The French Dispatch

Originaltitel
The French Dispatch
Land
Jahr
2021
Laufzeit
103 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Anna Sola / 22. Oktober 2021

Nicht nur die Geduld der James Bond-Fans, auch die der Wes Anderson-Fans wurde während der Covid 19-Pandemie hart auf die Probe gestellt: fast anderthalb Jahre mussten sie warten, um seinen neuesten Film “The French Dispatch“ auf der großen Leinwand sehen zu können. Doch das Warten hat sich gelohnt, Andersons Hommage an den “New Yorker” und seine Journalisten kommt nicht nur mit einem größeren Staraufgebot als je zuvor daher, sondern strotzt nur so vor liebevollen Details, Zitaten und visuellen Gags, die besonders seine treuen Fans entzücken werden. Denn der Regisseur bleibt seinem Stil nicht nur treu, er treibt seine Markenzeichen in seinem 10. Film auch so sehr auf die Spitze, dass man meinen könnte, er parodiere sich selbst. So sehr, dass man statt “Episodenfilm” auch genauso gut “Wes Anderson” als Genre hätte angeben können.

Die meisten guten Ideen seien in Wirklichkeit eine Kombination aus mehreren Einfällen, behauptete Wes Anderson in einem Interview. Und da er schon immer mal einen Episodenfilm, einen Film über sein Lieblingsmagazin “The New Yorker” und einen Film in Frankreich machen wollte, sei “The French Dispatch” eigentlich nur die logische Konsequenz daraus.

 

Der Film beginnt mit einem Einblick in den Redaktionsalltag des "French Dispatch" unter der lakonisch-pragmatischen Leitung von Chefredakteur Arthur Howitzer, jr. (gespielt natürlich vom großartigen Wes Anderson-Kollaborateur Bill Murray). Eine Redaktion, von der Journalisten nur träumen können: ist die Geschichte zu lang, wird mehr Papier geordert, individuelle Macken werden liebevoll toleriert (nur Weinen im Büro des Chefs ist nicht erlaubt!) und Reportagen mit einem gewissen Pragmatismus lektoriert.

Vier dieser Reportagen machen dann den Hauptteil des Films aus: Zunächst geht es mit dem “Cycling Reporter” Herbsaint Sazerac (gespielt von Owen Wilson) und seinem Rennrad auf eine Entdeckungstour durch Gegenwart und Vergangenheit des fiktionalen Städtchens Ennui-sur-Blasé. Weiter geht es mit der stärksten Episode, “The Concrete Masterpiece”, in der Moses Rosenthaler, ein inhaftierter Maler (überzeugend gespielt von Benicio del Toro) die Kunstwelt (Adrien Brody, Henry Winkler, Tilda Swinton) mit abstrakten Porträts seiner Wärterin und Muse Simone (Léa Seydoux) auf den Kopf stellt. In “Revisions to a Manifesto” fürchtet Lucinda Krementz (wie immer fantastisch: Frances McDormand) um ihre journalistische Integrität, nachdem sie sich mit dem Anführer einer Studierenden-Revolte, Zeffirelli (Timothée Chalamet) einlässt. In der letzten Episode “The Private Dining Room of the Police Commissioner” ist es dann an Roebuck Wright (Jeffrey Wright), die turbulente Geschichte einer Entführung zu erzählen.

Dabei geht es Wes Anderson eher um detailverliebte Inszenierungen einzelner Bilder als um tiefgründiges Geschichtenerzählen. Das hier ist kein “Short Cuts” auf Basis seelenergründender Kurzgeschichten Raymond Carvers, sondern eine Sammlung von aneinandergereihten Bildern und absurden Ideen und visuellen Gags, die für Novizen im Anderson-Universum eventuell etwas anstrengend und zusammenhanglos scheinen könnten, bei seinen Fans aber einen Freudenjauchzer nach dem anderen auslösen werden. Seiner Liebe zur Symmetrie, Querschnitten von Gebäuden, zentral eingesetzten Figuren, Bonbonfarben, verspielten Namen und absurden Details (etc.) lässt der Regisseur hier freien Lauf, und auch einem Genre- und Formatmix (Widescreen, Letterbox, Schwarzweiß, Animiert) steht Dank des episodischen Aufbaus nichts im Wege.

Es ist auch keinesfalls ein Zufall, dass die vierte Episode während einer rasanten Verfolgungsjagd zum Zeichentrick wechselt: Erstens werden “bandes dessinées” in Frankreich als Kulturgut angesehen und zweitens ist der Drehort Angoulême, welcher im Film zu Ennui-sur-Blasé wurde (wobei “ennui” des Amerikaners liebste französische Vokabel nach “merde” ist), Austragungsort eines bedeutenden Comicfestivals und wichtiger Standort der Animationsindustrie, welche auch gleich für den Film angeheuert wurde.

Um diese Details und die unzähligen Auftritte und Gastauftritte berühmter Schauspieler wirklich wahrzunehmen, braucht auch ein geschultes Auge mehr als eine Filmvorführung, denn zu den allesamt mit großen Stars besetzten zwölf Hauptrollen kommen nochmal 16 (!) Nebenrollen, die mit Darstellern wie Willem Dafoe, Edward Norton, Elisabeth Moss oder Saoirse Ronan nicht minder hochkarätig besetzt sind. Anscheinend ist Wes Anderson an dem Punkt angelangt, an dem vor ihm einmal Woody Allen war - jeder möchte mal mit ihm gedreht haben, und niemand ist sich auch für den kleinsten Auftritt zu schade.

Einzig die exzessiven Zeitlupen zu 70er Jahre Rockmusik fehlen in Andersons Fest der Eigenreferenzen, dafür gibt es in der Episode um den inhaftierten Maler eine Sequenz, in der die Figuren in ihren übertriebenen Posen gänzlich verharren. Ein visuelles Meisterwerk, was hervorragend als Grundlage für reine Debatte über “Form und Stoff” geeignet wäre. Leider mit einigen Längen, drei Episoden hätten es auch getan.

Wie schon zu Anfang angedeutet: es wirkt etwas, als wolle der Regisseur einmal alles auf die Spitze treiben, was ihm lieb ist und seinen Stil über die Jahre geprägt hat. Wäre der Film nicht schon vor der Pandemie produziert worden, man könnte meinen, alles, was er an Kreativität in sich aufgestaut hatte während des Lockdowns müsse auf einmal raus. Das ist sowohl gut als auch schlecht, je nachdem, wie sehr man Wes Anderson und den “New Yorker” schätzt. Offenlegung: diese Rezensentin liebt nicht nur Wes Anderson, sie hat auch seit Jahren ein Abonnement des “New Yorker”.

Bilder: Copyright

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.