Wohl kaum jemand hat in Hollywood seinen Kredit so schnell verspielt wie Guy Ritchie - außer vielleicht M. Night Shyamalan, und selbst der brauchte ja mehr als zwei Filme. Nach "Snatch", dem Mehr-oder-weniger-Remake seines "Bube, Dame, König, GrAs" sah es ja so aus, als würde alles für ihn laufen. Eheglück mit der größten Popikone der Welt und dazu eine steile Karriere in Hollywood. Oder so dachte man. Einen miserablen Film später, den er eben jener Popikonen-Ehefrau auf den zugegeben noch immer knackigen Leib schneidern wollte, sah es plötzlich schon ziemlich düster aus. Und als er dann mit "Revolver" den wohl prätentiösesten Gangsterfilm aller Zeiten, vor allem aber den vielleicht ärgerlichsten Film der letzten Jahre abdrehte, war's zappenduster und Ritchies Karriere in einem schwarzen Loch verschwunden. Kenner sprechen da auch von der Madonna-Antimaterie-Theorie. Seitdem: Kinder hüten, jetzt: Scheidung. Und endlich (oder auch: Oh Gott, schon?) eine neue Räuberpistole aus dem Hause Ritchie (ehemals: Ciccone-Ritchie).
Und diese entspinnt sich folgendermaßen: One-Two (Gerard Butler) und Mumbles (Idris Elba), die sich zusammen mit ihrem Kumpel, dem "schönen Bob" (Tom Hardy) "The Wild Bunch" nennen, sind Kleinkriminelle in London mit großen Plänen. Diese sind auch von Nöten, weil One-Two und Mumbles bei Übergangster Lenny Cole (Tom Wilkinson) in der Kreide stehen und dessen rechte Hand Archie (Mark Strong) nicht nur für seine Ohrfeigen gefürchtet ist. Da Lenny grade vor dem Abschluss eines Riesengeschäfts mit dem Fußballvereine kaufenden (Roman Abramowitch lässt schön grüssen!) russischen Mafioso Uri (Karel Roden) steht, sehen One-Two und Mumbles ihre Chance, auch dank des Doppelspiels von Stella (Thandie Newton), der Finanzberaterin Uris. Und dann ist da noch Johnny Quid (Toby Kebbel), Lennys Stiefsohn und seines Zeichens Rocker mit enormem Drogenproblem (Pete Doherty lässt schön grüssen!), der in die diversen Intrigen, Diebstähle und Betrugsversuche hineingezogen wird, in die sich sämtliche Protagonisten hier verwickeln.
Die gute Nachricht für alle Ritchie-Fans (alle drei noch vorhandenen): Es ist alles besser geworden. Die schlechte: es konnte ja nach dem bei uns nicht mal im Kino gelaufenen "Revolver" auch nur noch bergauf gehen. Natürlich muss man nach dem desaströsen Doppelschlag "Swept Away" und "Revolver" bei "RocknRolla" von einer Rückkehr zur alten Form sprechen, aber diese ist natürlich höchst relativ. So schlimm waren Herr Ritchies letzte Leinwandabenteuer, er hätte auch zwei Stunden die Zwerghamster seiner Kinder ablichten können und es wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen.
Von einem kreativen Comeback möchte man trotz deutlichem Formanstieg auch deswegen nicht sprechen, weil Ritchie ja - wenn er nicht gerade cineastische Katastrophen abliefert - immer ein und denselben Film macht. Nun also wieder mal cartoonartige Gangster mit lustig-albernen Namen, die sich gegenseitig übers Ohr hauen, während sie einem mehr oder minder wichtigen Gegenstand hinterher jagen. Hmm, wo hat man das schon mal gesehen? Ach ja. "Bube, Dame, König, GrAs". Und "Snatch". Und nun serviert uns Ritchie also zum dritten Mal den alten Wein in neuen Schläuchen. Dies macht er hier zwar durchaus mit Energie und Verve, aber ohne irgendwelche Neuerungen oder kreativen Anstöße. Stillstand ist ihm hier Fortschritt, weil richtiger Fortschritt bei ihm ja Sturz ins bodenlos Miese bedeutet. Und nachdem er nun einsehen musste, dass er weder für Romantikkomödien taugt, noch sich sonderlich als Philosoph und Kabbalah-Mystiker eignet, nun also Rückschritt als Rettungsanker, bevor seine Karriere endgültig weggespült ist.
Ein, zwei Dinge hat Ritchie verfeinert, etwa den Helden als hirnlosen Hallodri. Seine Hauptfiguren waren ja immer nur halb so schlau wie sie dachten, aber immerhin glücklicher als der Rest der sie umgebenden Gauner. Nun hat er mit "One-Two" eine Figur, die sich noch mehr der Lächerlichkeit preisgeben muss als etwa Jason Statham in den Vorgängerfilmen. Der von Gerard Butler nur mäßig einprägsam gespielte Kleinganove ist im Grunde genommen ein gutmütiger Depp, zwar rein durch Butlers physische Präsenz durchaus als cooler Gangster zu erkennen, aber ansonsten immer in Situationen, aus denen er nur mit Glück statt Verstand heil herauskommt. Ritchie macht daraus einen Running Gag, wenn One-Two schon beim ersten und ziemlich leichten Überfall eine leicht dümmliche Figur abgibt und dann beim zweiten Versuch auf unvorhergesehen massiven Widerstand stößt. Im Grunde ist seine nur mäßige Intelligenz allerdings auch das einzige Zeichen von Charakter, denn wie auch die "Wild Bunch"-Kollegen Mumbles und der schöne Bob ist er eine reine Cartoonfigur ohne auch nur den Ansatz von Tiefe.
Was in einem Gangster-Comicstreifen ja eigentlich auch okay ist, ist ja schließlich nicht Dostojewsky hier. Aber ein kleines bisschen mehr hätte es schon sein dürfen an Charakterisierung, einfach auch um das Interesse am Schicksal der Gangsterbrut hier für fast zwei Stunden aufrecht zu erhalten. Der Rest der Crew arrangiert sich mit ihren ebenso eindimensionalen Rollen: Tom Wilkinson chargiert überzogen als Gangsterboss, Toby Kebbel gibt den drogenabhängigen Rock'n'Roll-Sänger als pompösen Möchtegernmystiker à la Jim Morrison. Karel Roden ist wieder der Bösewicht aus dem ehemaligen Ostblock, Thandie Newton als femme fatale möchte man zurufen, doch bitte mal wieder was zu essen, so dürr und fragil sieht sie hier aus. Die amerikanischen Importe Jeremy Piven und Sean "Ludacris" Bridges haben hier als Johnnys Manager dagegen so gut wie nix zu tun. Richtig cool ist eigentlich nur Mark Strong als Archie, der auch den mit Informationen voll gestopften Erzählerkommentar spricht.
Tja und so ist es halt tatsächlich wie immer in Ritchies Gangsterfilmen. Das kann man sich gut ansehen, das unterhält auch ganz gut, aber neu oder anders ist das nicht mehr. Vor zehn Jahren vielleicht noch neu wirkende Figuren wie der bullige schwarze Straßengangster, der ungeahnte Kenntnisse in hoher Kunst zeigt, sind mittlerweile längst ins Klischee übergegangen. Außer einer wirklich ganz gewitzt montierten Sexszene, einem ganz ulkigen Macguffin (das "Glücksbild", das man dann passenderweise auch nie zu Gesicht bekommt) und einem netten animierten Vorspann gibt es hier nichts wirklich Erwähnenswertes außerhalb der bekannten Ritchie-Gangster-Manierismen. Deswegen weiß man auch nicht, wem man diesen Film eigentlich ans Herz legen soll: Den Fans von Ritchies ersten beiden Filmen vielleicht, aber die werden hier nichts finden, was es in "Bube, Dame, König, GrAs" und "Snatch" nicht auch schon gab, und das besser oder zumindest frischer. Ja, und ob sich jemand anderes nun groß für Ritchies Männerphantasien interessiert, in der Homophobie übrigens einen nicht unbedeutenden Raum einnimmt, sowohl für Schwulenwitze als auch als Plotelement, ist noch die Frage.
"RocknRolla" macht das, was er machen will, nicht schlecht. Es ist nur schade, dass er so wenig machen will. Es muss ja nicht gleich tiefste Philosophie sein, Herr Ritchie, aber nun reicht es langsam wirklich mit Kleingangstern in London. Auch wenn Guy uns am abrupten Ende des Films warnt, "Johnny, One-Two und der Wild Bunch werden in 'Der wahre RocknRolla' zurückkehren" und die geplante Trilogie schon im Hinterkopf ist. Aber ganz ehrlich: Ein RocknRolla reicht uns erstmal.
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