Für eine ganze Weile erschien Jason Reitman als einer der vielversprechendsten jungen Regisseure in Hollywood, denn er legte mit einer ziemlich beeindruckenden Reihe wirklich guter Filme los. Nach seinem genüsslich-giftigen Debüt „Thank you for smoking“ folgten die herausragenden, Oscar-reifen „Juno“ und „Up in the Air“ und schließlich die eigenwillige, mutige Charakterstudie „Young Adult“. Reitman schien fast unfehlbar. Dann kam im Frühling dieses Jahres „Labor Day“, und Reitmans Gespür für starke Erzählung und gleichermaßen komplexe wie nachvollziehbare Charaktere zeigte auf einmal unerwartete Schwächen. Man war geneigt, ihm dies als einmaligen Ausrutscher noch mal durchgehen zu lassen. Doch nun folgt leider gleich darauf der nächste Flop. Ein Film, bei dem Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander klaffen, dass man geneigt ist, einen bedenklichen Fall von Selbstüberschätzung zu unterstellen.
Es geht schon beim Filmtitel los. „#Zeitgeist“ suggeriert mit nicht gerade wenig Affektiertheit, dass man sich hier aber mal ganz genau mit den Auswüchsen sozialmedialer Kommunikation in unseren so schnelllebigen Zeiten auseinandersetzen werde. Man mag es Reitman und seinem Film zugute halten, dass dieser affektierte Titel dem deutschen Verleiher entsprungen ist. Der Originaltitel macht die Sache aber auch nicht besser. „Men, Women & Children“ (wie der Roman von Chad Kultgen, auf dem der Film basiert) ist gleichzeitig so nichtssagend und allumfassend, dass auch hier deutlich der Anspruch durchscheint, ein allgemeingültiges Statement über die gesamte Verfasstheit unserer Gesellschaft abgeben zu wollen. Über etwas, das alle – Männer, Frauen wie Kinder – gleichermaßen tangiert. Und was sollte das in unseren Zeiten anderes sein als das Internet und das, was es mit uns, unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, unserer Kommunikationsfähigkeit und unserem Liebesleben gemacht hat. Schwerer Stoff.
„#Zeitgeist“ will dies beispielhaft anhand einer Reihe lose miteinander verknüpfter Episoden beleuchten, deren Protagonisten zur Hälfte Teenager sind, Repräsentanten der ersten Generation, die überhaupt keine Welt ohne Internet kennt, und die somit – so will es wohl jedenfalls dieser Film sehen – schon komplett von diesem Medium versaut ist. Da gibt es Chris (Travis Tope), der schon mit zehn Jahren zum ersten Mal in Kontakt mit Internet-Pornografie kam und nun mit 15 einen kritischen Level an Reiz-Abstumpfung erreicht hat, obwohl sein eigentliches Sexleben noch nicht einmal angefangen hat. Das Sexleben von Chris’ Eltern Don und Helen (Adam Sandler und Rosalie DeWitt) ist hingegen völlig eingeschlafen, so dass beide auf ihre eigene Art beginnen, mit Hilfe des Internets einen Ausweg aus dieser Leidenschaftslosigkeit zu suchen.
Chris’ Schulkameradin Hannah (Olivia Crocicchia) träumt davon, berühmt zu werden, und inszeniert sich zwecks Selbstvermarktung mithilfe ihrer Mutter (Judy Greer) auf einer Website, deren Inhalte sich bedenklich an Kinderpornografie annähern. Hannahs Freundin Allison (Elena Kampouris) hingegen hat im verzweifelten Versuch, die Aufmerksamkeit eines älteren Jungen zu erlangen, in den sie unglücklich verknallt ist, Magersucht entwickelt und wird dabei von einer Internet-Community gleichgesinnter Mädchen unterstützt. Der Schul-Football-Star Tim (Ansel Elgort aus "Das Schicksal ist ein mieser Verräter") hat derweil mit dem Sport aufgehört, da er eine Teenager-typische existenzialistische Sinnkrise bekommen hat und sich in die Alternativ-Realität eines Online-Rollenspiels flüchtet. Einzig Brandy (Kaitlyn Dever) scheint ihn noch verstehen zu können, doch deren gesamtes Sozialleben wird durch ihre überprotektive Mutter Patricia (Jennifer Garner) eingeschränkt, die ‚zu deinem eigenen Schutz’ Brandys gesamte Online-Aktivität inklusive sämtlicher Chat-Verläufe kontrolliert und sie per Handy-Tracking überwacht. Wie soll man eine funktionierende Freundschaft oder gar Liebesbeziehung aufbauen, wenn die eigene Mutter in jedem Facebook-Kontakt einen potenziellen Triebtäter vermutet, vor dem man geschützt werden muss?
Und was will uns dieser Film eigentlich sagen? Es ist auf jeden Fall nichts Positives. Alle Handlungsstränge von „#Zeitgeist“ nehmen einen relativ deprimierenden Verlauf, sind jeder für sich dabei aber auch grässlich vorhersehbar. Nachdem die Grundkonstellation klar ist, kann man sich an drei Fingern ausrechnen, welchen Verlauf die jeweilige Episode bis zum Ende hin nehmen wird. Das könnte man natürlich der Tatsache zuschreiben, dass der Film ja auch ein exemplarisches Bild der durch das Internet ausgelösten Verwerfungen in unseren Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeiten zeichnen will. Dem würde es indes helfen, wenn der Film sich auch einer greifbaren, profunden Aussage annähern würde. Und daran scheitert er leider vollkommen.
Man merkt „#Zeitgeist“ schon deutlich eine unterliegende Attitüde an, die das Internet und all seine soziokulturellen Begleiterscheinungen grundsätzlich verteufelt. Mit solch einer Einstellung gewinnt man nicht gerade Sympathiepreise oder Blumentöpfe, da es ein sehr einseitiger, reaktionärer und fortschrittsfeindlicher Standpunkt ist. Und bei aller berechtigten Skepsis gegenüber den Auswüchsen der Online-Welt nicht einmal eine Episode zu berücksichtigen, in der die nicht zu leugnenden, positiven Effekte des Internets eine Rolle spielen, lässt den ganzen Film und seine Macher wie einen granteligen Rentner erscheinen, der mit „diesem Internet“ nix zu tun haben will und weiter darauf besteht, seine per Hand ausgefüllten Überweisungsträger persönlich am Bankschalter abzugeben. Nicht gerade eine Rolle, die einem jungen Regisseur wie Jason Reitman gut steht.
Doch selbst diese wenig zeitgemäße Einstellung zum Zeitgeist-Thema kann der Film nicht erfolgreich transportieren, weil sein vermeintliches Sujet – Internet und Online-Kommunikation – letztlich eine viel zu untergeordnete Rolle in seinen Episoden spielt. Es ist prägendes Stilmittel des Films, dass alle Charaktere permanent damit beschäftigt sind, über ihre Smartphones zu chatten. Aber das einzige hier geschilderte individuelle Problem, das man wirklich originär dem Internet zuschreiben kann, ist die verfrühte sexuelle Abstumpfung von Teenagern durch zu leicht zugänglichen Porno-Konsum (ironischerweise ist dies der einzige Handlungsstrang, dem kein zufriedenstellender Abschluss gegönnt wird). Alle anderen hier behandelten Themen sind universell und hätten auch in einer Zeit ohne das Internet ihren quasi identischen Verlauf genommen. Mehr noch: Sie werden stellenweise fast gar nicht von unserer Online-Kultur berührt. Bestes Beispiel: Allison und ihre Magersucht. Jenseits einer einzigen (!) Szene, in der ihre Anorexie-Online-Community vorkommt, hätte diese gesamte Geschichte genau so auch vor 20, 30 oder 50 Jahren passieren können.
Was uns zurück zur Frage bringt: Was will uns dieser Film eigentlich sagen? Als ein Manifest über die negativen Auswüchse des Internets sind seine Argumente zu schwach und diffus, als ein universelles Statement über den Zustand von Zwischenmenschlichkeit und Liebe im 21. Jahrhundert sind seine Episoden und Figuren zu substanzlos. Gerade Jennifer Garners Charakter der überprotektiven Mutter ist das schlimmste Beispiel. Sie wirkt in ihrem Kontrollwahn so überzeichnet, dass sie zu einer Karikatur verkommt, weil auch kein Anhaltspunkt dafür gegeben wird, was diese Frau soweit getrieben hat. Ihre Involvierung in den dramatischen Höhepunkt des Films erscheint entsprechend wie eine gewollte Konstruktion, was die Erzählung dieses an echten dramatischen Höhepunkten ohnehin sehr armen Films zusätzlich schwächt.
„#Zeigeist“ versammelt eine Reihe namhafter und wirklich guter Darsteller, die vielleicht auch von der Aussicht angelockt wurden, hier an einem Film zu partizipieren, der wirklich etwas Relevantes zu sagen hat. Tatsächlich wirkt „#Zeitgeist“ am Ende aber einfach nur prätentiös und so von sich selbst eingenommen wie Möchtegern-Star Hannah. Eine unfokussierte, ziellose Verschwendung von Talent, die vollkommen zurecht total gefloppt ist. In den USA reichte es nicht einmal zu einem Einspiel von einer Million Dollar an den Kinokassen. Womit man sich ab jetzt vollkommen zurecht ernste Sorgen um die Karriere von Jason Reitman machen darf.
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