Elementarteilchen

Jahr
2006
Laufzeit
105 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Margarete Prowe / 31. Mai 2010

 

Wenn ein Skandalroman wie "Elementarteilchen" (1998) von Michel Houellebecq auf einen provokativen Regisseur wie Oskar Roehler ("Suck my dick", "Agnes und seine Brüder") trifft, was passiert dann wohl? Die Antwort darauf verwundert: Roehlers Adaptation des Romans ist eher brav und konventionell, liefert aber einen runden Film voller großartiger Schauspieler, der fernab des bitterbösen Zynismus des französischen Autors eine Brüdergeschichte mit einer Art Happyend erzählt.

Im Berlin kurz nach der Jahrtausendwende leben zwei Halbbrüder, Bruno und Michael, deren gemeinsame Mutter ihnen das Leben schon in ihrer Kindheit verpfuschte. Jane (Nina Hoss, "Die weiße Massai"), ein It-Girl, welches eher an Partys, Selbstfindung und jüngeren Männern interessiert war, ließ die Söhne bei den Großmüttern beziehungsweise im Internat aufwachsen, wo sie sich zu ganz unterschiedlichen, aber gleichermaßen sozial gestörten Menschen entwickelten. Der Lehrer Bruno (Moritz Bleibtreu, "Lammbock") steht auf junge Mädchen, hasst die Cellulite seiner Frau und gibt seinem Baby sogar Beruhigungstabletten, damit es ihn nicht beim Schreiben stört. Michael (Christian Ulmen, "Herr Lehmann") hingegen ist ein Forscher der Molekularbiologie, der keinerlei Gefühle gegenüber anderen Menschen hat und derzeitig erforschen will, wie sich Mensch und Tier ohne Sex fortpflanzen können. Er sagt er suche die Wahrheit, die wie ein Elementarteilchen sei, sie könne nicht weiter zerlegt werden.
In der Lebensmitte begegnen diese beiden gestörten Gestalten der jeweilig passenden Partnerin. Bruno trifft Christiane (Martina Gedeck, "Das Leben der Anderen", "Bella Martha") im "Ort der Wandlung", einer Hippie-New Age-FKK-Kommune, in die er fährt, nachdem seine und Michaels Mutter gerade gestorben ist. Christiane ist Swingerclub-Fan und lebt ihr Leben bis zum Äußersten. Währenddessen begegnet Michael nach vielen Jahren seiner platonischen Schulliebe Annabelle wieder, für die diese männliche Jungfrau um die Vierzig sich vielleicht doch noch erwärmen kann.

Bei den Zuschauern muss man zuerst unterscheiden in jene, die das Buch gelesen haben und in diejenigen, die die literarische Vorlage nicht kennen. Während Houellebecq-Leser entweder erleichtert sein werden, wie harmlos und positiv dieses Werk verfilmt wurde, oder aber sauer-enttäuscht darüber, dass sie keine Sex-Orgien und ausufernde Gewalt zu sehen bekommen haben, werden die Neulinge eher geschockt sein von "Elementarteilchen". Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass in den Filmkritiken steht, dieser Film sei harmlos. Er ist es auch, jedoch nur im Vergleich zum Buch betrachtet. Der Stoff an sich ist trotzdem teils harter Tobak und wird sich wie das Original den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit und des Zynismus anhören werden müssen.
Da Roehler den Film alles andere als werkgetreu umsetzte, lassen sich Vorlage und Bearbeitung schlecht vergleichen. Während Houellebecq die Geschichte beider Männer dazu nutzt, die moralischen und gesellschaftlichen Dilemmata des Menschen im ausgehenden Jahrtausend aufzudecken und zu kritisieren, kreist Roehlers Film durchgehend um diese beiden zentralen Figuren. Die philosophischen Exkurse des Buchs sind fast verschwunden, nur noch selten finden sich Betrachtungen wie zum Beispiel über Aldous Huxleys (negative) Utopie "Schöne neue Welt" (1932). Besonders der Handlungsstrang, der das Klonen betrifft, ist überaus schwach und zum Teil sogar einfach mit Texttafeln am Ende des Films abgedeckt. Und während das Buch krass und negativ für die Menschen endet, hat Roehler ein quasi Happyend eingefügt.

Doch abgesehen davon funktioniert "Elementarteilchen" als Film recht gut. Vor allem die Schauspieler sind natürlich zu loben, da dieser Film bis in kleinste Rollen hinein mit der Crème de la Crème des deutschen Schauspieladels besetzt ist. Besonders Moritz Bleibtreu zeigt in dieser Rolle, auf die ihn schon sein sexgeiler Bibliothekar aus "Agnes und seine Brüder" vorbereitete, was in ihm steckt. Dafür gab's auch gleich einen Bären für die beste schauspielerische Leistung bei der diesjährigen Berlinale. Auch Martina Gedeck ist hervorzuheben, da sie sowohl die erotische Präsenz, aber auch die Zerbrechlichkeit einer für den Sex lebenden Frau überzeugend darstellt. Interessant ist, dass man zwei Schauspieler kaum erkennt: Nina Hoss ist tatsächlich als alte Greisin Jane unter einem Haufen Schminke verschwunden und Uwe Ochsenknecht ist als Vater ein solch widerlicher, versiffter Alkoholiker, dass man zweimal hinschauen muss.

So ist "Elementarteilchen" zwar nicht gerade das, was man von einem Regisseur wie Roehler bei einer solch umstrittenen Vorlage erwartete, wird aber mit dem Ruf des Skandals viele ins Kino locken. Und da die Sexszenen keusch gefilmt oder gleich weggelassen wurden, muss man für diesen Film auch nicht ins Pornokino. Roehler und der Produzent Bernd Eichinger können mit sich zufrieden sein: "Elementarteilchen" wurde während der Berlinale schon in 32 Länder verkauft, noch bevor er überhaupt bei uns startete. 

 

Bilder: Copyright

7
7/10

wo sich die Christiane vom Balkon gestürzt hat ist mir folgender Spruch eingefallen:

"Der Tod eines Menschen ist eine Tragödie, der Tod von Millionen nur eine Statistik."

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Zitat von Alex Irgendwer:
"Es ist eine Frecheit das houellebecqleser hier auf Sex- und gewaltgeil reduziert werden.
Vorallem weil es in Elementateilchen so gut wie keine Gewalt gibt."

Ich glaube nicht das mit den Formulierungen eine neue Minderheit definiert bzw. beschrieben werden soll, sondern das schon Houellebecq selbst gemeint war

Permalink

9
9/10

Also für mich ist die Aussage des Films ganz einfach die, dass Glück für jeden anders aussehen kann, aber immer davon abhängt, wie wir in bestimmten entscheidenden Momenten handeln.
Und, dass Sex nicht notwendigerweise Teil eines erfüllten Liebeslebens sein muss, für andere wiederum essentiell ist.
Ich habe das Buch nicht gelesen, wusste ehrlich gesagt nicht einmal, dass dies eine Literaturverfilmung ist.

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