Der 13-jährige Conor O’Malley (Lewis MacDougall) lebt mit seiner Mutter (Felicity Jones) in einer kleinen Stadt in England. Trotz seines jungen Alters wird Conor bereits einiges an Selbständigkeit abverlangt, denn die Mutter ist durch ihre schwere Krankheit stark geschwächt. Der kreative und phantasievolle Junge ist es gewohnt, für sich selbst zu sorgen und sich alleine zu beschäftigen. So sitzt er beispielsweise häufig in seinem Zimmer und zeichnet. Sein Vater (Toby Kebbell) hat die Familie schon vor Jahren verlassen, auch Freunde hat Conor keine. In der Schule wird er von einigen Mitschülern gemobbt und regelmäßig zusammengeschlagen. Als wäre all das nicht bereits schlimm genug, soll Conor nun auch noch zu seiner verhassten Großmutter (Sigourney Weaver) ziehen, weil es seiner Mutter zunehmend schlechter geht. Zwar will die Großmutter für den Jungen nur das Beste, doch die beiden können sich einfach nicht riechen und für Conor ist die Vorstellung schrecklich, jeden Tag mit ihr zusammen verbringen zu müssen. Angesichts dieser Umstände ist es nur allzu verständlich, dass der Junge sich in seine Phantasie flüchtet. Nicht nur kann und will er nicht sehen, wie schlecht es um die Gesundheit seiner Mutter tatsächlich steht (was die Erwachsenen zudem so weit wie möglich vor ihm verbergen zu versuchen), eines Nachts verwandelt sich zudem die große, alte Eibe vor seinem Fenster in ein riesiges Ungeheuer. Dieses Monster kündigt an, Conor drei Geschichten erzählen zu wollen und sucht Conor fortan regelmäßig auf – stets genau um sieben Minuten nach Mitternacht.
Die komplexe und lebensnahe Beschreibung des Lebens und der Gefühlswelt Jugendlicher gehört zu den Stärken von Patrick Ness, der auf der Grundlage seines eigenen Romans das Drehbuch zu „Sieben Minuten nach Mitternacht“ geschrieben hat. Dank dieses Drehbuchs, der gekonnten Regie von J.A. Bayona („Das Waisenhaus“, „The Impossible“) und der hervorragenden Leistung des jungen Hauptdarstellers lässt auch der Film seine Zuschauer ganz in die schmerzvolle Welt von Conor O’Malley eintauchen. Mit Lewis MacDougall, dessen einzige Filmrolle zuvor eine Nebenrolle in „Pan“ gewesen war, haben Bayona und sein Team hier einen äußerst talentierten jungen Darsteller gecastet. Sein stets vollkommen überzeugendes und natürliches Schauspiel ermöglicht es MacDougall, den Film weitgehend allein zu tragen. Abgesehen von den beiden eingeschobenen Animationssequenzen (dazu später mehr) ist Conor nämlich in so gut wie jeder Szene zu sehen. Trauer, Wut, Verzweiflung und vieles andere bringt sein junger Darsteller dabei mit einer Intensität und Glaubwürdigkeit zum Ausdruck, wie sie selbst bei viel erfahreneren, erwachsenen Schauspielern nicht immer selbstverständlich ist.
Da die Geschichte also ganz aus Conors Sicht erzählt wird, sind alle anderen Charaktere hier nur Nebenfiguren. Conors Beziehungen zu ihnen arbeitet der Film jedoch gut heraus. Felicity Jones („Rogue One“) hat dabei die zwar natürlich wichtige, aber etwas undankbare Rolle der krebskranken und stark geschwächten Mutter abbekommen. Mehr Leinwandzeit bekommt dagegen Sigourney Weaver („Avatar“), deren Rolle ebenfalls eine rein unterstützende ist und die durch ihr zurückhaltendes Schauspiel keine Aufmerksamkeit erregt. Dafür spielt sie die verhärtete, nach außen emotional kalte Großmutter aber erwartungsgemäß überzeugend. Auch Toby Kebbell („RocknRolla“, „Ben Hur“) gelingt es in wenigen Szenen, Conors Vater zu einer mehrdimensionalen Figur zu machen. Es wirkt nur allzu menschlich und nachvollziehbar, dass der von seinem Sohn etwas entfremdete Vater nicht so recht weiß, wie er mit der Situation umgehen soll.
Schauspielerisch gibt es hier also absolut nichts zu meckern. Aber wie steht es denn um das (im Original) titelgebende Monster, das sich Conor in Ermangelung guter Freunde und nahestehender Familienmitglieder, mit denen er wirklich reden kann, kraft seiner Phantasie erschafft, um mit der Situation umzugehen? Die visuelle Umsetzung ist hier hervorragend gelungen; wenn sich der große, knorrige Baum nachts in den Körper und die Gliedmaßen des Monsters entfaltet, dann fügt sich das passend in die düstere Bildsprache des Films ein. In Liam Neeson hat man zudem einen sehr passenden Sprecher für das Monster gefunden. Der Schauspieler verleiht dem Wesen nämlich sowohl eine väterlich warme, als auch eine bedrohliche Seite. Überhaupt ist das Monster ja nicht nur da, um Conor zu beschützen oder ihn in seiner Weltsicht zu bestätigen, sondern es repräsentiert den noch verborgenen Teil seines eigenen Bewusstseins, der längst weiß, dass er sich den Realitäten des (Erwachsenen-)Lebens früher oder später stellen muss – so jedenfalls eine mögliche Interpretation. In Form von drei Geschichten, die das Monster Conor erzählt, bringt es ihm wichtige Lebenslektionen bei und sagt ihm, was er hören muss – auch wenn er es nicht hören will. Zwei dieser Geschichten visualisiert der Film in Form wunderschöner Animationssequenzen, die die fantasievoll-düstere Stimmung des Films nochmals unterstützen.
„Sieben Minuten nach Mitternacht“ ist nur vordergründig ein Fantasy-Film. Vielmehr handelt es sich um eine Geschichte, die Fantasy-Elemente verwendet, um von Verdrängung, Erwachsenwerden, Loslassen und Heilung zu erzählen. Zwar ist der Film nicht ganz ohne Längen, aber die durchweg starken Schauspielleistungen – insbesondere des jungen Hauptdarstellers – und die stimmige Inszenierung Bayonas lassen einen tief in Conors Gefühlswelt eintauchen. Da muss man schon aus sehr hartem Holz geschnitzt sein, um am Ende nicht vollkommen vom Geschehen ergriffen zu sein. Und gespannt sein auf Bayonas nächstes Werk darf man übrigens auch schon mal: Dem Regisseur wurde die Fortsetzung von „Jurassic World“ anvertraut, einem Franchise, in dem es ja unter anderem auch immer wieder um die Beziehung zwischen Kindern und Monstern geht. Mit „Sieben Minuten nach Mitternacht“ hat der Spanier bewiesen, dass er dafür definitiv ein gutes Händchen hat.
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