The Proposition

Originaltitel
The Proposition
Land
Jahr
2005
Laufzeit
99 min
Genre
Bewertung
von Simon Staake / 16. November 2010
Mit "The Proposition - Tödliches Angebot" erscheint mit zweijähriger Verspätung ein Film auf DVD, dem Vorschusslorbeeren als "bester Western seit ‚Erbarmungslos'" und echtes Filmerlebnis vorausgingen. Darum gleich im Voraus: Ja, der Film ist so gut (auch wenn es seit "Erbarmungslos" ohnehin eigentlich keinen richtig großartigen Western mehr gab, aber was soll's), wird sich wohl als eines der Highlights des Filmjahres erweisen und wird erfreulicherweise auf DVD technisch auch so präsentiert, wie es sich gehört.
Soll heißen: Die atemberaubenden Breitbildaufnahmen von Benoit Delhomme werden in einem perfekten Bildtransfer eingefangen, der Ton unterstützt das Geschehen mit pfeifenden Kugeln im Anfangsgefecht und dem eigenwilligen, aber gelungenen Score von Nick Cave, der hier auch für das Drehbuch verantwortlich ist. Nur an Extras gibt es leider im Gegensatz zu den englischen oder amerikanischen Discs leider nichts (und zwar wirklich nichts, null, nada, niente), was ausgesprochen schade ist. Zumal Cave sicher einiges Interessantes zu erzählen hat zur Entstehung des Projekts, bei der er eigentlich nur mal lose angesprochen wurde, ob er nicht Lust habe den Soundtrack für einen Western zu verfassen und ein paar Wochen später mit dem Drehbuch zu "The Proposition" fertig war.

Die von ihm ersonnene Geschichte dreht sich um drei Brüder, die berüchtigte Murphy-Bande. Zwei der Brüder, Charlie (Guy Pearce) und sein jüngerer Bruder Mike (Robert Wilson) werden von dem Polizeibeamten Stanley (Ray Winstone) verhaftet. Stanley macht daraufhin Charlie das titelgebende tödliche Angebot: Er hat neun Tage Zeit, seinen älteren Bruder Arthur (Danny Huston), den unberechenbaren und psychopathischen Anführer der Bande, zu finden und zu töten, ansonsten landet der junge Mikey am Galgen. Diese ungewöhnliche Maßnahme des keineswegs sadistischen, sondern vom Aufbau einer Zivilisation mit Recht und Ordnung getriebenen Stanley bekommt bald für ihn und seine Frau (Emily Watson) unschöne Konsequenzen, als sich Stanleys Chef (David Wenham) einmischt. Währenddessen zieht Charlie durch die unwirtliche australische Wüste, das tödliche Angebot in Gedanken und den Finger schnell am Abzug….

Hätte es "Bloody Sam" Peckinpah in seiner zu kurzen und zu selbstzerstörerischen Karriere mal nach Australien verschlagen, er hätte wohl einen Film wie "The Proposition" gedreht. Blutig, knallhart, voller Antihelden. Einzig Peckinpahs durchaus vorhandene Sentimentalität, die selbst seine derbsten Gewaltopern durchzog, wird hier ebenfalls durch den Fleischwolf gedreht. Regisseur John Hillcoat und Drehbuchautor Nick Cave ersparen sich jede Zartheit, jeden aufgesetzt fröhlichen Moment, um das alltägliche Grauen und die allgegenwärtige Gewalt, welche hier den australischen Outback durchziehen, irgendwie erträglicher zu machen.
"The Proposition" ist kein schöner Film, aber ein herausragender; weil er nicht nach Genremustern spielt; weil er keine Helden hat; weil man vielleicht viele Western gesehen hat, aber keinen (oder kaum einen), der so unversöhnlich in den Abgrund guckte, ohne auch nur einmal zu blinzeln.

Und dann muss man sich natürlich daran erinnern, dass das Drehbuch von dem Nick Cave geschrieben wurde, jenem düsteren Poeten, der mit seiner eigenen Bande von unrasierten Outlaws, den Bad Seeds, seit knapp 25 Jahren durch die Weiten der Songschreiberprärie zieht und auch dort kaum Gnade kannte. Erinnerungen werden wach an Caves teils düsteres, teils schwarzhumoriges (mit Humor so schwarz wie die Hölle) Mörderepos "Muder Ballads", in dem er nicht nur Kylie Minoque als Eliza Rose abmurkste, sondern in der vulgär-brutalen Westernballade "Stagger Lee" auch so unglaubliche Zeilen sang wie "'Yeah, I'm Stagger Lee and you better get down on your knees / And suck my dick, because if you don't you're sure to be dead" und "Well those were the last words that the barkeep said / ‚Cause Stag put four holes in his motherfucking head".
Solche Momente gibt es auch in "The Proposition". Dass dieses Drehbuch allerdings jetzt kommt, wo Cave musikalisch altersmilde und weise geworden ist wie Morgan Freeman überrascht denn doch. Mittlerweile ist aus dem atonal bellenden ehemaligen Punk-Nihilisten ja ein eleganter Chansonnier geworden, der Lieder komponiert, die eher an die englische Romantik eines Shelley oder Coleridge erinnern. Aber ab und zu bricht in ihm noch mal der wütende, zutiefst pessimistische Punk durch (etwa in seinem gerade angelaufenen back-to-the-roots-Projekt "Grinderman"), und "The Proposition" ist wie eine Mischung beider Formen, metaphysische Naturpoesie, eingefangen in den mal malerischen, meist aber sinister wirkenden Wüstenlandschaften, durchsetzt mit kurzen, derben, nihilistischen und ultragewalttätigen Attacken.

Caves gemütvolle Seite scheint auch im Porträt des Ehepaars Stanley durch, das sich auch in der unbarmherzigen Hölle der australischen Einöde nicht nur an seine Liebe klammert, sondern auch an die Erinnerungsstücke einer zivilisierten Welt daheim in England, deren Rituale im Dreck und der gesetzlosen Einsamkeit um sie herum fast albern wirkt. Aber für seine Frau und besonders für Stanley selbst sind es einzig diese kleinen Rituale - das Anbauen eines Gartens, das englische Frühstück - die sie davor bewahren, dem sie umgebenden Wahnsinn, der Gesetzlosigkeit, dem Schmutz und dem Teufel anheim zu fallen.
Die Erschaffung eines Gartens inmitten von Ödland und Wildnis - seit jeher das Bild für den Beginn von Zivilisation. Und dieser Traum eint die Eheleute Stanley. "Ich werde dieses Land zivilisieren" ist Stanleys Credo, auch wenn er im Laufe der Zeit feststellt, dass dieses ehrgeizige Ziel eine Sysiphusarbeit ist, die nur an einem scheitern wird: Nicht dem Land selbst, sondern immer den Menschen darin.

Das Land selbst, es ist der heimliche Hauptdarsteller von "The Proposition". Diese unwirtlichen, auch unwirklichen Landschaften, die noch etwas anderes zu verbergen scheinen als den Banditen Arthur. Kein Wunder, dass der sich in die Berge verdrückt hat, um dort als Mischung aus Scharlatan, Schamane und Serienkiller zu leben.
Charlie mag die Hauptfigur des Films sein, interessanter als Guy Pearces enigmatischer Wanderer sind aber andere. Etwa der alte Kopfgeldjäger Jellon Lamb, in seinen zwei Kurzauftritten erfrischend verrückt von John Heard gespielt. Und natürlich Ray Winstones Captain Stanley, die ambivalenteste Figur des Films. Das unmoralische und unmenschliche titelgebende Angebot müsste ihn eigentlich zum Bösewicht stempeln, aber schon bald merkt man, dass es nicht so einfach ist. Stanley biegt hier die Regeln, bricht sie, aber er glaubt an sie, an Recht und Ordnung, und er versucht, seiner Frau ein guter Ehemann und der ihm unterstellten Stadt ein guter Polizeioffizier zu sein.
Nur starke Filme erlauben sich moralische Grauzonen, "The Proposition" besteht eigentlich nur aus ihnen. Und lässt dankenswerterweise Raum für Interpretationen. Was treibt Stanley, als er versucht, die Auspeitschung Mikeys zu verhindern? Die Sicherheit, dass dieses Auspeitschen sein eigenes Todesurteil ist? Sein Ehrenkodex, da er Charlie sein Wort gegeben hat? Der grundsätzliche Eid des Polizeioffiziers gegen Lynchjustiz? Von allem ein bisschen? Aber von was wie viel?

Geholfen wird der ambitioniert geschriebenen Figur durch die Darstellung von Ray Winstone, dessen übliche Besetzung als eisenharter Scheißkerl (wie gerade kürzlich in "Departed - Unter Feinden") ihn eigentlich für die Rolle des harten Polizeimanns prädestiniert, der aber vor allem in den ruhigeren Szenen glänzt. Winstone zeigt alle Seiten seiner Figur und beweist wie schon in Filmen wie "The War Zone", dass in ihm mehr steckt als nur der harte Bösewicht. Als seine Frau ist Emily Watson eine recht schmale undankbare Rolle zugefallen, welche die hier aufgrund ihrer Schwangerschaft ausnahmsweise nicht schmale Schauspielerin aber trotzdem recht gut ausfüllt. Einzig David "Faramir" Wenhams Rolle als arroganter englischer Kolonialist bleibt Karikatur.
Und dann ist da ja noch Danny Huston als der gesuchte Bruder Arthur, von dessen Bösartigkeit und Unmenschlichkeit man in der ersten Filmhälfte so viel hört, dass man ein wenig verdutzt ist, als man dann ausgerechnet ihn in der Rolle sieht. Ist doch Danny Huston sonst in Hollywood als glattrasierte Grinsekatze immer auf die Rolle des arrogant-schleimigen, leicht undurchsichtigen Freundes abonniert (zuletzt in "The Number 23"). Zwar ist er hier wie alle mit Zauselhaaren und wildem Vollbart ausgestattet und auch an ihm klebt eine Mischung aus Schweiß, Dreck und Tod, aber Hustons beeindruckende, subtil erschreckende Performance überrascht denn doch. Geschickt wird Arthur als ein Mann zwischen den Welten porträtiert, der innerhalb von Sekunden vom zivilisierten Kenner der Hochkultur zum brutalen Monster jenseits jeglicher Menschlichkeit degeneriert - und ein paar Minuten später wieder zurück.

Bisweilen weht in einem derart metaphysisch angehauchten Western wie diesem freilich nicht nur das Lied vom Tod durch die Prärie, sondern auch ein Hauch des Prätentiösen, wenn etwa einige Landschaftsaufnahmen mit ein bisschen Lyrik aus der Feder Caves (die er dann im "Rider Song" über dem Abspann auch in Liedform darbietet) unterlegt werden. Was aber anderswo peinlich und doof wirkt, passt hier einfach - zu den mythischen Untertönen, die man besonders der Figur des Arthur Murphy verpasst hat, zum (alp-)traumhaften Ton und Tempo, zur Charakterisierung der australischen Einöde als Ort des Wahnsinns.
In den frühen 1970ern gab es einige Western dieser Art, wie sie Althippies unter LSD drehten. Regisseur Hillcoat hat einen ähnlichen Stil und eine ähnlich meditative Story, vermutlich aber nicht die Hand im Drogenpott, weswegen "The Proposition" immer stringent und zwingend wirkt. Und sich zweifelsohne als grandioser Eintrag in das Westerngenre präsentiert, wie es ihn ganz selten gibt. Der Western mag eigentlich tot sein, aber ab und zu, in solch Filmperlen wie Eastwoods Oscar-gekröntem "Erbarmungslos" oder eben "The Proposition", schlägt er noch einmal zurück, und das härter und gnadenloser als jemals zuvor. Und Zivilisation bleibt der Menschheit größte Illusion.

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"...wie sie Althippies unter LSD drehten..."

cool, cool, wahrscheinlich wirklich beeindruckend.

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9
9/10

Ich bin weiss Gott nicht immer Hr. Staake´s Meinung, aber verdammt nochmal: mit dieser Reszension hat er 100 % Recht.

Man merkt, wenn man auf einen echten Westernkenner trifft. Selbst der Vergleich zu Peckinpah ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen.

Dem gibt es wirklich nichts mehr hinzuzufügen.
Meine Hochachtung, grandioser Film....

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Manchmal wundert mich Herrn Staakes Meinung aber schon ein wenig. Er kommt vom seinem sicheren Sofa mit sicherem DVD-Spieler, setzt sich an seinen sicheren Computerarbeitsplatz und schreibt schließlich vom (für ihn) ganz offensichtlichen SCHEIN der Zivilisation. Warum ist man so wild drauf, Filme zu sehen, die ausgerechnet das leugnen wollen, was uns überhaupt die Möglichkeit gibt sie zu machen und sie zu sehen - nämlich Zivilisation?

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1
1/10

Ich will ehrlich sein: Stinklangweiliger Film. Hab absolut nichts empfunden. Ein Hohn, ihn mit Erbarmungslos zu vergleichen.

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4
4/10

Ich gebe Sunspecter recht. Der Film hat mich nicht vom Hocker gerissen. Alsoich kann den Film nicht weiter empfehlen.

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Intensiver Streifen. Ganz großes Kino.
Jetzt hat Guy Pearce schon eine ziemlich beeindruckende Fimographie

- LA Confidential
- Memento
- The Proposition

Hut ab!

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9
9/10

Ich hatte KEINE Ahnung von diesem Film bevor ich ihn mir ansah. Eigentlich versuche ich schon up-to-date zu bleiben bei den Neuerscheinungen, aber "Proposition" ist mir total durchgerutscht. Eine Schande, dass so ein Film nicht im Kino gelaufen ist. Da kann ich zwischen solchen Granaten wie "Wild Hogs", "Epic Movie", "Little Man" und "Pirates 3" (Schauder) wählen, während ein solcher Film "nur" auf DVD nach Deutschland kommt. Ein absoluter Klassefilm.

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9
9/10

Finde auch, daß der Film absolut empfehlenswert ist. Die Rezension bringts gut auf den Punkt.

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5
5/10

ein guter Film, aber die Längen sind einfach zu lang ;-)

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