
Wann hat man das letzte Mal im Kino gesessen und ein dreieinhalb Stunden langes Charakterepos erleben dürfen? Allein das Auftauchen einer 15-minütigen Intermission, heutzutage nahezu vollständig aus dem filmischen Sprachgebrauch verschwunden, lässt einen bei "The Brutalist" nostalgisch an Filmklassiker wie "Lawrence von Arabien" zurückdenken. Das Niveau mag Regisseur Brady Corbet hier zwar nicht erreichen, doch trotz einer deutlich schwächeren zweiten Hälfte erreicht sein Werk vor allem dank eines beeindruckenden Adrien Brody teils eine Wucht und Tiefe, die man im heutigen Kino nur selten erlebt.
"The Brutalist" erzählt die Geschichte des ungarisch-jüdischen Architekten László Tóth (Adrien Brody, "Splice", "The French Dispatch"), der nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA emigriert – spürbar gezeichnet von den Folgen des Holocaust. Während László auf den Nachzug seiner in Europa zurückgebliebenen Ehefrau Erzsébet (Felicity Jones, "Inferno", "The Midnight Sky") und seiner Nichte Zsófia (Raffey Cassidy, "A World Beyond") wartet, kämpft er nicht nur gegen die Armut, sondern auch die gegenüber Juden feindselige Stimmung im Land. Durch Zufall entdeckt der reiche Industrielle Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce, "Memento", "The Proposition") aber Lászlós architektonische Talente und betraut ihn mit einem besonders ehrgeizigen Projekt – einem gigantischem Kulturzentrum. Für László scheint ein Traum in Erfüllung zu gehen, doch persönliche Dämonen und der Hang zum Perfektionismus stellen bald schon nicht nur den Erfolg des Projektes in Frage.

Ein wenig ironisch ist das ja schon. Eigentlich haben wir uns hier in letzter Zeit immer wieder über den grassierenden Trend zur Überlänge bei Filmen beklagt – ausgelöst durch das deutlich lockerer sitzende Korsett der Streaming-Dienste. Heute applaudieren wir dagegen einem fast vierstündigen Charakter-Epos. Entscheidend ist aber, ob man auch wirklich etwas Interessantes zu erzählen hat – und in einem solchen Fall kann ein Film oft ja gar nicht lange genug sein. Über weite Strecken hat "The Brutalist" auf jeden Fall eine lohnenswerte Geschichte zu bieten, die vor allem zwei Aspekte in den Vordergrund rückt. Zum einen den Konflikt des Künstlers mit seinem Mäzen, da László schon bald zum Spielball von Van Burens Ideen und Launen wird. Zum anderen den Neuanfang von László in einer Welt, die gefühlt auf ihn herabschaut – was für dessen Selbstverständnis und Selbstwert zur Belastungsprobe wird. So geht es hier vor allem um den schon fast verzweifelten Versuch von László, irgendwie in dieser Welt Fuß zu fassen, was der Film immer wieder symbolisch und ziemlich clever mit scheinbar nicht enden wollenden Point-of-View-Aufnahmen von Fahrstrecken aufgreift.
Überhaupt ist die Inszenierung von Brady Corbet hier eine der großen Stärken, was sich vor allem in der meisterhaften ersten halben Stunde des Films zeigt. Lászlós Ankunft in den USA ist wirklich ein audiovisuelles Erlebnis. Die Kamera bleibt nah bei ihm, fängt dabei jede kleine Unsicherheit ein und endet in einem Moment, der für mich zu den intensivsten der letzten Kinojahre gehört. Wenn Lászlós Schiff Ellis Island erreicht, sich das Panorama von New York vor ihm öffnet und der grandios minimalistische Soundtrack dazu einsetzt, entfaltet das eine unglaubliche emotionale Wucht. So muss Kino sein! Dass dann auch noch das Drehbuch die nötige Exposition in der ersten halben Stunde so elegant und unauffällig unterbringt, rundet den tollen Start in den Film ab.

Vor allem verfügt "The Brutalist" aber über eine unglaublich faszinierende Hauptfigur. Eigensinnig, aufbrausend, aber auch zutiefst verletzlich – László Tóth besitzt viele interessante Facetten. Eine dieser Figuren, denen das Sammeln von Sympathiepunkten meist egal ist, die aber gerade dadurch so faszinierend rüberkommt. Einen besessenen Künstler in den Mittelpunkt eines Films zu stellen, kann riskant sein, da dies manchmal in einer Abgehobenheit resultiert, die einem die Identifikation schwer macht. Durch die Folgen des Krieges ist László hier aber ein gebrochener Mann, und der große Reiz dieser Figur liegt vor allem darin, dass dessen großes Ego erst wieder aus den eigenen Ruinen auferstehen muss – stets mit der Sorge, alles doch wieder zu verlieren.
Gespielt wird László von einem Mann, der in den letzten Jahren etwas vom Radar verschwunden war, nun aber mit einem schauspielerischen Paukenschlag zurückkehrt. Adrien Brody ist hier schlicht fantastisch und liefert ohne Zweifel die beste Leistung seit seinem Oscar-gekrönten Auftritt in "Der Pianist" ab. Er spielt László mit einer großartigen Mischung aus stoischer Entschlossenheit und innerer Zerbrechlichkeit, wechselt dabei bedachte Bewegungen und ein fast schüchternes Lächeln meisterhaft mit emotionalen Ausbrüchen ab und schafft so eine der vielschichtigsten Filmfiguren der letzten Jahre.

Vor allem in der ersten Hälfte des Films liegt der Reiz von "The Brutalist" aber auch in der Dynamik zwischen László und Harrison Lee Van Buren – genauer gesagt dem dortigen Machtgefälle. Auf den ersten Blick wirkt Van Buren zwar wie ein reicher Fanboy von László, doch geschickt werden die wahren Machtverhältnisse hier immer wieder subtil eingeflochten. Und gerade weil für László dies die eine große Chance auf ein endlich wieder sinnvolles und erfülltes Leben ist, sorgt die manipulative Art von Harrison und deren so fragile Beziehung für eine faszinierende unterschwellige Spannung. Einzig ärgerlich ist die Tatsache, dass Guy Pearce bei der Rolle ein wenig zu dick aufträgt und sein Van Buren etwas zu stark an der Grenze zur Karikatur wandert.
Trotz dieser Schwäche vergehen die ersten 140 Minuten bis zur Intermission aber wie im Flug. Schade, dass der Film diese Intensität im zweiten Teil nicht mehr halten kann. Das liegt vor allem am Auftauchen von Lászlós Ehefrau Erzsébet. Hier verfranst sich die Geschichte dann doch deutlich, da der Konflikt mit Van Buren teils in den Hintergrund gerät und die Eheprobleme von László und Erzsébet deutlich weniger Faszination ausüben. Der emotionale Konflikt zwischen den beiden wirkt zu oberflächlich umgesetzt, und es hilft auch nicht, dass der ungarische Akzent von Felicity Jones leider spürbar künstlich wirkt (tatsächlich wurden die ungarischen Akzente der Figuren mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz nachgeschliffen – was dem Film einiges an Kritik einbrachte).

So geht "The Brutalist" im zweiten Abschnitt spürbar an Wucht und vor allem Fokus verloren. Gerade den Konsequenzen eines dramatischen Ereignisses zwischen Van Buren und László hätte man ruhig etwas mehr Zeit widmen können – und dafür zum Beispiel lieber den unnötigen Epilog weggelassen. Der versucht, der Geschichte noch eine weitere Dimension zu verleihen, wirkt aber eher wie ein Fremdkörper. Das trübt das Gesamtbild, ändert aber nichts an der Tatsache, dass vor allem dank des großartigen Brody auch die zweite Hälfte immer noch genug interessante Momente bereithält. So bleibt am Ende ein zwar nicht perfektes, aber faszinierendes Werk, das trotz seiner inhaltlichen Unebenheiten für Freude und ein schönes Kino-Erlebnis der alten Schule sorgt. Und angesichts von zehn Oscar-Nominierungen (u. a. "Bester Film", "Beste Regie" und "Bester Hauptdarsteller") stehen die Chancen nicht schlecht, dass "The Brutalist" ein paar ordentliche Fußstapfen in der Filmgeschichte hinterlassen wird.
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