was dann auch gleich ganz klar macht: Dieser Film möchte das Publikum mit seinen Bildern erschlagen. Muss er auch, denn jenseits davon hat er eigentlich nichts zu bieten.
Beim Performance-Capture-Verfahren, das Robert Zemeckis hier erneut einsetzt, werden die Darstellungen und Körperbewegungen echter Schauspieler mit etlichen Computersensoren aufgezeichnet, um dann aufgrund dieser Daten die animierten Figuren zu erstellen. Das Ergebnis sind Animationsfiguren, deren Gesichtszüge tatsächlich denen der "Schauspieler" entsprechen, deren Körper jedoch beliebig geformt werden können, wie es die Rolle eben benötigt.
So wird aus dem eher gedrungenen und kräftigen Charakter-Darsteller Ray Winstone (eigentlich abonniert auf Gangster-Rollen wie in "The Departed" oder "Sexy Beast") der muskelbepackte Zwei-Meter-Hüne Beowulf, während Anthony Hopkins als dänischer König Hrothgar einen stattlichen Bier- (oder eher: Met-)Bauch vor sich her trägt. Das treibt bisweilen fast bizarre Blüten, wenn man zum Beispiel im Monster Grendel (das hier ausschaut wie die grausam entstellte Version eines Trolls aus "Herr der Ringe") noch immer die Züge von Crispin Glover (am Bekanntesten als George McFly aus Zemeckis' 80er-Klassiker "Zurück in die Zukunft") erkennen kann. Angelina Jolies erster voll digitalisierter Auftritt in diesem Film bleibt allerdings nachhaltig in Erinnerung. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Das ist technisch zwar alles absolut meisterhaft gemacht und darf für diese Errungenschaft auch bewundert werden. Doch "Beowulf" belegt einmal mehr, warum zum Beispiel die Pixar Studios, die ohne Zweifel die technischen Möglichkeiten dazu hätten, noch nie einen Gedanken daran verschwendet haben, ihre menschlichen Filmfiguren auch möglichst menschlich aussehen zu lassen (siehe zum Beispiel "Die Unglaublichen" oder "Ratatouille").
Der Grund dafür ist das so genannte "Uncanny Valley" (zu deutsch: "das unheimliche Tal"), ein wissenschaftlich nachgewiesener Effekt bei der Akzeptanz animierter Figuren durch das Publikum. Diese sinkt nämlich ab einem gewissen Punkt rapide ab, wenn versucht wird, Figuren realgetreu wie echte Menschen aussehen zu lassen. Aus diesem "Tal" kommt eine Animation nur wieder heraus, wenn sie von der Realität fast nicht mehr zu unterscheiden ist. Und das hat noch kein Animationsfilm durchgehend geschafft.
Für den Kinobesuch hat das zur Folge, dass einen die Figuren weitestgehend kalt lassen, weil man sie zwar als echte Menschen wahrnehmen soll, ihnen gleichzeitig aber eine richtige Seele fehlt, jene winzigen Nuancen in Körpersprache und Blicken, die Animationsfilme (noch) nicht einfangen können.
Darum will auch der dramatische Kniff, mit dem Gaiman und Avary versucht haben, eine inhaltliche Brücke zwischen den beiden Teilen der Beowulf-Legende zu schlagen, nicht wirklich funktionieren. Diese einzige signifikante Addition des Films zur bestehenden Legende macht aus der ganzen Sache zwar endlich eine halbwegs runde Geschichte, aber noch immer keine gute. Zudem zerfällt der Film in zwei sehr ungleiche Teile, denn während die tragische und schicksalsschwere zweite Hälfte etwas überernst daher kommt, weiß man aufgrund zahlreicher Albernheiten im ersten Teil erstmal nicht so recht, wie man diesen Film überhaupt aufnehmen soll.
Da wird gleich am Anfang actionmäßig erstmal so richtig auf die Pauke gehauen, die Gegenstände fliegen einem im 3D-Kino nur so um die Augen, und zimperlich ist man auch nicht, denn Grendel zerlegt seine Opfer mit viel Herzenslust und auch mal ein paar Blutspritzern. Davor und danach scherzt das Mannesvolk sehr offenherzig über Fleischeslust und Besteigungsorgien, während die Damen gern mal mit dem Dekolleté schwenken. Dieser merkwürdig frivole Ton erreicht schließlich seinen Höhepunkt, wenn sich Beowulf vor seinem Kampf mit Grendel komplett entkleidet (inklusive erschrocken-fasziniertem Blick der Königin auf sein entblößtes Gemächt) und das Duell dann tatsächlich splitterfasernackt bestreitet - begleitet von zahlreichen Gags nach Austin Powers-Manier, wo der Schwengel immer noch so gerade von irgendeinem Gegenstand verdeckt wird.
Dazu tritt Beowulf auf wie der letzte Prahlhans, brüstet sich mit seinen übertriebenen Heldentaten und schreit die ganze Zeit rum, wie toll er ist. Da der Film ihn das ziemlich ironiefrei tun lässt, kommt der vermeintliche Held leider nie aus der unsympathischen Ecke raus.
So geht "Beowulf" sehr schnell die Puste aus, selbst wenn man ihn auf der IMAX-Leinwand und in 3D sieht. Weil er bereits in den ersten paar Minuten aus allen Effekte-Kanonen schießt, was das Zeug hält, ist man als Zuschauer erstens ziemlich bald übersättigt von der Bilderflut und zweitens im weiteren Verlauf kaum noch wirklich zu beeindrucken. Dazu eine Geschichte, die trotz lobenswerter Überarbeitung immer noch weit davon entfernt ist, den nötigen Stoff für eine packende Filmhandlung zu bieten. Was bleibt also? Nicht viel. Ins Kino muss man dafür jedenfalls nicht gehen.
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